Der Rosinen-Vertilger

Christa Feltgen, Erftstadt

Mein Mann hatte als ehemaliger Bäckermeister immer noch gerne gebacken und sich deshalb sogar einen Stein-Backofen angeschafft. Klar, dass er seine Einkäufe an Mehl und anderen Zutaten im Großhandel erwarb. Das waren dann immer ordentliche Mengen, wenn man sie mit der Vorratshaltung einer Hausfrau vergleicht. Eine Bäckerei wäre aber nicht weit damit gekommen. Und jetzt war mein Mann krank geworden und ans Brotbacken würde wohl nie mehr zu denken sein. Und ich stand mit den reichlichen Vorräten da. Irgendwann war dann aber auch das letzte Säckchen Mehl untergebracht. Jetzt konnte nichts mehr schlecht werden. Glaubte ich! Denn ich entdeckte an einer Stelle der Backstube, an der ich doch noch nicht aufgeräumt hatte, einen Eimer. Den hatte ich zwar immer dort stehen gesehen, ihn aber für leer gehalten. Bis zum Rand war er mit Rosinen gefüllt. Denen hatte zwar die Zeit nicht viel angetan, sie waren aber ein wenig trocken geworden und taugten wirklich nur noch zum Verbacken. Was nun? Die Kinder, die Nachbarn, die Freunde, keiner mochte Rosinen im Kuchen oder im Weißbrot. Sie zu verkaufen traute ich mich auch nicht, ich wusste ja nicht, wie alt sie waren. Da kam mir eine Idee. Vögel fressen doch auch Beeren, oft sogar dann noch, wenn sie im Winter am Strauch schon ziemlich zusammengeschrumpelt waren. Also streute ich an einem Winterabend eine Handvoll Rosinen auf unsere Terrasse, an einer Stelle, von der ich wusste, dass sie immer trocken blieb. Ich hoffte, sie würden in der Morgenfeuchte ein wenig aufquellen und so für die Vögel attraktiver werden. Zwei Tage tat sich nichts. Dann streute ich ein paar Sonnenblumenkerne dazu. Die waren am nächsten Vormittag verschwunden, und, wie es schien, auch ein paar von den Rosinen. Die Vögel hatten wohl am frühen Morgen das Futter entdeckt, aber viel zu wenig davon gefressen. Ich besaß ja schließlich einen ganzen Eimer voll Rosinen.

Am nächsten Morgen waren alle Rosinen, die draußen gelegen hatten, fort. Auch am nächsten Tag der Nachschub. Und so ging das eine ganze Weile weiter. Wer fraß die aber? Igel? Dafür war es zu kalt, die hielten Winterschlaf. Marder? Was machen die im Winter? Schlafen die nicht auch? Amseln oder Drosseln? Dann wären nicht so viele der Leckereien verschwunden gewesen. Eines Abends war Vollmond. Ich hatte im Sessel gesessen und auf den Fernseher geschaut. Dann hatte ich ihn ausgeschaltet, um ins Bett zu gehen, war aber noch einen Augenblick sitzen geblieben. Es war so eine seltsame Stimmung da draußen, das Mondlicht machte die Nacht im wahrsten Sinne des Wortes zum Tage. Plötzlich bemerkte ich aus den Augenwinkeln heraus durch die Gardinen der Tür hindurch eine Bewegung auf der Terrasse. Der Rosinen-Vertilger! So vorsichtig, wie ich konnte, stand ich auf und schlich näher auf die Tür zu. Im silbrigen Schein sah ich ein Tier, groß wie ein Schäferhund. Das Licht ließ sein Fell ganz hell erscheinen, wohl auch, weil es die Haare wegen der Kälte ordentlich aufgeplustert hatte. Dadurch wirkte es größer, als es war. Ein wunderschöner Fuchs stand da und ließ sich das Zubrot schmecken. Ohne ein Geräusch zu machen, war er herauf gekommen. Wäre nicht das Fensterglas und die Gardine gewesen, ich hätte ihn streicheln können. Mit angehaltenem Atem stand ich da und konnte mich an dem herrlichen Tier nicht satt sehen. Als ich dann für eine Sekunde weggeschaut habe, war es verschwunden. Lautlos, wie es gekommen war. Der Fuchs hat den Eimer mit Rosinen im Lauf des Winters verputzt. Ganz geschickt lief er immer so, dass man seine Pfotenabdrücke auf dem Boden kaum sehen konnte. So wäre ich nie darauf gekommen, wer die Rosinen geholt hatte. Den Nachbarn habe ich nichts von meinem Geheimnis erzählt. Womöglich hätten sie sich dann abends nicht mehr auf die Straße gewagt. Wenn ich etwas später daran dachte, dass ein Fuchs nachts um unsere Häuser schleicht, war mir selbst ein wenig unheimlich zu Mute. Nur eine Nachbarin hat das Tier oft morgens ganz früh auf dem Weg zur Arbeit gesehen, die Postbotin. Aber das war ihr schon so oft passiert, dass ein Fuchs vor ihrem Wagen auftauchte, dass sie keinen Grund sah, ihn mit unserem Haus in Verbindung zu bringen.