Leudersdorf - mehr als nur ein Ortsteil von Üxheim

Brief von einer Zugezogenen an eine Weggezogene

Claudia Howard, Leudersdorf

Liebe Maria,

vom 16. bis 19. Juni 2005 war nun die 1150 Jahrfeier von Leudersdorf. Schade, dass Du nicht dabei sein konntest. Aber ich will Dir erzählen: Schon lange fiebert das ganze Dorf, und alle haben seit Wochen nichts anderes im Kopf. Vor drei oder vier Wochen war dann der SWR da und hat Filmaufnahmen für ein Dorf-portrait gemacht. Der Ortsvorsteher und der Bürgermeister führten den Redakteur durchs Dorf und zeigten ihm die Besonderheiten, vor allem die hier lebenden vielen Künstler. Am Donnerstagabend war dann das ganze Dorf im Bürgerhaus versammelt, um sich das Dorfportrait auf der Großleinwand anzusehen. Alle waren da, jung und alt, mit Kind und Kegel. Der Film brachte weniger über die Leudersdorfer, mehr über die hier ansässigen Künstler, aber die Leute waren zufrieden. Manch einer war froh, dass er selber nicht zu sehen war, und andere waren sogar stolz darauf, dass hier so viele Künstler wohnen. Dadurch wurden wir erst recht etwas Besonderes. Anschließend gingen sie Eier aufheben, das war vom üblichen Termin auf das Fest verschoben worden. Und weil der Anlass ein besonderer war, durften alle Männer mitgehen. Du hättest sie sehen sollen! Egal wie alt, mit leuchtenden Kinderaugen und aus voller Kehle mitsingend „Hier kommen wir gegangen, die Eier zu empfangen, Rösje rut!“ Alle gingen sie mit und freuten sich, noch mal jung sein zu dürfen. Es war nicht nur nett, es war richtig anrührend! Am Freitag war ich nicht dabei. Ich musste etwas arbeiten und wollte auch meine Kräfte fürs Wochenende sparen. Es war der Theaterabend mit zwei Vorstellungen, und es muss alles gut geklappt haben. In der Kapelle hatten sie eine Ausstellung mit alten Fotos und Dokumenten. Die habe ich mir nachmittags angeschaut. Wir fanden da ein Hochzeitsfoto Deiner Eltern. Max hat es für Euch abfotografiert. Ich finde, Du siehst Deiner Mutter sehr ähnlich. Am Samstag waren dann die letzten Vorbereitungen. Die Frauen putzten und brachten alles auf Hochglanz. Sogar die Briefkästen wurden geschrubbt. Die Männer stellten ihre alten Schätzchen auf die Straße, liebevoll gereinigte alte Landmaschinen, und fuhren ihre alten Trecker spazieren. Und wieder überall diese leuchtenden Kinderaugen. Vor den Häusern standen überall Stühle mit alten Leuten, die man schon lange nicht mehr gesehen hatte. Sie saßen da, wie sonst in ihren Wohnstuben, und blickten glücklich lächelnd auf das rege Treiben. Abends schließlich der große Heimatabend. Das Wetter war so schön, dass das Festprogramm nach draußen verlegt wurde. Vor das kleine Haus gegenüber dem Bürgerhaus, (ich weiß nicht, wie das Haus heißt) hatten sie eine Bühne gebaut. Der Musikverein, der Gesangsverein, die Bürgermeister, Orts-, Verbands-, und der Landrat, der Dorfchronist, einige Einzelvorträge, der Schellenmann, das Programm dauerte über drei Stunden. Am Sonntag war dann der Haupttag. Die Messe unter freiem Himmel vor dem Bürgerhaus habe ich verpasst, ich musste meine Pferde müde reiten, denn ich sollte Sie nachmittags als der Dorfschmied öffentlich beschlagen. Ich hatte keine Ahnung, wie sie auf Publikum reagieren würden, aber sie waren dann sehr brav. Jeder im Dorf hatte seine Arbeit: Es gab Schmiede und Stellmacher, Körbe wurden geflochten, Sensen gedengelt, Seile gedreht und gespleißt, der Schuster und der Schneider waren da, der Schnapsbrenner, natürlich der Schreiner, der Fliesenleger, alles was es so gibt, die Frauen haben Brot gebacken, Wäsche gewaschen, getanzt und alte Kostüme vorgeführt, Käse, Wurst, Pullover und andere Sachen verkauft, ein alte Schulstunde wurde abgehalten, es wurde gesponnen und gewoben. Wer nichts dargeboten hat, der half beim Brote schmieren, Reibekuchen backen, Getränke austragen usw. Das ganze Dorf war beschäftig. Und wir hatten viele Gäste. Sie kamen von nah und fern, ich weiß nicht, ob 3000 oder 5000, aber sie bewunderten alle die vielen schönen Darbietungen und freuten sich. Es war wirklich unglaublich. Ein ganzes Dorf arbeitete zusammen, alle machten mit, es war bei all den Darbietungen kein einziger Fremder dabei. Alle waren aus Leudersdorf, und ich war mächtig stolz, als Zugezogene mitmachen zu dürfen. Abends, als alle Gäste gegangen waren, saßen wir dann zusammen und stellten fest, dass wir alle nichts von einander gesehen hatten, denn wir waren alle beschäftigt. Die Füße, Arme und Beine taten uns weh, denn diese harte körperliche Arbeit war für uns alle ungewohnt. Was war das Leben früher doch mühsam! Da geht es uns heute mit all den Maschinen schon besser. Müde waren wir, und stolz! Schön war’s! Das Wetter war die ganze Zeit fantastisch, aber wir hatten das auch verdient! Ich bin noch ganz voll von den Ereignissen der letzten Tagen und wünsche mir, dass ich Dir einen kleinen Eindruck von Deinem Zuhause mitschicken kann, ein Stückchen von unser aller gemeinsamen Glück. Dieses Fest war etwas ganz besonderes, und wir werden so etwas kein zweites Mal erleben. Aber die 1200 Jahrfeier überlassen wir sowieso anderen. Das sitzen wir dann auf einer Wolke und schauen von oben zu. Alle, denn ich glaube, hier ist wirklich keiner, der von unten zuschauen muss. Es ist Dein Zuhause, aber jetzt ist es auch meines, und ich bin sehr glücklich hier!