Gerberei Zinzius in Hillesheim

Thea Merkelbach, Pelm

Im Jahre 1864 erhielt der Gerber Schlags zu Hillesheim die Konzession für den Betrieb einer Gerberei. 1898 übernahm der Gerber Roland Zinzius aus dem Bergischen Land diese Gerberei. Er kaufte sie mit guter Goldmark samt dem Wasserrecht vom Vorbesitzer Schlags. Roland Zinzius war als Wandergeselle aus Italien nach Deutschland gekommen. Er hatte vier Söhne und drei Töchter. Der Sohn Hans, Jahrgang 1914, machte, während er Soldat war, 1943 die Meisterprüfung, um später die Gerberei übernehmen zu können. Nach 1945 begann er mit sechs Mitarbeitern, und zwar mit Söhnen der Arbeiter, die schon bei seinem Vater gearbeitet hatten, wieder den Betrieb. Man arbeitete auf Hochtouren, denn nach dem Krieg wurde dringend Leder für Schuhe benötigt. Freitags war Zahltag, natürlich bekamen die Mitarbeiter und alle in der Familie auch kostenlos ihre Schuhe. Frau Hanna Zinzius, aus der Metzgerei Christen von nebenan, heute 80 Jahre alt und noch sehr rüstig, kennt das Gerberei-Handwerk wie keine andere. Sie war 33 Jahre mit dem Gerber Zinzius verheiratet und hat in jedem Bereich des Betriebes mitgearbeitet. Die Gerberei befand sich in dem alten Kloster in Hilles-heim. Zwei große Gebäudekomplexe rahmten den Innenhof ein, wo 25 Lohegruben angelegt waren. Jede davon maß 2 mal 2 Meter und war mit dicken Eichenbohlen, mit Nut und Feder verzapft, eingefasst. Im ersten Stock des einen Gebäudes war noch das Kreuzgewölbe der alten Klosterkapelle zu erkennen. Die Lohe, die man in Bir-resborn oder in Luxemburg kaufte, wurde auf dem Lohspeicher im dritten Stock getrocknet. Per Aufzug hievte man die gebündelten Lohestangen hinauf. Mit der gebrauchten, gemahlenen Lohe wurde der ganze Hof ausgelegt, was sehr angenehm roch. Die Gerberei betrieb selbst eine kleine Lohmühle, um die Eichenstangen zu zerkleinern. Früher zerriebenMühlsteine aus Lavaschlacke der Vulkaneifel diese Lohe. In der Mühle Zinzius gab es keine Mühlsteine mehr, sondern die Lohe wurde elektrisch zermahlen. „Im Hof lag noch ein alter Mühlstein“, weiß Frau Zinzius. Die gebrauchte, getrocknete Lohe war auch bei den Hillesheimer Kleingärtnern als Streumaterial sehr beliebt. Das Abholen der Lohe mit dem Handwagen war meist Aufgabe der Kinder. Für diese war der Hof mit den Gruben eine interessante Umgebung, die man erkunden musste. So passierte es einmal, dass der zu neugierige Junge H. Schlösser in eine Lohgrube fiel und mit einem Käscher herausgefischt werden musste.

Wenn die Tierfelle angeliefert waren, berichtet Hanna Zinzi-us, mussten zuerst Fleischreste und die Haare entfernt werden. Das geschah durch Abbrennen mit Kalk und Alaun in einer dafür bestimmten Grube. Wenn diese Grube gefüllt war, kamen die Abfälle zur Leimfabrik Haiger im Dillkreis zur Herstellung von Schreinerleim. Alles wurde verwertet. Nur wenn die Wagen mit diesem Leimfleisch, so nannte man die Abfälle, durch den Ort Hillesheim zur Bahn fuhren, fühlten sich die Bewohner vom Geruch belästigt. Aber das fertige Produkt mochte jedermann. Frau Zinzius berichtet weiter, dass jede Grube nummeriert war und dass ein Grubenbuch geführt wurde. So wusste man über die Befüllung der Gruben genau Bescheid. Die zur Enthaarung eingelagerten Felle wurden nach einem halben Jahr „gezogen“, das heißt, eine elektrische Pumpe saugte das Wasser ab, und mit Spezialzangen hob man die Felle heraus. Bei Wind und Wetter legten die Gerber die Felle draußen im Hof aus. Dann wurden die Felle über den Scherbaum gelegt, einem dicken, schräg gestellten Holzstamm, und mit dem gebogenen Scherdegen sauber abgekratzt.

Nun begann der eigentliche Gerbvorgang, der l 1/2 bis zwei Jahre dauerte. Dabei schichtete man die Felle mit der gemahlenen Eichenlohe und frischem Wasser in die Gruben. Die Felle wurden in dieser Zeit mehrfach „gezo-gen“ und mit frischem Wasser und neuer Lohe, in verschiedener Konzentration, eingelegt. Die Gerberei Zinzius besaß auch sechs Fässer, womit der Gerbvorgang zeitlich verkürzt werden konnte. Von der traditionellen Lohegerbung stellte Zinzius 1955 seinen Betrieb auf die moderne chemische Gerbung um. In der Gerberei wurde verschiedenes Leder hergestellt. Die Seitenstücke der Tierfelle ergaben besonders weiches Leder für den Orthopädiebedarf. Der mittlere, etwas festere Teil eines Felles war für Schuhsohlen geeignet. Der Besitzer der Lederfirma Harnisch aus Berlin kam oft selbst nach Hillesheim, um das Leder auszusuchen, am liebsten am Karwochenende, denn dann gab es in der Küche von Frau Zinzius frische Eifelforellen. Der Gerber und ein Kollege aus Münster-eifel wurden auch schon mal nach Berlin eingeladen. Es herrschte ein vertrauensvolles, fast familiäres Verhältnis zwischen Verkäufer und Käufer. Firma Zinzius belieferte auch Adidas und mehrere Schuhfabriken am Niederrhein. Dazu musste das Leder gefärbt werden. Man hatte eigens dafür einen Färbmeister eingestellt, der grammgenau die Farben mischte, um immer gleiche Töne zu erreichen. Auch hier war Frau Zinzius dabei und half beim Einreiben der Felle mit Farbe. Was früher in einer Gerberei alles mühevoll per Hand getan werden musste, wurde in neuerer Zeit mit Hilfe der Maschinen erledigt. So wurde die kraftraubende Arbeit des Walkens mit einer elektrisch betriebenen Walktrommel ausgeführt. In der Zurichterei gab es weitere Maschinen: die Stollmaschine, die Falzmaschine und Messmaschine. Die Messmaschine, deren Rollen mit Nägeln bestückt waren, maß das Lederstück für den Orthopädie-Bedarf. Die Uhr an der Maschine gab das genaue Maß in Fuß an. Wenn die Schaffelle fertig gegerbt waren, kamen sie in die Kämmmaschine, die mit langen Nägeln die Wolle durchkämmte und reinigte. Sämischleder, das besonders weich werden sollte, kam nach dem Gerbprozess in kleine Fässer, die man mit Fischtran gefüllt hatte.

Später wusch der Gerber das überschüssige Fett mit Soda aus. Aus diesem besonders zarten Lederprodukt von Schafen-, meist aber von Ziegenfellen, stellte man Kleidung und Handschuhe her. Auch Schaffelle mit dem Wollbesatz konnten bei Zinzius gegerbt werden. Dazu spannte man vier Felle, je zwei auf einer Seite, auf einen Holzrahmen, der dann zwei bis drei Tage in eine Wärmekammer gestellt wurde. Für eine holländische Firma gerbte man so genanntes technisches Leder, zum Beispiel für Schiffspumpen. Als die Mode aufkam, Kuhfelle mit Haarbesatz als Bodenbelag zu verwenden, war die Firma Zinzius auch dabei. Eine wichtige Erwerbsquelle war in den letzten Jahren des Betriebes die Herstellung von Treibriemen aus Chromleder, l bis l 1/2 cm dick und 15 cm breit. Diese brauchten zum Beispiel die Landwirte für ihre Heugebläse. Frau Zinzius besitzt heute noch so eine Treibriemen-Rolle, fabrikneu. Wenn die Bauern geschlachtet hatten, brachten sie ihre Felle in die Gerberei, wo sie sogleich eingesalzen und eingeschlagen wurden. So konnten sie lagern, bis sie in die Gruben geschichtet wurden. Ältere Einwohnerinnen der Umgebung berichteten, wie froh man nach dem Krieg in der so genannten „schlechten Zeit“ war, dass man Kaninchenfelle in Hillesheim gerben lassen konnte. Viele Kinder besaßen damals warmeMützen und Muffs aus Kaninchenfell. Auch Hirsch-, Reh-, Wildschwein- und Fuchsfelle wurden gegerbt. Man sieht, dass die Firma Zinzius sehr vielseitig arbeitete. Wer ein überfahrenes Eichhörnchen oder sonst ein Kleintier ausstopfen lassen wollte, brachte es ebenfalls hierhin, wo die Tiere in einer großen Kühltruhe gelagert wurden, bis ein Fachbetrieb sie abholte. Nach dem Tode ihres Mannes 1982 führte Frau Zinzius den Betrieb noch eine Zeit lang mit Hilfe ihres Nachbarn Adolf Etten weiter. Dieser hatte ihrem kranken Mann versprochen, ihr beizustehen. „Er war mir wirklich eine sehr große Hilfe“, sagt sie dankbar. Als Hanna Zinzius die Gerberei aufgab, führte sie das Ledergeschäft, das ihr Mann eingerichtet hatte, noch einige Jahre weiter. Zum Schluss seien der Verfasserin zwei persönliche Bemerkungen erlaubt. Ich habe im Laufe der Gespräche mit Frau Zinzius große Hochachtung gewonnen, davor wie sie ihr langes arbeitsreiches Leben gemeistert hat und trotz auch persönlicher Enttäuschungen bis über 80 Jahre aktiv und gut gelaunt geblieben ist und sich jetzt noch um ihre kranke Schwester im Altersheim kümmert. Frau Zinzius schilderte mir sehr bewegt den Abriss des alten Klostergebäudes samt allem, was zur Gerberei gehörte. Dabei wird dem Zuhörer bewusst, welche einmalige Chance sich die ‘Europäische Beispielstadt’ Hil-lesheim hat entgehen lassen. Ein Museum über dieses alte Handwerk, dazu noch in historischem Gemäuer, wäre sicher eine überregionale Attraktion geworden.

Maschine zum Abmessen des Leders für den Orthopädie-Gebrauch; Fotos wurden von Frau Zinzius zur Verfügung gestellt.

Quelle:
Mündlicher Bericht von Frau Hanna Zinzius

Worterklärung:
Muff = Handwärmer aus Pelz, (nie-derl.niederdt.), abgeleitet vom frz. ‘moufle’ Pelzhandschuh (DUDEN Nr.7, Herkunftswörterbuch)