Der Schäfer und der Tod

Über den großen Fluss, aus dem anderen Land,
ward der Tod zu einem Schäfer gesandt,
seine Tiere waren sein Glück.
„Ich denk,“ sprach der Tod, „du weißt, wer ich bin,
und sträuben hat auch gar keinen Sinn,
doch sag´ mir, was lässt du zurück?“

„Ein wollenes Wams und ein Hemd dazu,
in guten Jahren hatte ich auch Schuh´.
Nur Reichtümer hatte ich nie.
Doch glaub´ mir, das Leben war wunderschön,
und ich möchte eigentlich noch nicht gehn,
und meine Schafe, wer sorgt sich um sie?“

„Es wird für sie sorgen, der sie dir gab,
gib ihm getrost deinen Hirtenstab.
Doch du hast noch ein wenig Zeit.
Auch noch zu andern ward ich geschickt,
und keiner ist von meinem Besuch beglückt!“
Still sprach der Schäfer: „Ich mach mich bereit.“

Nach etlichen Tagen kam er Tod wieder an,
in seinem Gefolge ein alter Mann.
Er hatte sich kaum gewehrt:
„Es starb vor kurzem mein Weib von mir,
ich will rüber ins andere Land zu ihr.
Dort sieht man sich wieder, ward uns gelehrt.“

Eine Frau war dabei, sehr jung, sehr schön,
sie wehrte sich heftig, mit zu gehn:
„In der Opernwelt kenn´ ich mich aus,
war fast eine Diva und weltbekannt.

Was soll ich drüben im anderen Land
ohne Publikum und ohne Applaus?“

Ein Mann mittleren Alters mischte sich ein,
er war sehr gut gekleidet, schien reich zu sein:
„Ich will nicht in das andere Land.
Besitz und Häuser gehörten mir
und große Schiffe, der Meere Zier,
seht, ich steh´ da mit leerer Hand.“

„Nur, was du aus Liebe und für andre getan,
sieht man da drüben als Reichtum an,
alles andere ist leerer Tand.“
So sprach der Tod und wandte sich an das Kind.
Es spielte, zufrieden, wie Kinder sind,
mit seinem Spielzeug im warmen Sand.

„Komm, Kleines, es wird Zeit, wir müssen gehn.“
Schon sah man den Nachen am Ufer stehn,
und behutsam hob der Tod es hinein:
„Aber das Spielen macht mir grad solchen Spaß!“
„Du spielst drüben weiter, ich verspreche dir das,
und dort bist du nie mehr allein!“

Ganz langsam wich das Ufer zurück,
und die Herde entschwand des Schäfers Blick,
sanft wiegten die Wellen das Boot.
Bald konnte man das jenseitige Ufer sehn.
Sie fuhren, grad schien die Sonne aufzugehn,
in das neue Morgenrot.

Thekla Heinzen, Feusdorf