„Ohne Geläut’ keine Leute!“

Über die Glocken im „Eifel-Dom“ zu Niederbettingen

Prof. Matthias Weber, Niederbettingen

Herz-Jesu-Glocke / Pfarrkirche

Vorbemerkungen

Seit Allerheiligen 2004 läutet wieder - wenigstens - eine Glocke. Allerdings die kleinste des Niederbettinger Dreiergeläutes. Sie ist auf den Namen des heiligen Joseph getauft. Derzeit leistet sie Schwerstarbeit. Sie dient nahezu unermüdlich als Mädchen für alles. Sie „ruft“ zu den Messen ebenso wie zum täglichen Angelus, zur Vermeldung eines Verstorbenen genauso wie zum freudigen Ereignis einer Kindtaufe. Auch wenn - wie jüngst im April - der Heilige Vater in Rom nach seinem langen, beispielhaft ertragenen Leiden in die Ewige Heimat abberufen wurde oder sein Nachfolger auf dem Stuhle Petri bereits nach nur wenigen Wahlgängen aus dem Kardinalskonklave im Vatikan hervorging. Wer selbst die beiden letzten römischen Großereignisse im Fernsehen nicht mitbekommen hatte, wurde im alten Burg- und Pfarrort Niederbettingen durch die fleißige und stets zuverlässige St.-Josephs-Glocke aktuell informiert, auch am späten Abend noch. Natürlich dank auch eines von heiligem Eifer erfüllten, hoch pflichtbewussten Glöckners. Er war es auch, der ganz unbewusst das Stichwort für die Überschrift dieses Beitrags vorgab. Die darin gelegene Aussage entspringt seiner unwillkürlichen Beobachtung und ist keineswegs von der Hand zu weisen. Auch wenn der Pfarrbrief regelmäßig und pünktlich über Messzeiten informiert. Unser Küster und Glöckner war es auch, zusammen mit einigen anderen engagierten Glockenfreunden, der zur dringenden Reparatur mindestens einer Glocke ständig drängte, auch wenn eine solche Haltung nicht immer richtig ankommt. Trotz aller angeblich sicherheitstechnischer Bedenken bei den Fachleuten oder wegen der nun schon jahrelang ausstehenden größeren Reparatur des ganzen Geläutes. Die beiden anderen Glocken in der Dreierreihe des Glockenstuhls sind größer und schwerer als die Josephs-Glocke. Davon ist die links außen auf den Namen der Muttergottes getauft und die mittlere und schwerste dem Kirchenpatro-nat Herz Jesu geweiht.

Einzigartiges Dreiergeläute im Bistum Trier

Das Wissen über den Rang der Niederbettinger Glocken ist in der Pfarrei noch gar nicht so alt und die Tatsache selbst für Kirchen- und insbesondere Glockenfreunde eine echte Sensation. Wir erfuhren es von dem Glockensachverständigen des Bistums, Bruder Michael Reuter aus dem Kloster Maria Laach. Er weilte mit seinem Assistenten hier zum zweiten Mal am Samstag, dem 19. Juni 2004, zur Untersuchung des vom Zahn der Zeit nicht verschont gebliebenen Glockengeläutes. Sein Auftraggeber: die Bauabteilung des Bistums Trier. Sein Auftrag: ein Gutachten über den Zustand und eine notwendige Reparatur zu erstellen. Der zweite Besuch von Br. Michael in Niederbettingen war eine gute Gelegenheit, etliches Neues über das hiesige Glockengeläute in der Pfarrkirche zu erfahren, das nicht aus den Kirchen-Archivalien ersichtlich ist. Das Wichtigste ist die Einzigartigkeit dieses Dreiergeläutes innerhalb der Diözese Trier. Von hervorragender Bedeutung ist auch die Tatsache, dass es sich dabei um drei beachtliche Bronzeglocken handelt und nicht, wie bisher in der Pfarrgemeinde angenommen und überliefert, um Stahlglocken. Dabei taucht gleich die naheliegende Frage auf, wie kommt es, dass die immerhin insgesamt rund 50 Zentner wiegenden Glocken der Pfarrkirche zu Niederbettingen - im Gegensatz zu den Glocken in den vier Filialkapellen zu Bewingen, Dohm, Lammersdorf und Oberbettingen im Zweiten Weltkrieg nicht für Rüstungszwecke beschlagnahmt wurden? In der Pfarrchronik gibt es auf diese grundlegende Frage weder eine ausdrückliche Antwort noch irgendeinen anderen Hinweis oder auch nur eine Andeutung, also keinerlei Auskunft. Hat der Chronist - es war Pfarrer Mailänder - da etwas mutig auf seine Kappe genommen, um die wertvollen Glocken für die Nachwelt zu retten? Der rührige Pastor Mailänder, dem die Pfarrkirche Niederbettingen u.a. ihre wertvolle Klais-Orgel verdankt, war hoch musikalisch - sollte er nicht gewusst haben, dass die Kirchenglocken aus Bronze und insoweit vor dem staatlichen Zugriff hoch gefährdet waren? War die mündliche Überlieferung am Ort, es handele sich um weniger wertvolle Stahlglocken, von ihm bewusst in die Welt gesetzt worden, gleichsam als Notlüge gegen diesen staatlichen „Glockenfrevel“? Wir wissen es nicht, so schön es auch wäre, ihm ein nachträgliches Dankeschön zu sagen für diese damals besonders mutige, weil für Leib und Leben des so Handelnden sehr gefährliche Tat. Immerhin war dies „vorsätzlich unterlassene Unterstützung deutscher Wehrkraft im Kriege“. Sie hätte bei Entdeckung mit Sicherheit eine schwerwiegende Bestrafung des „Täters“ zur Folge gehabt. Allerdings nur, wenn es so war, wie wir mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen können.

Beschlagnahmte Glocke / Oberbettingen
Foto: Pfarrchronik Niederbettingen

Beschlagnahme der Glocken in den Filialkapellen

Das Beschlagnahmejahr in der Pfarrei Niederbettingen war das vierte Kriegsjahr 1942. Der 1941 begonnene Russlandfeldzug zog sich völlig unplanmäßig in die Länge und wurde immer verlustreicher auch für die Deutsche Wehrmacht. Die Zeit der so genannten Blitzkriege, etwa gegen Polen und Frankreich, war längst vorbei. Etliche wichtige Rohstoffe wurden knapper. Die Beschlagnahme und Einschmelzung von bronzenen Kirchenglocken wurde daher zur rüstungsbedingten staatlichen Notmaßnahme. Pfarrer Johann Mailänder, Pastor in der Pfarrei Niederbettingen von 1941 bis 1953, berichtet über die Beschlagnahmeaktion in der Pfarrchronik Niederbettingen kurz folgende Tatsachen: „Ende Juni und Anfang Juli 1942 wurden folgende beschlagnahmten Glocken abgenommen, in der Filiale Dohm 2 Glocken, in der Filiale Bewingen 2 Glocken, u. a. die schöne Marienglocke aus dem Jahre 1870. In der Filiale Lammersdorf 1 Glocke und in der Filiale Oberbettingen 1 Glocke. Sie hatte die Inschrift: ‚Es klingen und singen die Glocken ins Land, als Boten der fliehenden Zeit. Was nutzt euch die Erde und irdischer Tand, vergesst ihr der Ewigkeit‘ (St. Barbaraglocke aus dem Jahre 1936)

 

„Glockenquartett“ vor dem Pfarrhaus


Aus dem Gutachten des Glockensachverständigen der Diözese Trier (Auszug) Vorbemerkungen des Autors

Der Glockensachverständige Br. Michael Reuter OSB von der Benediktinerabtei Maria Laach hat dem Autor dieses Beitrags freundlicherweise gestattet, sein Gutachten vom 20.6.2004 für die Information insbesondere der Leser in der Pfarrei Niederbettingen durch das Heimatjahrbuch Daun zu nutzen. Davon wird gerne Gebrauch gemacht. Aus Gründen der Authentizität folgt hier ein gekürzter Auszug aus dem vollstängen Gutachten:

Ortstermine

„Am 19.12.2002 habe ich zusammen mit Frau Marx von der bischöflichen Bauab-

teilung die Geläuteanlage der Kirche in Niederbettingen untersucht, da akuter Sanierungsbedarf besteht. Infolge dieser Untersuchung wurde der weitere Läutebetrieb untersagt, da gravierende Schäden die Betriebssicherheit der Anlage gefährden. In der Zwischenzeit wurde am Geläute nicht gearbeitet, da umfangreiche Sanierungsvorhaben am Kirchengebäude die Mittel binden. Die Glockenlose Zeit wird von der Bevölkerung jedoch mit großem Unmut aufgenommen. Daher habe ich am 19.6.2004 einen weiteren Besuch gemacht, um evtl. eine Lösung zu finden, wie vielleicht doch geläutet werden kann.

Bei dieser Gelegenheit wurde auch die seinerzeit wegen großer Kälte unterbliebene Tonanalyse der Glocken vorgenommen. Die Erkenntnisse beider Besuche sind in diesem Gutachten niedergeschrieben.

Glocken

In der Glockenstube hängt ein dreistimmiges Bronzegeläute der Firma Joh. Gg. Pfeifer in Kaiserslautern aus dem Jahre 1897. Die Glocken gehören zu der Erstausstattung der Kirche. Im Bistum Trier dürfte es das einzige komplett erhaltene Pfeifer-Geläute sein. Die Rettung des Geläutes über zwei Weltkriege hinweg grenzt an ein Wunder. Das Geläute ist daher in höchstem Maße als denkmalwert anzusehen. ...

Tonanalyse

... Die erhöhte Prime ist im wesentlichen dafür verantwortlich, dass die Glocken ein recht dunkles und ernstes Timbre haben. Ungestimmt, wie die Glocken sind und bleiben müssen, stellen sie dar, wie die typische Klangsilhouette eines recht großen Geläutes aus einer renommierten Gießerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts war. Als Zeitzeugnis sind sie ob ihrer Seltenheit von unschätzbarem Wert.

Das Abklingverhalten der Glocken ist für Glocken dieser Zeitepoche gut.

Inschriften

Glocke 1
Unterflanke vorne:
Herz-Jesu-Darstellung
Darunter in Frakturschrift:
Mein Sohn, gieb (!) mir Dein Herz.
Flanke hinten:
Gussjahr, Gussnummer, Gießerzeichen

Glocke 2
Unterflanke vorne: Herz-Mariae-Darstellung
Darunter in Frakturschrift:
Durch mein Herz zum Herzen meines Sohnes.
Flanke hinten:
Gussjahr, Gussnummer, Gießerzeichen

Glocke 3
Unterflanke vorne:
Josef-Darstellung mit Lilie
Darunter in Frakturschrift:
In Gegenliebe suche zu gefallen

Dem Herzen Jesu und Mariae nur vor allem.
Flanke hinten:
Gussjahr, Gussnummer, Gießerzeichen

Glockenstuhl

Der Glockenstuhl ist ein originaler Pfeifer’scher Stahlglockenstuhl. Er gehört zur Erstausstattung der Kirche. Verändert wurde an ihm nur im Zuge der Elektrifizierung des Geläutes die Auflagerung der Glocken. Die Aufsattelung der ursprünglichen Lager ist noch erkennbar. Im Werkkatalog der Firma ist die Lieferung des Stuhls nachgewiesen. Der Glockenstuhl ist als drei-feldriger und einetagiger Bockstuhl ausgebildet. Er liegt auf Stahlunterzügen auf, die auf dem Mauerwerk aufliegen. Der Glockenstuhl ist zwar sehr rostig, jedoch konnte beim zweiten Ortstermin an keiner Stelle ein besonderes Aufblühen des Rostes ausgemacht werden. Kein Knotenpunkt der Konstruktion war rostfaul oder aufgesprengt. Wie häufig bei Baustählen des 19. Jhd. ist die Rostbildung extrem weniger ausgeprägt als bei Stahlbauteilen der Epoche nach 1945. Das Anstreichen des Glockenstuhles ist eine rein optische Maßnahme und hat auf die Lebensdauer des Glockenstuhles unwesentlichen Einfluss. Die Bewegungen, die der Stuhl im Läutebetrieb 2002 zeigte, können sicher dadurch behoben werden, dass die aufliegenden Unterzüge des Stuhles sorgfältig im Mauerwerk verankert werden. Angesichts der historischen Bedeutung des gesamten Ensembles sollte der Glockenstuhl erhalten bleiben und vorerst nicht durch einen Holzglockenstuhl ersetzt werden. Sollte langfristig doch einmal ein Auswechseln des Stuhles unumgänglich werden, sind die Dimensionen der verwendeten Stahlteile so, dass das problemlos möglich ist.

Technik, Jalousien, Aufstieg

(siehe vollständiges Gutachten)

Empfehlung

Es ist dringend erforderlich, die wertvolle alte Geläuteanlage zu sanieren. Im derzeitigen Zustand werden die Glocken Schaden nehmen. Durch Abbrechen von Teilen der Läuteanlage können auch Personenschäden entstehen. Eine Nutzung des Geläutes im jetzigen Zustand ist nicht zu verantworten. Um der Gemeinde die Möglichkeit zu geben, die Glocken ganz oder wenigstens zum Teil nutzen zu können, sind folgende Mindestbedingungen erforderlich. Umhängen der Glocken an neue Holzjoche mit neuen Aufhängebeschlägen und neuen Kugellagern. Die Joche sollten in der Gestaltung des Kopfholzes „Pfeifer-typisch“ hergestellt werden. Eine Abbildung ist in dem Bonkhoff’-schen Buch zu sehen. Die Glocken sollten dabei nicht gedreht werden. Einbau neuer Klöppel aus weichem Schmiedeeisen inklusive neuer Aufhängevorrichtung in der Glocke. Die Klöppelkugeln sollten 2x so dick sein wie der Schlagring der jeweiligen Glocke. Das Doppelgelenk ist zu entfernen.

Reduzierung der Läutehöhe auf das mindest notwendige Maß durch Veränderung der vorhandenen Läutemaschinen respektive durch den Einbau neuer Läutemaschinen. Diese Arbeiten können unabhängig von allen weiteren Sanierungsmaßnahmen im Turmbereich erfolgen. Ebenfalls kann die Umrüstung an allen drei Glocken zugleich erfolgen oder aber sukzessive an einzelnen Glocken. Das ist eine Finanzfrage. Die Möglichkeit, das Geläute nach diesen grundnotwendigen Arbeiten wieder betreiben zu können, setzt die mir als gesichert geäußerte Meinung voraus, dass die Gewölbeschäden im Kirchenschiff statischer Natur sind und nicht vom Läutebetrieb herrühren. Im Rahmen der Gesamtsanierung sind die Jalousien zu erneuern. Ebenso ist im Rahmen der größeren Maßnahme der Bodenbelag der Glockenstube zu erneuern. Der Leiteraufstieg sollte entweder durch eingebaute Podeste mit Treppen ersetzt werden oder aber, wie im Wester-wald (Herdorf) geschehen, durch Verwendung des Treppenganges eines zugelassenen Stahlgerüstes. Das ist nach den Kosten zu entscheiden.

Maria Laach, den 20.06.2004 Br. Michael Reuter OSB“

Danksagung

Dieser Beitrag ist vor allem den über 1000 „Seelen“ der uralten Pfarrei Niederbettingen gewidmet. Die schöne Herz-Jesu-Kirche am Pfarrort ist ihr „Gotteshaus“. Es ist zugleich das herausragende Kulturerbe ihrer Vorfahren. Den Damen und Herren der Jahrbuchredaktion in Daun sage ich für die Veröffentlichung dieses „Glockenarti-kels“ herzlichen Dank. Ich sehe darin ihre verdienstvolle Förderung des bedeutenden Dreiergeläutes im „Eifel-Dom“ (Bischof Dr. Rudolf Bornewasser +). zu Niederbettingen. Nicht von ungefähr steht er unter Denkmalschutz. Immer noch ist er das unübersehbare die Kulturlandschaft prägende bauliche Wahrzeichen des mittleren Kylltals, ein wirkliches Haus, das „voll Glorie schauet weit über alle Land“, wie es im gerne gesungenen Kirchenlied heißt.

Quellen und Literatur

Pfarrchronik der Pfarrei Niederbettingen
Gutachten zur Turmprüfung in der kath. Pfarrkirche Herz Jesu in Niederbettingen
Matthias Weber, Katholische Pfarrkirche Herz Jesu in Hillesheim-Niederbettingen und ihre Kapellen, Rheinische Kunststätten, Heft 431, Neuss 1998
Derselbe und andere, Hillesheim-Niederbettingen / Heimatbuch, Hilles-heim 2003