Eine Strohscheune erzählt

Maria Fritschen, Gerolstein

Einst stand ich stolz als eine Strohscheune in der Vulkaneifel. Es fehlte bei meinem Bauer an Lagermöglichkeit für die Erntevorräte. Darum beschloss man, mich zu bauen. Natürlich aus nachwachsenden Rohstoffen. Die Vorarbeit verlangte besonderen Arbeitsaufwand. Zur Schonung der Strohhalme wurden die Korngarben mit dem Dreschflegel ausgedroschen. Dabei halfen die größeren Kinder in der Winterferienzeit. Hatten die Körner sich aus den Halmen gelöst, zog mein Bauherr das Stroh eigenhändig durch einen Eisenkamm und bündelte es schon fachgerecht zusammen. Die Dreschhelfer nutzten diese kostbare Zeit, um die Winterfreuden richtig zu genießen. Mit festsitzenden Schlittschuhen drehten sie mit den anderen Dorfkindern ihre Runden auf dem Hof und der festgefrorenen, ungestreuten Schneedorfstraße. Auch das Fahren mit dem großen, vollbesetzten Fünf-Personen-Schlitten benötigte immer wieder einen erprobten Schlittschuhfahrer als Lenker. Hörten sie in der Scheune das vertraute flupp, flupp der Dreschflegel, waren die Helfer schnell zur Stelle und es ging im Vierertakt weiter. Mit den vorbereiteten Fichtenstämmen aus dem heimischen Wald wurde mein Grundriss angefertigt. Die Stämme setzte man im Boden ein, sie wurden mit Balken befestigt und verstrebt. Im Abstand von circa 30 Zentimeter kamen quer dünne Fichtenstangen zur Strohanbindung. Über das vorbereitete Stroh kamen von außen Haselnussruten. Mit einer besonderen Bindetechnik band man alles mit Weggewitt-Weidenruten ganz fest zusammen. Ein spezielles Brett

wurde dazu benutzt, um das Stroh in die richtige Form zu bringen. Im ersten Jahr entstand so mein Strohdach. Die Dachspitze bekam mit ausgestochenen Rasenstücken ihren festen Abschluss. In den nachfolgenden Jahren wurden je nach Strohvorrat meine Seitenteile geschlossen. Das Stroh wurde gestoßen und kam mit dem Stump nach unten. Dadurch entstand eine schöne Außenfassade. Bild der Strohscheune Durch die dicke Strohschicht war mein Inneres im Sommer kühl und im Winter warm. Dadurch blieben die Erntevorräte immer ganz trocken. Bei der Heuernte halfen die Kinder gerne mit. Waren ein paar Wagen Heu abgeladen, kletterten sie an meinen Fichtenstangen wie kleine Wiesel hoch. Oben auf dem großen Balken blieben sie - das war eine Mutprobe - mit vielen kribbelnden Schmetterlingen im Bauch stehen. Dann sprangen sie in das frische, duftende Heu. Anschließend spielten sie noch einige Runden Fangen. Der Vorgang wurde immer wieder gerne wiederholt. Die Kinder hatten ihren Spaß, und das Heu war auf spielerische Art eingetrampelt.
Dann begann der Krieg. Schon 1939-1940 wurden in meiner Nachbarschaft Versorgungsbaracken aufgebaut. Ich bekam früh die unangenehmen Seiten des Krieges zu spüren. Die mitgebrachten Pferde fanden Unterkunft unter meinem Dach. Die fraßen nicht nur Heu und Stroh, sie knabberten auch viel an meinem Innen- und Außenleben. Dann begannen die schlimmen Kriegswirren 1944-1945. Das war für mich eine besonders harte Zeit. Viele Soldaten umlagerten meinen schönen Standort. Damit sie ein weiches Nachtlager hatten, benutzten sie die eingelagerten Vorräte. Selbst aus meinem Gerippe zogen sie noch Stroh heraus. Das schmerzte sehr. Schnee, Wind und Regen zogen durch mich hindurch und hinterließen Spuren. Viel schlimmer war der Frontrückzug. Ich musste mit ansehen, wie ein Soldat sein junges Leben verlor. Wie gering waren dagegen all meine Steckschüsse. In der Nachkriegszeit wurden meine Wunden so gut es ging wieder repariert.
Nun begann auch für mich wieder eine schöne Zeit. Reges Leben rund um mich herum.
Die Kinder waren herangewachsen. Bild mit Kindern Der Jugendnachholbedarf war groß. In der gegenüberliegenden Baracke wurden die vorhandenen Fußböden geschrubbt und gebohnert. Die Tanzzeit begann. Ich freute mich über die tolle Tanzmusik. In den Pausen kam man mich oft besuchen. Dabei wurde in meiner Gegenwart
viel erzählt, gelacht und geflüstert. - Ich verrate nichts. -Die Jahre vergingen. Der Aufschwung begann. Mittlerweile wurde ich alt und gebrechlich. Die Spuren vom Kriegsgeschehen machten mir schwer zu schaffen. Ich hatte ja auch treu meine Pflicht erfüllt. So sackte ich immer mehr in mich zusammen. Die Natur hatte mich wieder. Mich, die gute alte Strohscheune aus Naturprodukten.