Mehr Respekt für Moselfränkisch

Wilma Herzog, Gerolstein

Stellen wir uns unsere Eifel-heimat doch ganz einfach einmal als leibhaftige Königin aus altem moselfränkischen Adel vor. Schlagartig wird jedem der hohe Wert der Ursprache unserer Heimat bewusst. Moselfränkisch wurde in so vielen klangvollen Variationen gesprochen, wie es Ortschaften gibt und wurde stets mündlich weitergeben. Des Schreibens und Lesens über Jahrhunderte unkundig, hatten unsere Vorfahren dennoch für jede Tätigkeit und die dazu verwendeten Werkzeuge und Gerätschaften eigene Bezeichnungen, wie für alle Vorgänge im Leben und Alltag. Einige Beispiele:
Angel w.        - Stachel der
Biene
afjewonne - verbraucht
Haalsched - die Hälfte
Huddel m. - die Mühe
hiermeedesch - taub
mell              - gar

Sie kamen bestens ohne Wetterbericht zurecht, weil sie durch feine Beobachtungen des Himmels, der Tiere und Pflanzen zu den für sie wichtigen Erkenntnissen kamen, die sich in vielen noch heute erhaltenen Sprichwörtern und Redewendungen niederschlugen. Mit großer Menschenkenntnis ersannen sie treffende Metaphern für Pech, Glück, Krankheit oder Verderben, das den einzelnen traf. Bei Glück:
Wenn eemes Jeleck hät, däm kalwen de Oossen. Bei lebensbedrohlicher Krankheit:
Dä verjeht wie en Schrewen on der Pann. Von einem Faulen sagte man:
Dä schweeßt bejm Ääße on freert bej der Arbeed. Selbst diese letzte negative Bezeichnung einer menschlichen Schwäche klingt in Mundart ausgedrückt bei weitem erträglicher als im Hochdeutschen, einer Einheitssprache, die sich erst durch Martin Luthers Bibelübersetzung verbreitete. Die Rede ist hier allerdings immer vom echten Moselfränkisch, unserem einzigartigen Kulturerbe und nicht von mundartlich aromatisiertem Hochdeutsch, dessen sich auch manche so erfolgreiche Gesangsgruppe bedient. Das sogenannte Hochdeutsch mit Streifen ist gegenüber unserem Moselfränkisch eine Fälschung, wie der völlig fruchtlose, künstlich gefärbte und synthetisch aromatisierte Joghurt gegenüber dem selbsthergestellten mit aromatisch frischen Erdbeeren aus dem eigenen Garten. Leider entwöhnt uns das griffbereite große Angebot der künstlich aromatisierten Waren vom großen Genuss des urtümlichen Echten. Die Sprache betreffend ist das genau so. Denn unsere Mundart besitzt uralte Wörter, die es im Hochdeutschen nicht gibt, dazu gehört eine eigene Satzstellung, die den Genuss erst vervollkommnet. Es ist nicht zu verleugnen, dass mit dem Fortfall der alten handwerklichen und landwirtschaftlichen Tätigkeiten, die Fachbezeichnungen in Vergessenheit geraten sind. Immer schneller werden mit dem Fortschritt Wörter und ihre Bedeutungen verloren gehen.
Das ist ein natürlicher Verlust. Dennoch droht unserer Mundart Gefahr von ganz anderer Seite:
Dadurch, dass Moselfränkisch immer wieder im Karneval zu derben Späßen in die Bütt gezerrt wird. Die andere Gefahr ist die sogenannte Bauerndichtung. Im ersten Moment scheint diese noch völlig harmlos. Was aber mit der „Reim-dich-oder-ich-fress-dich-Methode“, durch den, wie auch immer, manchmal gar in der Vulgärsprache angeflickten Endreim, intern bei Familienfestchen noch durchgehen darf, ist rundweg ungeeignet und kein druckwertes Beispiel echter Lyrik. Es schädigt unser gefährdetes Kulturgut.

Wenn ein zeitgenössischer Lyriker der Hochsprache bekennt, dass er ein einziges Gedicht bis zu 100 Mal umschreibt, ehe er damit zufrieden ist, dürfen wahre Mundartdichter nicht weniger respektvoll mit unserem Moselfränkisch umgehen. Auch sie kommen nicht daran vorbei, sich zuerst die wesentlichen Grundlagen dafür zu erarbeiten, wenn sie ein akzeptables Werk anstreben.
Mundart eignet sich sowohl für Prosa wie Lyrik. Manche gereimten Beiträge wären viel wertvoller in Prosaform. Denn neben der wichtigen Information, z.b. der Schilderung alter Tätigkeiten, wäre dabei das Wesentliche der Mundart, ihr wunderbarer Klang, durch die ihr eigene Wortstellung und Grammatik hervorgekommen. Doch wird immer wieder der Reim bevorzugt.
Aber ohne wiederholtes Feilen, Umarbeiten, Kürzen, auch kritisches Aussortieren, das ebenfalls dazu gehört, gibt es kein gutes Resultat. Wer Hilfe hierfür sucht, findet sie. Es sind geeignete Bücher auf dem Markt. Es gibt neben anderen Arbeitskreisen, für die in den Grenzen der alten Rheinprovinz lebenden Mundartschaffenden, die „Gruppe Rheinischer Mundartschriftsteller“, die bislang jedes Jahr von Literaturprofessoren geleitete Seminare anbietet, für Prosa, Lyrik, Hörspiel, Theater und alles, was in Mundart geschaffen werden kann. Wir Mitglieder arbeiten daran „der Mundart ihr weitverbreitetes Image als Bauern- und Karnevalsdichtung zu nehmen“. Wir sehen an den beispielhaft erstklassigen Arbeiten unserer Freunde vom Niederrhein, welch hohe Stufe der Kunst ihr Mundartschaffen bereits erreicht hat. Unter diesem Gesichtspunkt bedaure ich manche meiner eigenen früheren Veröffentlichungen. Unser erster Vorsitzender Heribert Klar mahnte uns, wie heute sein Nachfolger Jupp Pasch: „Gutgemeint ist noch lange nicht gut gemacht“. Weil Mundart aber allen Stimmungen gerecht wird, darf die Gewichtung nicht weiter auf derb-lustigem Unterhaltungswert liegen. Mundartbeiträge sollten alleine deshalb von hoher Qualität sein, weil Heimatschriften Nachschlagewerke der Generationen sind.
Mundart leistet genauso gut wie das Hochdeutsche: Besinnliches und Modernes. Auch feinsinnige Gefühlsoder Gedankenlyrik kann damit ausgedrückt werden. Diese Erinnerung richtet sich an alle, die sich respektvoll mit unserem Kulturgut befassen möchten. Humor soll auch nicht zu kurz kommen, aber nicht ausschließlich, sonst zeichnet dies ein völlig falsches Bild vom Eifeler Menschen, untergräbt seine Würde, seinen Geist und seine Fähigkeiten.
Gäbe es unsere eingangs erwähnte Königin aus altem moselfränkischen Adel in Wirklichkeit, wer würde dann noch riskieren, ihr als Geschenk ein Werk zu Füßen zu legen, das nicht genügend gefeilt und poliert ist? Unsere moselfränkische Sprache ist stark bedroht, sie wird eines Tages vergessen sein. Darum trägt jeder, der heute Mundart veröffentlicht, eine ernst zu nehmende Verantwortung. Prosa sollte die bevorzugte Darstellungsform sein, und wenn schon ein Werk in Lyrikform erscheinen soll, dann bitte nur auf gekonnte Weise, damit heute und später auch noch, Sinn, Schönheit und die Verbindung zu den heimatlichen Wurzeln darin gefunden wird.