Geschichte und Geschichten

Die Hillesheimer Wundertüte

Karin Hölscher, München

Am Anfang war es nur ein Name: Amalia Elgas. So hieß meine Großmutter, die 1918 an der Spanischen Grippe starb, als meine Mutter gerade zwei Jahre alt war. Eine neue Mutter kam ins Haus, weitere Geschwister wurden geboren, Amalia schien vergessen. Ich wusste nur, dass es sie gegeben hatte, sonst nichts. Im Frühjahr 2006 erinnerte ich mich an sie. Inzwischen war ich selbst Großmutter, die berufliche Tätigkeit lag hinter mir, und der Wunsch entstand, den eigenen Wurzeln nachzuspüren. Doch wo anfangen?
Onkel Winfried, Halbbruder meiner Mutter und begeisterter Familienforscher, gab mir den Tipp, mich an das Standesamt in Nonnweiler zu wenden, denn das Familienbuch wies aus, dass der Großvater mütterlicherseits dort geboren war. Und nun passierte mir absolutem Laien der Glücksfall, dass ich von dort ein paar kopierte Seiten aus einem Buch zugeschickt bekam, in dem fleißige Heimatforscher in Kleinarbeit die Einträge der Kirchenbücher zusammengetragen hatten und ich dadurch Informationen über einige Ahnengenerationen der Familie Elgas erhielt, die -ein weiterer Glücksfall - alle in Nonnweiler ansässig waren.
In dieser Auflistung fiel mir sofort ein Name auf, der aus dem Rahmen fiel: Eine Maria Franziska von Hillesheim, geb. 1701, hatte den bürgerlichen Franz Carl Elgass geheiratet. Wie kam es zu dieser Verbindung? Mein vorher noch gemäßigteres Interesse an der Ahnenforschung war geweckt, ich hatte Lunte gerochen und wollte nun mehr wissen. Allerdings wusste ich diesmal gar nicht, wo ich ansetzen konnte. Und nun kommt der Zufall ins Spiel, oder hat Urahn Tilkin die Fäden gezogen?

In langen nächtlichen Internetsitzungen fahndete ich nach allem, was mit dem Namen Hillesheim in Verbindung gebracht werden konnte, bis ich sogar auf die sehr naive Idee verfiel, Herrn Klassmann vom Heimatjahrbucharchiv Landkreis Daun anzumailen, ob er mir bei der Suche nach meinen Vorfahren helfen könne. Allerdings war ich realistisch genug, mir nicht viel davon zu versprechen.
Umso mehr staunte ich, als mich eines Tages eine Mail von einer Felicitas Schulz aus Hillesheim erreichte, die sich als Heimatgeschichtskundige vorstellte, mir eine Fülle von neuen Daten zur Familiengeschichte derer von Hillesheim mitteilte und auch noch von einem geplanten historischen Stadtrundgang erzählte.
Ich war völlig aus dem Häuschen über dieses unerwartete Geschenk. Eine Freundin ließ sich von meiner Begeisterung anstecken, und so war der Entschluss zur Reise nach Hillesheim schnell gefasst. Am Freitag, den 14. Juli 2006, starteten wir morgens von München aus gen Hillesheim, Beide sind wir schon in der Welt herumgekommen, aber die Eifel kannten wir noch nicht. Ich hatte ein vages Bild von einer eher kargen und rauen Gegend und einem jahrhundertelangen harten Überlebenskampf der Bewohner, die ich mir daher auch eher reserviert vorstellte. Doch dieses triste Bild hab ich dann ganz schnell revidiert, als wir am Freitagabend den ersten Stadtrundgang in Hillesheim unternahmen. Wir staunten über das harmonische Stadtbild, die anmutigen Farben der Häuser, die vielen romantischen Ecken, den liebevollen Blumenschmuck, die imposante Stadtmauer und, und, und … Wir waren hingerissen!
Die Krone setzte dann noch die Stadtführung am
nächsten Tag auf. So etwas hatten wir noch nicht erlebt: Schaurige und komische Szenen aus der Stadtgeschichte, gespielt von einer engagierten Theatergruppe, als Bühne die Stadt selbst, alles fügte sich zu einem harmonischen Ganzen, das unvergesslich bleibt. So wird Geschichte zur Gegenwart! Felicitas Schulz ließ sogar meine Ahnin Maria Franziska auftreten, hinreißend gespielt von Hildegard Gallmeister. Beiden gebührt ein besonderer Dank. Aber auch die anderen Darsteller verdienen Lob, ein Highlight setzten die malerischen Hexen mit ihrem abschließenden Tanz vor der Stadtmauer.Und damit sind wir auch bei dem, was uns besonders berührt hat, nämlich den Begegnungen mit Bewohnern von Hillesheim. So viel offene Herzlichkeit, wie wir sie hier erlebt haben, ist selten. (Als nach Bayern Zugereiste weiß ich, wovon ich spreche.) Liegt es daran, dass Hillesheim so viel Bilderbuchidylle besitzt?
Oder ist es diese liebliche Landschaft, die so freundlich stimmt? Ich jedenfalls konnte mich an den weiten Blicken über die Hügelketten nicht satt sehen und spürte, wie Friede ins Gemüt zieht. Der Aufenthalt in Hillesheim dauerte drei Tage. Dank meiner unternehmungslustigen Freundin Ulla unternahmen wir viele Ausflüge, u.a. nach Wiesbaum (=Weseme) und Nohn, um den Spuren der Ahnen zu folgen. Zumindest denen, die mir bis dahin bekannt waren. Und dass der Burgmann Tilkin von Weseme, der sich später Tilkin von Hillesheim nannte, zu ihnen gehört, das hab ich jetzt auch erfahren dürfen. Doch Felicitas sorgte auch dafür, dass sich Tilkins lebende Nachfahren treffen, indem sie mir Christina Hillesheim vorstellte, die jetzt bei Bonn lebt. Wir waren uns von Anfang an vertraut. Und ich war wirklich
platt, als wir ganz viele Parallelen in unseren Anschauungen, Neigungen, Verhaltensweisen und sogar im Lebenslauf feststellten!
Das kann doch nur an unseren gemeinsamen Genen liegen, oder? Ahnensuche gestaltet sich wie ein Krimi, sie ist genauso spannend, und jedes Detail ist ein Puzzlestück. Die Suche nach den Ahnen ist ein Hobby, das mich jetzt schon vielfach bereichert hat. Der Horizont wird weiter, man begreift sich als Glied in einer Kette, kreist daher nicht nur um die eigene Person und erkennt - trotz aller Privilegien, die meine Hillesheimer Vorfahren damals besaßen -, dass man Glück hat, in der gegenwärtigen Zeit zu leben, ohne Pest, Brände, Wölfe und Hexenverbrennung.

Und ohne die Ahnensuche hätte ich nicht den Besuch in Hillesheim unternommen, was wirklich schade gewesen wäre. Und ich weiß sicher, dass ich wiederkomme!