Gebt uns Eure Bohnen,
Petrus wird es lohnen

Ein altes Heischelied aus Oberstadtfeld

Heinz Schmitt, Trier

An entlegener Stelle wurde vor gut 150 Jahren durch den Trierer Zeitungsredakteur Nikolaus Hocker ein altes Spruchlied im Druck bekannt gemacht, das die Oberstadtfelder Mädchen seinerzeit auf ihrem Heischegang am ersten Fastensonntag von Haus zu Haus ziehend vorbrachten.1 Dieses wertvolle Dokument alten Eifeler Volkslebens verdient es wahrlich aus dem Dunkel des Vergessens hervorgeholt zu werden.
Dies umso mehr, als
es in seiner Originalität einzig dasteht.

Der Sagen-und Volksgutforscher Dr. Nikolaus Hocker

Die glückliche Überlieferung des Oberstadtfelder Heischelieds verdanken wir Nikolaus Hocker, einem Sohn des Trierer Landes. Sein bewegter Lebensweg sei hier kurz skizziert.2
Er erblickte am 22. März 1822 in Neumagen a. d. Mosel als Sohn des Steuerkontrolleurs Carl Friedrich Hocker und seiner Frau Louise Loyot, einer geborenen Pariserin, das Licht der Welt. Sein Vater hatte als ehemaliger preußischer Offizier den Sohn ebenfalls für die Soldatenlaufbahn vorgesehen. Aber die literarischen Neigungen des jungen Nikolaus überwogen schon früh und nach seinem Abschied aus der Armee 1842 begann er in Tübingen ein Germanistikstudium, das er aber nach dem Tod des Vaters 1845 frühzeitig beenden musste. Nachdem er während der Revolution 1848/49 in Köln eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hatte, übernahm er 1849 die Redaktionsleitung der in Trier erscheinenden Saar- und Moselzeitung. 1856 verlässt er Trier und geht als Redakteur nach Düsseldorf und später nach Köln. Dort machte er die Bekanntschaft des Rheinischen Großkaufmanns und Wirtschaftspolitikers Gustav von Mevissen, der sein Förderer wurde. Verstärkt wandte sich Hocker nun auch wirtschaftspolitischen Fragen zu und erwarb sich hierin eine derartige Kompetenz, dass ihn schließlich 1867 die österreichischungarische Regierung zum Kanzler ihres Generalkonsulats für Rheinland und Westfalen in Köln berief. Nachdem er bis 1898 Kanzler gewesen war, starb er am 21. Dezember 1900 hochgeachtet in Köln. Während seines Studiums und vor allem während seiner Trierer Zeit hatte er seine Liebe zum deutschen Altertum entdeckt. In zahlreichen Publikationen veröffentlichte er von ihm zusammengetragene volkstümliche Sagen und Erzählungen, ebenso eigene Dichtungen.
In Anerkennung seiner Arbeit für die Bewahrung des alten deutschen Erzählguts und seiner Dichtungen verlieh ihm die philosophische Fakultät der Universität Tübingen 1857 die Doktorwürde.

Nikolaus Hocker stand mit zahlreichen führenden Altgermanisten und Sagenforschern in brieflichem und persönlichem Kontakt. Der Geist der Romantik und das in den Freiheitskriegen gegen die französische Fremdherrschaft erstarkte Nationalbewusstsein hatten den Blick der geistigen Elite verstärkt auf die Erzeugnisse des deutschen Altertums gelenkt, in denen man den Urgrund für gegenwärtige und zukünftige Stärke auszumachen glaubte. So sammelte Jakob Grimm (1785-1863) unermüdlich deutsche Weistümer als Quellen deutschen Rechtslebens und nicht wenige hat Nikolaus Hocker ihm übermittelt. Ein Hoffmann von Fallersle-ben (1798-1874) wanderte bis nach Trier, um alte Handschriften zu sichten und traf hier 1852 auch Hocker. Eng befreundet war Hocker vor allem mit dem Bonner Germanisten Karl Simrock (1802-1876), der durch seine meisterhafte Nibelungenübersetzung höchsten Ruhm erlangte und dessen Biograph Hocker später werden sollte.3
Als geborener Moselaner lag Nikolaus Hocker das Trierer Land mit seiner Geschichte und seinen Menschen natürlich besonders nahe. So zog er in seinen Mußestunden ständig über Land und sammelte gewissenhaft alles, was ihm unter die Augen und zu Ohren kam. Auf diese Weise dürfte er auch das Oberstadtfelder Heischelied kennengelernt haben.

Der erste Fastensonntag

Am Sonntag Invocavit, dem ersten Fastensonntag, wird noch heute vor allem in der Westeifel das Fastenfeuer abgebrannt oder das Feuerrad die Berge hinabgerollt. Entsprechend der verschiedenen lokalen Ausprägungen des Brauches wird der erste Fastensonntag als Burg-, Hütten-, Schaub-, Rad-, Erbsen-und auch Kuchen- oder gar als Freudensonntag bezeichnet.4
An diesem Tag sind die Erwachsenen außen vor und ihnen bleibt nur die Rolle des Zuschauers. Die Jugend hat das Sagen und bestimmt den Ablauf des Festes. Mit dem Feuer soll einmal die symbolische Austreibung des Winters durchgeführt und zum andern das Ende der Karnevalszeit und der Beginn der Fastenzeit angezeigt werden. Auch Oberstadtfeld gehört zu den Orten, wo man seit undenklichen Zeiten den Brauch des Fastenfeuers übt, und zwar indem man das Feuerrad den Berg hinunterlaufen lässt. Den Ablauf im einzelnen hat Reinhard Steffens in unserem Jahrbuch beschrieben.5

Das Oberstadtfelder Heischelied

Nikolaus Hockers Freund Johann Wilhelm Wolf gab 1853 den ersten Jahrgang seines allerdings nur kurzlebigen Periodikums Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde heraus. Der Titel war Programm und die Zeitschrift sollte allen Interessierten eine Plattform bieten, wo jede nur denkbare Besonderheit deutschen Volkslebens, ebenso Schriftdenkmäler literarischer wie volkstümlicher Art, Sagen, Geschichten, Bräuche und mundartliche Eigenheiten zusammengetragen und bekannt gemacht werden konnten.
Hocker war von Anfang an eifriger Mitarbeiter und ließ Wolf so auch das Oberstadtfelder Heischelied zukommen. Dazu beschreibt er kurz den Verlauf des ersten Fastensonntags in Oberstadtfeld. Hiernach wurde nach Einbruch der Dunkelheit von der erwachsenen Jugend ein Feuerrad vom Berg gerollt. Das Rad musste derjenige junge Mann stellen, der sich zuletzt verheiratet hatte. Zuvor hatten die Schuljungen das Stroh für das Rad zu sammeln. Gleichzeitig zogen die Schulmädchen von Haus zu Haus und mussten die „Erbsen“, sprich Essbares, heischen. Das Gesammelte wurde nach dem Lauf des Rades von Jungen und Mädchen gemeinsam verzehrt. Beim Heischegang „sangen“ die Oberstadtfelder Mädchen das folgende, sonst scheinbar nirgends bekannte Lied: 6
Freud ! Freud ! Gott will uns
erfreu`n !
Gebt uns Eure Erbsen,
sie wachsen auf den Bergen.
Gebt uns Eure Bieren,
sie wachsen auf den Stielen.
Gebt uns Eure Äpfel,
sie wachsen auf den
Schnäppen.
Gebt uns Eure Bohnen,
Petrus wird es lohnen.
Der vollen Schüsseln drei,
darum sind wir hei.
Der vollen Schüsseln vier,
aufs Jahr zurückkehren wir.
Klapper, Klapper, Ringelstab,
gebt den armen Kindern was.
Gebt ihnen was und laßt sie
gahn,
das Himmelreich ist
aufgethan.
Die Hölle ist geschlossen.
Petrus ist ein guter Mann,
er hat die Schlüssel in der
Hand,
schließt auf, schließt zu,
rother Apfel, golden Brod.

Auffallend ist die Länge des Lieds mit 22 Verszeilen, bevorzugen Kinder doch aus naheliegenden Gründen kürzere Heischeverse, wie etwa:

Bin ein kleiner König,
gib mir nicht zu wenig!
Lass mich nicht so lange
steh`n,
denn ich muss noch weiter
geh`n ! 7

Das Oberstadtfelder Lied wurde nicht eigentlich gesungen, sondern in dem den Heischeliedern oder Heischesprüchen eigentümlichen monotonen Singsang oder Sprechgesang vorgetragen, natürlich in Oberstadtfelder Mundart. Für die gegebenen Gaben wird Belohnung durch den hl. Petrus in Aussicht gestellt. Und zwar müssen die Spender nicht den bitteren Weg in die Hölle antreten, sondern Petrus wird ihnen dereinst das Tor zum Himmel aufsperren. Was kann ein Kinderherz Schöneres versprechen? Bleibt zu hoffen, dass der uralte Brauch der Oberstadtfelder, das Feuerrad zu binden und als Frühlingsbote zu Tal rollen zu lassen, noch lange lebendig bleibt, auch wenn das Lied ihrer Vorfahren längst verklungen und vergessen ist.

Anmerkungen :

1 HOCKER, N(IKOLAUS), Gebräuche, in: Zeitschr. f. deutsche Mythologie u. Sittenkunde 1,
1853, S. 88-90, hier: S. 90

2 Zu Leben und Werk Hockers vgl. FRANZ, GUNTHER, Spee bei den patriotischen Dichtern des 19. Jahrhunderts: Nikolaus Hocker und August Silberstein, in: Spee-Jahrbuch 1, 1994, S. 147-158; SCHMITT, HEINZ, Revolutionär, Moseldichter, Sagenforscher und vieles mehr - Erinnerung an den großen Neumagener Sohn Dr. Nikolaus Hocker (1822-1900), in: Jahrbuch Kreis Bernkastel-Wittlich 2002, S. 324-329; ZIERDEN, JOSEF, Art. Hocker, Nikolaus, in: Trierer Biographisches Lexikon, hg. v. HEINZ MONZ, Trier 2000, S. 183
3 HOCKER NIKOLAUS, Carl Simrock. Sein Leben und seine Werke, Leipzig 1877
4 AUBIN, HERMANN / FRINGS, THEODOR, / MÜLLER, JOSEF, Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden, Bonn 1926 (ND Bonn 1966), S. 208 - 212
5 STEFFENS, REINHARD, Das Feuerrad rollt zu Tale. Altes Brauchtum in Oberstadtfeld gepflegt, in: Heimatjahrbuch Kreis Daun 1986, S. 190-1916 Die Groß- und Kleinschreibung und die Interpunktion wurden modernisiert.
7 Zahlreiche Beispiele bei WEBER, CLARA, Die Heischelieder an Fastnacht im Rheinlande, Diss. Köln 1933 (Beitr. z. rhein. u. westfäl. Volkskde. in Einzeldarstellungen 8)