Von Worringen bis Baesweiler:

Dauner Ritter

Auf den Schlachtfeldern des Mittelalters

Manfred Etten, Mainz

Als die Sonne über dem Schlachtfeld unterging, wusste Ritter Richard von Daun, dass er diesen Tag nie mehr vergessen würde. Es war der schwärzeste Tag in seinem bisherigen Leben. Dabei hatte er so glanzvoll begonnen. Am frühen Morgen hatte man im Kloster Brauweiler einen bewegenden Gottesdienst gefeiert. Der Erzbischof von Köln hatte die Waffen gesegnet und den Schutz der Gottesmutter Maria und des heiligen Georg für das kommende Gefecht erfleht. Dann war das Heer zu den Rheinauen aufgebrochen. Noch vor Mittag hatte man die Gewanne zwischen den Weilern Fühlingen und Worringen erreicht. Dort hatte der Gegner schon Aufstellung genommen: der Herzog von Brabant mit seinen Verbündeten aus Jülich, Looz und Berg, dazu das Fußvolk aus der Stadt Köln. Es war ein prächtiges Bild:
Die Rüstungen schimmerten im Sonnenlicht, die bunten Banner flatterten im Wind, darunter auch das Dauner Banner mit dem weißen Gitter auf rotem Grund. Richard stand mit seinen Männern in der Mitte der Schlachtordnung im luxemburgischen Kontingent; rechts die Leute des Erzbischofs von Köln, auf dem linken Flügel die Verbündeten von Geldern. Zusammen war man 2800 Reiter stark und deutlich in der Überzahl. Als das Gefecht begann, ahnte niemand, dass es in einem entsetzlichen Gemetzel enden würde. Der Kampf tobte mehr als sechs
Stunden lang. Mit eigenen Augen musste Richard mit ansehen, wie sein lieber Herr Graf Heinrich von Luxemburg von einem brabantischen Ritter tot gestochen wurde.
Auch Heinrichs Brüder, die Herren Walram von Ligny und Heinrich von Houffalize, verbluteten auf dem Schlachtfeld. Damit war eine ganze Generation des Luxemburger Grafenhauses mit einem Schlag ausgelöscht. Nun konnte man die Fürsten nicht einmal mehr in Würde bestatten, denn ihre Körper waren von den Pferden bis zur Unkenntlichkeit zerstampft worden. Sie wurden jetzt zusammen mit ihren gefallenen Gegnern im Massengrab verscharrt. Insgesamt waren wohl um die 2000 Männer tot geblieben. Immer
hin:
Die Gefährten aus der Eifel, die mit Richard gekämpft hatten, lebten noch. Sein Schwiegervater Dietrich von Kerpen war verwundet, aber nicht schwer. Wilhelm von Manderscheid und die beiden Schönecker, Heinrich und sein Sohn Gerhard, hatten sich retten können. Der Freund Dietrich von Ulmen war in Gefangenschaft geraten - Glück im Unglück, denn vielleicht hatte ihn das vor dem sicheren Tod bewahrt. Nach all dem konnte Richard froh sein, dass auch er mit dem nackten Leben davongekommen war. Ob Richard von Daun tatsächlich an der Schlacht von Worringen am 5. Juni des
Jahres 1288 teilgenommen hat, ist nicht eindeutig erwiesen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, denn seine Familie gehörte zu den vornehmsten Amtsträgern und langjährigen Vasallen der Grafen von Luxemburg. Seit 1224 war diese Seitenlinie der Herren von Daun, die sich später nach ihrem neuen Wohnsitz auch von Densborn nannte, erblich mit dem luxemburgischen Marschallamt belehnt. Kaum denkbar also, dass der Graf bei diesem wichtigen Feldzug gerade auf seinen Marschall verzichtet haben sollte. Die Schlacht bei Worringen war eine der größten und blutigsten des europäischen Mittelalters. Die

Parteien stritten um das Limburger Erbe und die Macht am Niederrhein. Offene Feldschlachten, bei denen sich ganze Heere gegenüberstanden, waren im Mittelalter die Ausnahme. Im Regelfall bestanden die damaligen Kriege und Fehden aus einer Reihe kleinerer Scharmützel und Raufereien. Viel Ruhm und Ehre war dabei nicht zu holen. Kam es dagegen zu einer großen Schlacht, war dies für die Ritter ein spektakuläres Abenteuer. Endlich konnte man das Kriegshandwerk, zu dem man geboren und ausgebildet war, im großen Stil zelebrieren. Wer sich im Kampf bewährte, hatte beste „Karrierechancen“ in der Ritter-Hierarchie. Andererseits war das Risiko enorm: Man setzte Leben und Gesundheit aufs Spiel, und bei einer Niederlage drohten empfindliche Verluste. Besonders die Auslösung aus der Gefangenschaft war teuer.
Zwar bekamen die Vasallen ihre Schäden von ihren Herren ersetzt, aber sie mussten in Vorleistung treten und die Auslagen anschließend bei ihren Fürsten geltend machen. Dabei mussten sie, wie wir sehen werden, ihrem Geld manchmal jahrelang hinterherlaufen. Unser Marschall Richard scheint sich von dem Worringer Desaster schnell erholt zu haben, denn nur knapp anderthalb Jahre später finden wir ihn erneut auf dem Schlachtfeld. Diesmal kämpfte er nicht für die Luxemburger, sondern für den Herzog Friedrich von Lothringen, einen Neffen des bei Worringen
gefallenen Grafen Heinrich. Herzog Friedrich war in eine langwierige Fehde mit dem Bischof von Metz um die Erbschaft Blieskastel verwickelt. Dafür hatte er auch einige Ei-felritter angeworben, darunter schon 1282 den Richard von Daun. Im September 1289 zog Richard mit den lothringischen Truppen durch Metzer Gebiet bei St. Avold. Mit dabei waren einige Kampfgenossen, die auch schon bei Worringen an Richards Seite gestanden hatten, darunter Wilhelm von Manderscheid und Dietrich von Kerpen, der Vater von Richards Ehefrau Lucardis. Am 1. Oktober stießen sie im Warndtwald bei der Ortschaft Berweiler mit den Leuten des Bischofs von Metz zusammen - und erlitten eine böse Schlappe. Die siegreichen Metzer nahmen zahlreiche adlige Gegner gefangen. Anders als bei Wor-ringen, wo wir über die Schadensregulierung wenig wissen, ist dieser Vorgang hier nun gut dokumentiert. Wilhelm von Manderscheid bezifferte seine Verluste auf 404 Pfund Trierer Denare, die er dem Herzog von Lothringen in Rechnung stellte; dieser erstattete die Auslagen in zwei Raten im November 1290 und April 1292. Ruprecht von Virneburg wurde im November 1290 vom Herzog entschädigt; sein Bruder Heinrich (der spätere Erzbischof von Köln), der in Gefangenschaft geraten war, musste dagegen bis 1294 auf sein Geld warten. Auch Dietrich von Ker-pen war gefangen genommen worden. Die Metzer hatten ihn wohl mächtig geschröpft, denn er reklamierte die Riesensumme von 700 Pfund,
von der ihm der Herzog im November 1290 eine erste Rate von 200 Pfund erstattete. Auch Dietrich musste lange auf den Rest warten: Erst am 23. Februar 1298, also mehr als neun Jahre nach dem Kampf, stellte er seinem Herrn eine abschließende Quittung aus. Richard von Daun ist demgegenüber noch glimpflich davongekommen. Sein Schaden belief sich auf 120 Pfund Denare, wobei noch weitere Schulden des Herzogs aus früherer Zeit einberechnet waren; dass er Gefangenschaft erleiden musste, erwähnt er nicht. Am 13. Dezember 1293 erhielt er einen Abschlag von 20 Pfund, die Restschuld hat der Herzog dann recht zügig „abgestot-tert“: Genau ein Jahr später, am 13. Dezember 1294, erklärte Richard, dass er für allen Schaden, den er und seine Mitkämpfenden bei Berweiler erlitten hatten, nunmehr vollauf bezahlt sei. Damit war er nach mehr als fünf Jahren endlich mit seinem Kriegsherrn quitt. Richard fand sein Ende im übrigen nicht auf irgendeinem fernen Schlachtfeld, sondern starb friedlich und eines natürlichen Todes auf seiner Burg Densborn im Jahr 1316.

Machen wir einen Sprung in die übernächste Generation der Marschälle von Daun. Auch Richards Enkel, nach seinem Großvater ebenfalls Richard genannt, kämpfte in einer Schlacht, die Geschichte machte: in der Schlacht von Baesweiler am 22. August 1371. Wieder ging es um luxemburgische Ansprüche auf das Herzogtum Limburg, die Koalitionen waren nun aber andere als damals bei Worringen. Wenzel, Graf und Herzog von Luxemburg, war als Nachfolger seines Schwiegervaters auch Herzog von Brabant und Limburg geworden. Sein Rivale um die Vorherrschaft in diesem Raum war der Herzog von Jülich, verbündet u.a. mit den Herren von Geldern, Berg, Nassau und Wied. Auf Seiten Luxemburgs standen u.a. die Herren von Bar, Namur, Vianden, Kronenburg, Sponheim-Kreuznach und Sponheim-Starkenburg. Richard kämpfte für Graf Johann von Spon-heim-Starkenburg im luxemburgischen Aufgebot unter dem Banner des Truchsessen Dietrich von Welchenhausen. Das Schicksal wollte es, dass auch dieses Unternehmen unglücklich endete:
Die Luxemburger wurden bei dem Ort Baesweiler nordöstlich von Aachen vernichtend geschlagen; die Überlebenden, also auch unser Richard, gingen in Gefangenschaft. Aus den Urkunden dieser Zeit ist abzulesen, dass die Dauner durch diese Umstände in arge Geldnot gerieten.
Noch am Tag der Schlacht, am 22. August, verpfändeten Richards Frau Anna und sein Bruder Johann die Einkünfte aus ihren Dörfern Erdorf, Metterich und Gransdorf an das Stift Kyllburg für 300 Goldgulden. War die Nachricht von Richards Missgeschick so schnell in die Eifel gedrun
gen? Oder brauchten die Dauner das Geld, weil sie sich schon im Vorfeld der Schlacht verschuldet hatten, um die hohen Kosten für Reise und Ausrüstung zu decken? Wie dem auch sei - in den folgenden Wochen und Monaten ist die Familie emsig bemüht, Mittel flüssig zu machen. Am 30. August verkauft sie ihre Dörfer Dohm und Birgel für 370 Mark Hillesheimer Währung an den Ritter Richard Hurt von Schönecken auf Wiederkauf. Richards Bruder Johann hat die Sache in die Hand genommen, denn Richard sitzt noch in Haft. Dies ändert sich erst im Frühling des folgenden Jahres: Am 21. Juni 1372 einigen sich Herzog Wenzel und der Herzog von Jülich, die beiderseitigen Gefangenen freizulassen. Richard hat damit seine Bewegungsfreiheit wiedergewonnen; eine Woche später, am 27. Juni, kann er in Aachen seine Lehen vom neuen Kölner Erzbischof Friedrich empfangen. Den finanziellen Druck ist er aber noch nicht los. Noch immer wartet er auf die Kompensationszahlungen seines Herrn Johann von Sponheim. Seine Gefolgsleute, die mit ihm in der Schlacht waren, sitzen ihm im Nacken, denn auch sie wollen endlich entschädigt werden. Die Sache zieht sich weitere anderthalb Jahre hin, denn Herzog Wenzel ist nicht nur politisch erledigt, sondern auch finanziell so gut wie pleite. Am 1. November 1373 erhält der Graf von Sponheim vom Luxemburger eine Zahlung von 1500 Francs. Noch am selben Tag gibt er einen Teil des Geldes an Richard von Daun weiter - wohl nicht genug, denn noch am 30. April 1374 muss Richard dem Knappen Rolf von Büdesheim seinen Zehnten zu Spiegelberg (Arnulfusberg bei Walsdorf) für 900 Mainzer Goldgulden verpfänden. Erst jetzt ist er offenbar in der Lage, seine Männer zufriedenzustellen. Am 30. Oktober bekennen Peter von Staudernheim und Thilgin von Nattenheim, dass Marschall Richard sie für alle Verluste entschädigt hat, als sie unter seiner Führung im Gefecht bei Baesweiler waren, wo sie gefangen genommen wurden. In Richards Aufgebot zu Baesweiler war auch sein Verwandter Egidius von Daun, ein Sohn des 1353 verstorbenen „tollen Gilles“. Der Vetter reklamierte einen Verlust von 195 Mainzer Goldgulden; er war inzwischen selbst in die Roten Zahlen geraten und hatte sich 140 Gulden von Heinrich von Mirbach leihen müssen. Am 31. Dezember 1376 gibt Richard dem Egidius zunächst 55 Gulden und verspricht, die restlichen 140 direkt an Heinrich von Mirbach zu bezahlen. Da er nicht sicher ist, ob er das termingerecht schafft, will er dem Mir-bacher eventuell 10 Gulden Abschlag zur Pacht geben. Nach mehr als fünf Jahren waren die Folgen der Niederlage nun wohl einigermaßen bewältigt, sodass Richard an die schrittweise Wiedergewinnung der versetzten Güter denken konnte. Die Renten aus Erdorf, Metterich und Gransdorf wurden am 6. Februar 1379 zurückgekauft. Der Spiegelberger Zehnt war noch 1383 verpfändet und erst im Jahr 1385 wieder in Dauner Besitz. Auch das Dorf Dohm konnten die Marschälle wieder zurückkaufen. Birgel dagegen ist der Familie für immer verloren gegangen. Wir sehen also, dass das „edle Ritterleben“ damals durchaus seine profanen Seiten hatte. Die Dauner Ritter haben in den Gefechten, in die sie zogen oder ziehen mussten, sicherlich so manche große oder kleine Heldentat vollbracht, von denen sie später noch ihren Enkeln erzählen konnten. Daneben aber mussten sie sich mit Sorgen herumschlagen, die uns heute noch vertraut sind: Schulden, Kredite, offene Rechnungen. Dem Ringen auf dem Schlachtfeld folgte sozusagen eine Etage tiefer, auf der Alltagsebene, das nicht minder mühsame Ringen um Lebensstandard und Besitzstand.

Quellen und Literatur:

Andernach, Norbert (Bearb.): Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bd. 8 1370-1380. Düsseldorf 1981. - Dün, Johann: Urkundenbuch der Familien von Dune (Daun). Cöln 1909. - Janssen, Wilhelm und Hugo Stehkämper (Hg.): Der Tag bei Worringen 5. Juni 1288. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 124/1988. - Lehnart, Ulrich: Die Schlacht von Worringen 1288 - Kriegsführung im Mittelalter. Frankfurt/Main 1993. - Mötsch, Johannes: Die Grafen von Sponheim und die Schlacht von Baesweiler (1371). In: Rheinische Vierteljahrsblätter 52/1988. - Reichert, Winfried: Landesherrschaft zwischen Reich und Frankreich. Trier 1993. - Wampach, Camille: Urkunden- und Quellenbuch zur Geschichte der altluxemburgischen Territorien bis zur burgundischen Zeit. Luxemburg 1935 - 1952.