Der Westwall im Kreis Daun

Gerd Ostermann, Birgel

Wer heute, über 60 Jahre nach Kriegsende, auf Spurensuche nach der „größten Baustelle Deutschlands“ geht, dem fällt die Suche in der Landschaft und in der Erinnerung der Menschen zunehmend schwerer. Dieses gigantische Betonwerk mit pompösem Propagandaeffekt und fragwürdiger militärischer Bedeutung prägte auch unsere Eifeler Heimat. Bunker und Höckerlinien des Westwalles, die unsere alliierten Befreier respektvoll „Dra-chenzähne“ oder „Siegfriedlinie“ nannten, veränderten ganze Landschaften und auch das soziale Gefüge vieler Gemeinden.
Für die Nachgeborenen war der Westwall vielleicht noch ein nicht ungefährlicher Abenteuerspielplatz. Für die heutige Generation ist er oft nur noch Legende. Dabei sind seine Spuren auch heute im Kreis Daun erkennbar - und das nicht nur im Norden der Verbandsgemeinde Obere Kyll, der zum Zeitpunkt der Errichtung noch gar nicht zum Landkreis Daun, sondern zum damals noch existierenden Kreis Prüm gehörte.

Bau des Westwalles

Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in das entmilitarisierte Rheinland im März 1936 begann der Bau von Bunkeranlagen an der Westgrenze des Reiches. Mit dem Befehl Hitlers vom 28.05.1938 nahm dieser Ausbau mit dem „Limesprogramm“ einen entscheidenden Aufschwung. Eine lineare Befestigungsanlage von der Schweizer Grenze bis an den Niederrhein mit einer Vielzahl gestaffelter Bunkerbauwerken und Feldbefestigungen sollte militärische Stärke und Entschlossenheit demonstrieren. Von den ca. 130 Kilometern Höckerlinie liegen etwa
4 Kilometer im Kreis Daun. Dabei
kann man die Baureihe 1938, die Fahrzeuge bis 20 t Gewicht abhalten sollte, und die Baureihe 1939 mit einem Abwehrvermögen für Panzer bis 38 t unterscheiden. Vorgelagert waren Gräben und umfangreiche Stacheldrahtverhaue. Zahlreiche Bunker, die nach bestimmten Standardmaßen und -funktionen erbaut wurden - so genannte „Regelbauwerke“ - flankierten diese Abwehrlinie bzw. wurden an strategisch wichtigen Stellen errichtet. Mehrere Einzelanlagen deckten bzw. ergänzten sich gegenseitig. Die am häufigsten gebauten Bunkertypen waren Unterstände für Maschinengewehre, Panzerabwehrkanonen und Mannschaften, sowie Artilleriebeobachter. Die Bunker hatten je nach Lage und Funktion verschiedene Wand- und Deckenstärken. Allein in den Gemeinden Hallschlag, Scheid, Ormont und Kerschenbach wurden ca. 210 dieser verschiedenen Einzelbauwerke errichtet. Hinzu kamen im Jahr 1939 die Anlagen der Luftverteidigungszone West (LVZ). Diese bestanden aus betonierten Stellungen der leichten und schweren Flak und verliefen parallel zum Westwall mit einem Abstand von 20-40 km zur Grenzbefestigung. Sie waren ausgestattet mit mehreren Mannschafts- und Munitionsbunkern, betonierten Geschützständen und eigener Wasserversorgung und lagen auf exponierten Bergkuppen. Befestigte Anlagen dieser Art gab es in Hillesheim, Zilsdorf, Dockweiler, Oberstadtfeld, Tettscheid, Gerolstein und Birresborn.

Mythos und Propaganda

Neben der militärischen Bedeutung nutzte Hitler den Bau des Westwalles massiv und gezielt zu Propagandazwecken. Der Bau der Anlagen wurde nicht verheimlicht, sondern bewusst der deutschen und ausländischen Öffentlichkeit vorgeführt. Dabei verfolgte die Propaganda zwei entscheidende Ziele: Nach innen verglichen die Nationalsozialisten den Bau des Westwalles mit dem erfolgreichen Bau des römischen Limes, weckten Bedrohungsängste durch den angeblichen Drang der Franzosen nach dem deutschen Rhein und provozierten so ein Schutzbedürfnis der Bevölkerung vor vermeintlichen Bedrohungen aus Westen. Der Westwallbau und der Bau der Autobahnen sollten als Lobpreisungen des Nationalsozialismus dienen.
„Ihr Bau
war in so kurzer Zeit nur unter einem Regime zu schaffen, das die Nation in ihrer geschlossenen freiwilligen Einheit zur Arbeit ansetzen konnte. Und so ist der Westwall uns Deutschen ein Sinnbild der Stärke, Einheit und Geschlossenheit des Reiches.“ Nach außen demonstrierte die Anlage einerseits die „Unbe-zwingbarkeit“ und „Unüberwindbarkeit“ der Westgrenze, was vor allem im längst geplanten Überfall auf Polen und in der Zerschlagung der Tschechoslowakei die westlichen Nachbarn vor militärischen Aktivitäten abschrecken sollte. Andererseits stellte sie den vermeintlich defensiven Charakter der Außenpolitik gegenüber den westlichen Nachbarstaaten dar und sollte den deutschen Friedenswillen demonstrieren. Sie sollte versichern, wer seine Grenze so stark befestigt, greift seine Nachbarn nicht an.
Auch höchste Repräsentanten der NS-Führung besuchten

offiziell den Westwall. So kam Hermann Göring anlässlich einer Inspektionsreise der Grenzbefestigungen im Juni 1938 nach Jünkerath, und Hitler machte bei einer solchen Besichtigung im Mai 1939 in Hillesheim Station. Kurz vor Kriegsbeginn Ende August 1939 wurde der Westwall offiziell für „fertig gestellt“ erklärt, obwohl zum damaligen Zeitpunkt viele Einzelobjekte noch nicht errichtet, eingerichtet oder nur unzureichend besetzt waren. Allein der Mythos zählte.

Soziale und gesellschaftliche Folgen

Der Bau des Westwalles in so kurzer Zeit verlangte gewaltige Materialbestände, riesige Mengen an Arbeitskräften und eine umfangreiche Organisation an Bau, Versorgung und Transport. Zudem in einer Gegend, die fernab der wirtschaftlichen Ballungszentren lag, mit unzureichender Verkehrsinfrastruktur und geringer Besiedelung. In die bis dahin von Katholizismus und Landwirtschaft geprägten Grenzorte brach über Nacht der technische Fortschritt und ein sozialer Wandel ein, auf den niemand vorbereitet war.

Die Einquartierung der Arbeiter belegte Schulen und Wirtshaussäle und führte damit zu Ausfällen im bisherigen öffentlichen Leben. Auch in weiter entfernten Orten wurden die Arbeiter einquartiert und täglich zu den Baustellen gefahren. So waren es alleine in Jünkerath ca. 600 Arbeiter. Viele in Privatquartieren untergebrachte Arbeiter brachten reichlich Bargeld in die bisher auf Selbstversorgung ausgelegten Eifeler Haushalte. Knechte verließen ihre Bauernhöfe, weil sie beim Bunkerbau ein Vielfaches verdienen konnten. Mancher Eifeler gründete seine eigene Firma im Transport- oder Gaststättengewerbe und verdiente für hiesige Verhältnisse sehr viel Geld in kürzester Zeit. Die ärztliche Versorgung der Landbevölkerung verbesserte sich, kulturelle Veranstaltungen - von Filmvorführungen, Varieté-Veranstaltungen bis hin zum Radioempfang - erweiterten den kulturellen Horizont. Sie dienten jedoch auch zur Festigung von Ideologie und Kriegsmoral.Andererseits brachten die Einquartierten neue Wertvorstellungen und Verhaltensweisen mit aufs Land. Evangelische und Konfessionslose stellten die katholische Autorität im Dorf in Frage. Die aus allen Teilen Deutschlands stammenden Arbeiter waren eine sprachliche Herausforderung für die Eifeler, die aus ihrem bisherigen Alltagsleben nur das Eifeler Platt kannten. Schlägereien, Trinkgelage und Voreingenommenheitgegenüber „Fremden“ erschwerten das Zusammenleben der Dorfbevölkerung mit den vielfach zwangsweise Dienstverpflichteten, die fernab ihrer Heimat und Familien bei wenig Freizeit auf kalten, windigen Eifelhöhen schwere körperliche Arbeit verrichten mussten.
Besonders kritisch beäugt wurden die Veränderungen in der Sexualmoral. Unaufgeklärtheit der Landbevölkerung und Verlockungen des „Neuen“ führten zum sprunghaften Anstieg unehelicher Geburten und der sozialen Ächtung der betroffenen Mütter und Kinder.

Kampf um den Westwall

Zu Kriegsbeginn war der Westwall nur dünn besetzt, da große Truppenteile für den Angriff auf Polen abgezogen wurden. Es sollten keine Angriffe von der Westgrenze aus geführt, sondern sich rein defensiv verhalten werden. Hitler gab den Befehl „Das Heer hält den Westwall“, um den Rücken frei zu haben für den Angriff auf Polen.
Frankreich verhielt sich trotz Kriegserklärung an Deutschland defensiv und verpasste damit die Chance, in einer kritischen Phase des Krieges den Westwall zu überrollen - die deutsche Propaganda um den Westwall hatte gewirkt. Nach dem siegreichen Frankreichfeldzug im Jahre 1940 hatte der Westwall eigentlich seine Funktion erfüllt. Die Bunker wurden geräumt und die Bewaffnung an den neu errichteten Atlantikwall
ab
transportiert. Erst im Sommer 1944 nach der Invasion in der Normandie und dem raschen Vormarsch der alliierten Truppen auf die deutsche Westgrenze gab Hitler am 20. August den Befehl zum „Ausbau der deutschen Weststellung“. Zurückströmende deutsche Truppen trafen Anfang September auf eine völlig desolate Verteidigungslinie. Zu diesem Zeitpunkt wäre ein rascher Durchmarsch der Alliierten möglich gewesen und tatsächlich eroberten amerikanische Truppen in der Westeifel zügig einige Westwallabschnitte. Alliierte Nachrichtendienste stellten fest:
„Das deutsche Heer bildet keine zusammenhängende Streitmacht mehr, sondern nur noch flüchtende, ungeordnete und demoralisierte Kampfgruppen ohne genügende Bewaffnung und Ausrüstung…“.
Doch wieder wirkte der „Mythos“ des Westwalles, und die Amerikaner stoppten ihren Vormarsch. Die Front erstarrte ab Mitte September. Die Alliierten sammelten ihre Kräfte nach einem langen und schnellen Vormarsch durch Frankreich und Belgien, und die Deutschen nutzten die Zeit zur Aktivierung der Verteidigungslinie. In diese Zeit fällt auch der Bau von Auffanglinien hinter dem Westwall. Im Kreis Daun hoben Tausende von Hitlerjungen, Volkssturmangehörigen und Zwangsverpflichteten aus allen Teilen Deutschlands Panzer- und Schützengräben an der Ostseite der Kyll aus. Der militärische Wert dieser Anlagen war jedoch gering. Die Amerikaner wähnten sich ihres Sieges sicher, und eine Eroberung des Reichsgebietes war nur noch eine Frage der Zeit. Umso überraschter waren sie, als am 16. Dezember 1944 aus dem Westwall heraus Truppen der Wehrmacht ihre letzte Offensive in die Ardennen starteten. Nachdem dieser Vormarsch schon nach wenigen Tagen durch Treibstoffmangel und gegnerische Luftangriffe zusammenbrach, zogen sich deutsche Truppen Ende Dezember wieder auf den Westwall zurück. Der entscheidende Kampf um den Westwall in den Ortschaften des Kreises Daun begann am 26. Februar 1945: Die 87. US-Infanteriedivision begann ihre Offensive zwischen Kehr und Ormont. Bis zum 28. Februar konnten mehrere verteidigte Bunker eingenommen werden. Einige Bunkerbesatzungen ergaben sich kampflos, und nicht alle Bunker waren besetzt.
Wie dieser Bunkerkampf ablief, schildert ein deutscher Regimentskommandeur: „Zunächst dringen Stoßtrupps gegen die Werke vor, nebeln sie ein, um den Verteidigern die Sicht zu nehmen, dann treten die Panzer zum Angriff an. ..die Panzer...richten ihr zusammengefasstes Feuer aus Kanonen und Maschinengewehren auf die Schießscharten. Gleichzeitig rücken riesige Spezial-Schaufelpanzer an, schieben dicke Erdwälle vor sich her, um die Bunkeröffnungen zuzuschütten, und in ihrem Schutz dringen Stoßtrupps vor und verstopfen die Luftschächte auf den Bunkern. .. Inzwischen haben andere Panzer die Bunkerkette durchbrochen, kommen von hinten an die Bunker heran und brechen mit wuchtigen Rammstößen die Bunker-türen…auf und feuern in die Räume hinein. Es ist ein aussichtsloser Kampf für die eingeschlossenen Grenadiere…“.

Aufgrund des überlegenen Materialaufwandes und der Kampfmethode der Amerikaner war eine Verteidigung in den Bunkern wenig sinnvoll. Die Bunker und ihre Besatzungen waren den modernen Angriffswaffen nicht mehr gewachsen.
Ausgedehnte Minenfelder und heftiges Abwehrfeuer erschwerten jedoch den Vormarsch und erst am Vormittag des 1. März erreichten die Amerikaner Ormont. Am 2. März begann der Angriff auf den Goldberg. Er lag nordöstlich von Ormont und war eine strategisch wichtige Höhe mit zahlreichen Bunkern und Stellungen. Nach heftigen Kämpfen fiel der Berg am frühen Nachmittag in amerikanische Hand. Weitere Westwallbunker wurden entweder einzeln ausgeschaltet oder die Besatzungen ergaben sich kampflos. Am 4. März wurden Kerschenbach und Hallschlag kampflos besetzt, und als nach kurzem Widerstand die Amerikaner gegen 17 Uhr Scheid besetzten, war das militärische Ende des Westwalles im Kreis Daun besiegelt.
Der Vorstoß nach Osten war nicht mehr aufzuhalten, die Kyllstellung kein ernsthaftes Hindernis mehr und ab dem 11. März 1945 war der gesamte Kreis Daun in amerikanischer Hand.

Sprengen, zukippen, zertrümmern

Unmittelbar nach dem Krieg begannen die Franzosen als hiesige Besatzungsmacht damit, sämtliche Bunker des Westwalles zu sprengen. Nur wenige Anlagen entgingen dieser Zerstörung, weil sie beispielsweise von den Gemeinden als Wasserbunker benutzt wurden. Die Bunkerruinen dienten der örtlichen Bevölkerung als willkommene Materialquelle für ihre zerstörten Häuser. Alles Brauchbare wurde ausgebaut. Besonders Metallteile

wie Türen, Metallplatten, Deckenträger und Pfähle aus den Höckerlinien fanden Verwendung. Gelegentlich kann man heute noch auf Viehweiden die Metallpfähle des Westwalles erkennen. Ansonsten wurden die Anlagen sich selbst überlassen. Für die Grundstückseigentümer wurden sie zunehmend zum Hindernis und Ärgernis. Nachdem 1957 gerichtlich geklärt wurde, dass die Bundesrepublik Deutschland Rechtsnachfolger und somit auch Eigentümer der Anlagen ist, begannen die Bundesvermögensämter schon bald mit dem Abriss und der Beseitigung der Bunker. In den kommenden Jahrzehnten wurde je nach Haushaltslage Vergangenheitsbewältigung in Form von Übererdung oder vollständiger Zertrümmerung der Anlagen betrieben. Nur die Höckerlinie blieb weitgehend davon verschont. Beliebt war auch, bei Flurbereinigungen sämtliche Anlagen einer Gemeinde auf einen Schlag zu zerstören und die Standorte zu „rekultivieren“. Selbst in den 90er Jahren, als der ökologische Wert und die zeitgeschichtliche Bedeutung des Westwalles längst bekannt waren, gingen die Zerstörungen systematisch weiter. Im Kreis wurden in dieser Zeit vor allem in Ormont, Oberstadtfeld und Zilsdorf die Anlagen gleich im Dutzend beseitigt.
Besondere Aufmerksamkeit erregte im Januar 2004 der Abbau eines Teilstückes der Höckerlinie bei Scheid. Ein reicher Amerikaner kaufte ein

14 Meter langes Originalstück der Panzersperre und ließ es auf seine Kosten freilegen, zersägen, abtransportieren und in seinem Privatmuseum in Galveston, Texas, wieder aufbauen.
Auch 2005 wurden noch Bunkeranlagen der LVZ in Hillesheim auf Privatinitiative der Grundstückseigentümer übererdet.

Heutige Situation

Wenn keine besonderen Vereinbarungen getroffen wurden, gilt für die Überreste des Westwalles Folgendes: Sämtliche Gebäudeteile sind Eigentum des Bundes, auch wenn sich der Grund und Boden im Privateigentum oder im Eigentum der Gemeinden befindet. Somit ist auch der Bund für die Verkehrssicherungspflicht verantwortlich. Grundstückseigentümer und Pächter erhielten noch von den Behörden des Dritten Reiches einmalige Entschädigungen für Nutzungsbeschränkungen und Ernteausfälle. Verwaltet werden die Relikte heute von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BI-MA) als Zweigstelle des Bundesfinanzministeriums, die auch für Sicherung bzw. Zerstörung der Anlagen verantwortlich ist.
Für den Kreis Daun konnte ich bisher 180 verschiedene Einzelanlagen lokalisieren. Davon sind 45 Anlagen endgültig zerstört und im Gelände kaum noch zu erkennen, 53 Objekte wurden übererdet und sind zumindest als „Bodendenkmäler“ i.d.R. im gesprengten Zustand noch erhalten, 60 Anlagen sind als gesprengte Anlagen noch erkennbar und 22 Einzelanlagen sind mehr oder weniger intakt vorhanden. Dazu zählen zahlreiche Geschützstände der LVZ West, einige ehemalige Wasserbunker und vor allem die Flakbatterie von Birresborn, die nahezu komplett noch im unzerstörten Zustand erhalten geblieben ist. Andere Anlagen verschwinden oder verschwanden langsam durch Lavaabbau, wie z.B. am Goldberg bei Ormont oder am Eselsberg bei Dockweiler. Einige wenige Anlagen sind in der Landschaft noch deutlich erkennbar, wie die LVZ-Stellung bei Tettscheid.Von der Höckerlinie sind von ursprünglich 4,5 km bisher erst 700 Meter vollständig zerstört oder stellenweise übererdet worden. Gut erhaltene Abschnitte gibt es in den Gemeinden Scheid, Hallschlag und Ormont. Nicht alle ursprünglich vorhandenen Bunkerstandorte konnten bisher lokalisiert werden. So befanden sich allein im Raum Scheid-Hallschlag-Ormont-Kerschenbach ursprünglich etwa 210 Einzelanlagen, von denen ich bisher erst 104 orten konnte. Von den restlichen Anlagen ist auszugehen, dass sie größtenteils bereits vor längerer Zeit spurlos beseitigt wurden.
Noch vorhandene Anlagen
finden sich oft in schwer zugänglichen Waldgebieten. Auch alte Schützengräben im Umfeld der Bunker sind in Wäldern oft noch zu erkennen. Vor allem in Waldgebieten östlich der Kyll sind in den Hängen noch weit verzweigte Laufgräben der ehemaligen Kyllstellung zu finden. Östlich von Gönnersdorf sind die Gräben auch gut im Offenland zu erkennen. Reliktartig sind auch noch Panzergräben zu finden wie z.B. ein wassergefüllter an der Crumpsmühle bei Oberbettingen.
Vom Landesamt für Denkmalpflege ist eine Unterschutzstellung aller rheinland-pfälzischen Anlagenteile als Flächen- und Streckendenkmal in Vorbereitung. Nach Vorgabe des Umweltministeriums müssen seit 2004 sämtliche Maßnahmen an Bunkern naturschutzfachlich geprüft und bewertet werden. Die Landesregierung erarbeitet zurzeit ein fachübergreifendes Konzept zur Sicherung des Westwalles.

Ökologische Bedeutung

Seit dem Kriegsende kam es an vielen Bunkerstandorten zu einer ungestörten Vegetationsentwicklung und zur Entwicklung von Wildnisstreifen und -inseln. Vor allem in offenen, intensiv genutzten Agrarlandschaften besitzen diese Inseln eine hohe faunistische und floristische Bedeutung. So können die Betonteile und Trümmer als künstliche Kalkfelsen für Moose, Flechten und Arten der Trockenrasen von hoher Bedeutung sein. Reptilien und Vögel des Offenlandes vom heckenbewohnenden Zaunkönig über Neuntöter bis zum Steinschmätzer finden hier ungestörte Brutplätze. Verschiedene natürliche Saum- und Gehölzgesellschaften konnten sich etablieren. Auf kleinstem Raum können so vom besonnten Trockenrasen bis zum schattigen Weidengebüsch verschiedenste Lebensräume mit hoher Artenvielfalt vorgefunden werden. Auch Arten der Roten Listen gehören dazu. Leider sind besonders diese offen liegenden Anlagen in der Vergangenheit besonders häufig geschleift worden. In Wäldern oder Waldrändern tritt die Bedeutung der Bunker für die Tierwelt stärker in den Vordergrund. Relativ gut untersucht ist hier z.B. die Bedeutung gesprengter Anlagen für die Wildkatze, die auch in Dauner Westwallbunkern nachgewiesen wurde. Hinzu kommen Dachse, Füchse und Marder, die häufig die Nischen und Höhlen gesprengter Bunker nutzen. Auch als Fledermausquartiere sind die Bunker je nach Jahreszeit und Innenklima geeignet. So ist ein Versorgungsstollen bei Neuenstein wegen seiner Fledermausvorkommen schon seit vielen Jahren aus Arten-schutzgründen gesichert und vergittert.
Die Höckerlinien stellen für den Biotopverbund ideale Vernetzungslinien dar, wenn sie sich naturnah entwickeln konnten.
Neben der bewussten Zerstörung der Anlagen ist eine zunehmende Vermüllung ein großes Problem. Drahtrollen, Siloplanen, Autoreifen, landwirtschaftliche Abfälle aller Art, Schutt und Erdaushub wurde und werden immer noch gerne an Bunkeranlagen abgekippt oder in die Hohlräume geworfen.

Ausblick

Durch die zunehmende öffentliche Kritik am Verhalten des Bundes und der BIMA hat ein Umdenkungsprozess stattgefunden. Sicherung statt Abriss und Übererdung sollen stärker im Vordergrund stehen, um ein weiteres „Verschwenden von Steuergel-dern“ (bis heute hat der Bund 35 Mio. € für den Abriss von Anlagen zur Verfügung gestellt) für einen fragwürdigen hypothetischen Schadensfall zu vermeiden. Die Bewertung und Bedeutung der Anlagen für den Tourismus, den Naturschutz

und den Denkmalschutz stehen dabei erst am Anfang. Es ist wichtig, den Westwall in seiner Gesamtheit und seiner räumlichen Staffelung und Tiefe zu begreifen. Der Schutz einzelner Vorzeigeanlagen reicht dazu nicht aus. Der Westwall in unserer Region bietet die Chance, die materiellen Überbleibsel eines größenwahnsinnigen und menschenverachtenden Machtanspruches begreifbar und erlebbar zu machen. Heimatkunde heißt dabei, auch die unrühmlichen und unerfreulichen Hinterlassenschaften einer tragischen Epoche als Mahnmale der „Un-Kultur“ zu zeigen und zu verstehen.
Somit kann der „Irrtum in Beton“ auch zukünftigen Generationen ein anschauliches Beispiel für den Irrsinn des Krieges und den Größenwahn einer Ideologie geben.

Quellen:
Büttner, I & M. Trinzen (2006): Zur Bedeutung von Bunkeranlagen des Westwalles für den Naturschutz. -

unveröff. Gutachten, Biologische Station im Kreis Euskirchen.
Christoffel, E. (1989): Krieg am Westwall 1944/45. - Verlag der akademischen Buchhandlung Interbook, Trier.
Groß, M. (1989): Der Westwall zwischen Niederrhein und Schnee-Eifel. - Rheinland-Verlag, Köln.
Groß, M. (2001): Bunkerstellungen der Luftverteidigungszone West im Rheinland und Hitlers Hauptquartier in Bad-Münstereifel-Rodert. - Verlag W. Sünkel, Leinburg.
Groß, M., H. Rode, R. Rolf & W. Wege-ner (1997): Der Westwall. Vom Denkmalwert des Unerfreulichen. Führer zu archäologischen Denkmälern im Rheinland. - Rheinland-Verlag, Köln.

Mayer, A. & M. Thömmes (2005): Trümmer - Tod - Befreiung. Der II. Weltkrieg im Kreis Daun 1939-1945. -
Helios-Verlag, Aachen. Nosbüsch, J. (2001): „Es werde Licht“. Volksfrömmigkeit contra Fortschritt. Eifeler Katholizismus - Tradition auf den Prüfstand. - Druckerei Anders, Niederprüm.

Ostermann, G. (im Druck): Floristisch-vegetationskundliche und landschaftsökologische Bedeutung der Westwallanlagen. - Tagungsband der Tagung FORTIS 05 in Trier.
Thömmes, M. (2000): „Die Amis kommen!“. Die Eroberung der Eifel durch die Amerikaner 1944/45. - HeliosVerlag, Aachen.