Eigenversorgung vor Jahrzehnten

Maria Ferdinand, Neroth

In meiner Jugendzeit sah das Dorfbild ganz anders aus als heute. Fast jeder hatte einen schönen, großen Garten, worin er Gemüse, Salat und Beeren anbaute. Man war bedacht, dass man das ganze Jahr daraus leben konnte. Im Sommer nutzte und genoss man die Frische der Sachen und sorgte für Vorrat für den Winter. Im Herbst war dann die Arbeit getan und man freute sich, wenn alle Gläser und Töpfe voll waren. Kartoffeln lagerten im Keller und auf dem Speicher die Körner. Das Gemüse, das noch im Garten stand, wie Rotkohl und Wirsing, wurde mit der Wurzel ausgemacht; dann wurden Furchen gezogen, das Gemüse dort sorgfältig eingedrückt und wieder mit Erde zugedeckt. Zum Schutz vor der Kälte wurde ein Dach von Stroh darüber gedeckt. So hatte man die kommenden Monate frisches Gemüse. Den Weißkohl verarbeitete man zu Sauerkraut. Das war schon eine langwierige Arbeit, denn er musste säuberlich mit der Hand klein geschnitten werden. Man hatte eigens einen großen Steintopf dafür, der Jahr für Jahr benutzt wurde. Nun wurde der Kohl schichtweise mit Salz, ein paar Holzäpfeln und Wacholderbeeren ganz fest eingedrückt. Es kam kein Wasser darauf. Er wurde so lange gedrückt, bis der eigene Saft darauf stand. Dann wurde das Ganze beschwert, indem man einen Leinenlappen, ein rundes passendes Brett und einen schweren Stein darauf legte. Nach etlichen Tagen fing er an zu gären und erreichte nach zwei bis drei Wochen seinen säuerlichen Geschmack. Auch Stangenbohnen wurden auf diese Art haltbar gemacht. Man konnte sie allerdings nur als Gemüse verwerten. Und weil man im Winter auch mal gerne eine Bohnensuppe aß, füllte man was man so für den Gebrauch brauchte in Flaschen. Die Bohnen wurden ganz klein geschnitten und mit etwas Mühe kamen sie herein. Dann kam frisches Wasser drauf, das drei Tage hintereinander erneuert wurde. Dann wurden die Flaschen fest zugemacht und in den Keller gestellt. Möhren und Karotten hatten wir auch den ganzen Winter frisch. Sie wurden nach der Ernte trocken abgeputzt und in einen Steintopf gefüllt. Schichtweise kam Sand darüber. Und diese hielten sich so auch bis zum Frühjahr. Ein beliebtes Essen im Winter war der Grünkohl. Der wurde im Spätsommer gepflanzt und konnte die kalte Jahreszeit ohne Schaden draußen überstehen. Der schmeckte sogar am besten, wenn er gefroren war.

Maria Ferdinand, geb. Gehendges, und Schwester Katharina Jaque-mod, geb. Gehendges, am Kastenwagen - Kartoffelsaat, Neroth, Mai 1940

Auf die Apfelernte freute man sich sehr. Die schönsten und dicksten Früchte wurden alle einzeln mit der Hand gepflückt, behutsam in einen Korb getan und dann in den Keller getragen. Die Äpfel entfalteten im ganzen Haus einen erfrischenden Duft. Die kleineren Früchte wurden zu Mus verarbeitet, in Gläser gefüllt und eingekocht. Aber die wurden immer weniger, denn für die Kinder war das eine Versuchung und die gingen immer daran naschen. Im Winter waren die Äpfel eine Besonderheit. Jeden Abend wurden welche in einer eisernen Pfanne gebraten. Jeder bekam einen und sonntags wurde sogar etwas Zucker und Zimt darüber gestreut. Birnen wurden in einem Topf süß-sauer eingemacht. Wasser, Zucker, Weinessig und Vanillestangen wurden gekocht, dies dann warm über die Birnen gegossen und ein paar Tage ziehen gelassen. Es durfte keine Birne verloren gehen, und deshalb kam der Rest zum Trocknen in den Backofen. Dies geschah nach dem Backen von Brot. Da war der Ofen noch warm und dann wurden sie dort hinein geschoben. Das musste man oft drei- bis viermal machen, bis sie fest und ganz trocken waren. Vor dem Gebrauch wurden sie eingeweicht, kurz aufgekocht, durch ein Sieb gedrückt und mit Sirup, Zimt, wenn nötig, etwas Zucker, vermischt und dann kam es auf den Teigboden. Dies wurde „Bunes" genannt. Auch für grünen Salat sorgte man. Der Feldsalat wurde so um Johannestag (24.6.) gesät. Er wuchs den Sommer durch und hatte vor dem Winter seine gewünschte Größe. Der Feldsalat blieb draußen, er konnte Schnee und Frost vertragen. Davon konnte man den ganzen Winter nehmen. Man lebte aber nicht nur von Obst und Gemüse. Auch Hühner hatte fast jeder. Sie liefen frei herum, und ihre Lieblingsbeschäftigung war es, in Nachbarsgarten zu scharren. Sie wurden morgens aus dem Stall gelassen, gefüttert und nun wartete man auf das Gegacker, wenn sie ein Ei gelegt hatten, ein gefragtes Lebensmittel. Es war üblich, dass im Herbst ein Schwein geschlachtet wurde. Und je dicker der Speck war, desto lieber hatten wir es. Das innere Fett wurde zu Schmalz ausgelassen. Auch wurde Blut- und Leberwurst gemacht. Der größte Teil davon wurde an die Nachbarschaft oder an Bekannte verschenkt; das war üblicher Brauch. Jeder bekam eine Wurst und eine Kanne Wurstbrühe dazu. Das Fleisch und der Speck wurden im Keller in einer Holzbütte eingepökelt. Nach rund drei Wochen wurde es im eigenen Räucherhäuschen geräuchert, und zwar nur mit Buchenholz und Wacholderbeerensträuchern. Dies wurde immer sorgfältig gemacht, denn dieser Vorrat musste das ganze Jahr reichen.

Katharina Jaquemod und Maria Ferdinand bei der Kartoffelsaat Neroth, Mai 1940

Ein wertvolles Produkt war die Milch, aus der Quark und Butter hergestellt wurde. Wir hatten in der Küche einen Tisch stehen, worin zwei große Keramikschüsseln standen. Da hinein schüttete man die Milch und über Nacht war der Rahm oben, die Magermilch unten. Die Schüsseln hatten in der Mitte ein Loch und wurde dieses geöffnet, fing man die Magermilch auf, aus der „Klatschkäse“ gemacht wurde. Der Rahm blieb oben. Aus ihm wurde Butter gemacht. Fast jeden Abend gab es Milchsuppe. Mal einfach kochend über kleingemachten Brotbrocken geschüttet, oder es wurde ein Ei mit Weizenmehl verrührt, zu Klümpchen gerieben und mitgekocht. Die Eier und die Butter, die nicht im Haushalt gebraucht wurden, waren zum Verkauf feil. Das war ein Tauschgeschäft. Die Lebensmittelläden nahmen gerne an und wir bekamen dafür, was man nicht anpflanzen konnte. Ja, das war „die gute alte Zeit" - wie man heute sagt.