Norbert Rothschild

Ein jüdischer Kaufmann aus Jünkerath

Ralf Gier, Köln

Väterlicherseits aus Stadtkyll stammend, erfuhr ich schon als Junge von der Stadtkyller Familie Rothschild und deren Schicksal während der düstersten Jahre deutscher Geschichte. Jahre später, bei Recherchen zu einer Monographie über den Kölner Architekten Hermann Otto Pflaume, stieß ich auf Lebensspuren eines Norbert Rothschild. Einem bis 1933 sehr erfolgreichen Kölner Kaufmann aus Jünkerath. Norberts Vater, Hermann Rothschild, zuvor Metzger in Baasem, hatte am 02.07.1877 von der Jünkerather Gewerkschaft in der Bahnhofstraße ein Grundstück erworben und errichtete bereits seit dem Mai auf diesem ein Wohnhaus mit angeschlossener Metzgerei.1
Die unter „H. Rothschild“ firmierende Handlung expandiert. 1901 gelingt es eine Zweigniederlassung auf dem Truppenübungsplatz Elsenborn (heute Belgien) zu errichten. Im gleichen Jahr erhält der älteste Sohn, Norbert, geboren am 18.09.1878 in Jünkerath, Prokura. Wie der Vater erlernen auch die Söhne Norbert und der jüngere Julius das Metzgerhandwerk. Nach dem Tod des Vaters wird Julius im März 1906 ebenfalls Prokura erteilt. Bei dem Ausscheiden der Mutter Rebekka Blumenthal wandeln die Brüder die Firma zum 01.11.1908 in eine offene Handelsgesellschaft um. Die neben der Metzgerei eine Großschlachterei betreibende Firma belieferte die kaiserlichen Truppen zu Elsenborn noch während des I. Weltkrieges. Der Geschäftsmittelpunkt der Gebrüder Rothschild orientierte sich jedoch bereits nach Köln. Nach Errichtung einer Zweigniederlassung in der Maastrichter Straße 41 wurde dem Import-Großhandel in Fleisch- und Fettwaren, sowie Lebensmitteln aller Art, eine Fleischkonservenfabrik angegliedert.2
Wenngleich Norbert Rothschild erst im Sommer 1928 aus der Handelsgesellschaft ausscheidet, wendet er bereits zu Anfang der Weimarer Republik sein Hauptaugenmerk auf den Handel und die Verwaltung von Immobilien. Zu diesem Zweck gründet er am 26.04.1921 in Köln die „Hella Grundbesitz-Verwaltungsgesellschaft mbH“.3 Die mit einem Stammkapital von 100.000 Mark ausgestattete Gesellschaft, in der Rothschild den Kaufmann Ludwig Marx aufnimmt, beschränkt den Unternehmensgegenstand 1930 auf das Objekt Hohe Straße 137. Am 16.03.1939 erfolgt die Gesellschaftsauflösung. Wie sein Bruder Julius, als zeitweiliger Inhaber der Lichtspiele des Westens4 am Hohenzollernring 60, engagiert sich auch Norbert kurzzeitig im Filmgeschäft. An dem hierzu im April 1921 begründeten Unternehmen (Stammkapital ebenfalls 100.000 Mark) ist Rothschild zur Hälfte beteiligt, er scheidet jedoch bereits nach acht Monate wieder aus.5
Seinen Lebensunterhalt
bestreitet Rothschild außerhalb dieser Gesellschaften. So besitzt er zeitweise 20 Wohnhäuser; in der Kölner Alt- und Neustadt, in Ehrenfeld, Lindenthal und Mülheim. Während die Objekte teils bereits vor 1933 veräußert werden, befinden sich zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Nationalsozialisten noch mindestens zehn Liegenschaften in seinem Besitz; darunter acht in Köln, Am Beispiel eines der prachtvollsten dieser Liegenschaften, dem Haus Richard-Wagner-Str. 35 in der Kölner Neustadt, soll an dieser Stelle das weitere Schicksal des Kaufmannes Norbert Rothschild nachgezeichnet werden. Nach dem Tod der Witwe des Geheimen Baurats Hermann Otto Pflaume veräußern deren Erben das vorgenannte Grundstück zum 01.04.1919 an Rothschild.6 In Anbetracht der schwierigen Wirtschaftslage erzielt Otto Pflaume in Vertretung der Erben lediglich einen Preis von 130.000 Mark, von dem Rothschild nach Abzug der unverändert auf dem Objekt ruhenden Hypothek 5.000 Mark auszahlt. Wie allgemein üblich und auch von Hermann Otto Pflaume nicht anders praktiziert, waren derartige Mietwohnhausbauten mit hohen Hypotheken belastet. Ausgaben für Zinsen, sowie eine mögliche Tilgung der Hypotheken wurden ausschließlich durch die Mieteinnahmen erwirtschaftet. Im Zuge der durch die NSDAP und ihre Helfershelfer in die Praxis umgesetzten Rassenideologie wurde es seit 1933 für Bürger jüdischen Glaubens in Deutschland zunächst erschwert, später unmöglich, einem Gewerbe nachzugehen oder aus diesem Gewinn zu erzielen.
Als Folge musste die Zahlungsunfähigkeit seitens des Verschuldeten zur Zwangsversteigerung führen. Die Objekte wurden weit unter Einheitswert versteigert. Nach Abzug der belastenden Hypothek und Zwangsabgaben wie Reichsfluchtsteuer, Judenvermögensabgabe oder ähnlicher Ausgeburten der Machthaber verblieben oft weitere Schulden. Zu deren Abtragung mangels Einnahmen keine Möglichkeit mehr bestand.

In den Jahren 1938-40 verlor Rothschild, zeitweise auch Kommandantist des Bankhauses Tillmann & Co, die letzten ihm gehörenden Immobilien. Bei der Zwangsversteigerungssache RichardWagner-Straße 35 bleibt am 23.11.1938 die Stadtsparkasse Köln Meistbietende. Der zu zahlende Betrag belief sich auf 50.000 RM und lag somit weit unter der Hypothek! Zum 01.06.1939 wird es für 73.000 RM und bei günstigen Tilgungsraten (1%/Jahr) weiterveräußert.7 Das auf Grund Kriegsschadens vom 29.06.1943 vollkommen ausgebrannte und schwer beschädigte Wohnhaus wird im Sommer 1953 abgeräumt. Die verschärften Maßnahmen zur „Entjudung“ Kölns taten ihr übriges. Die Eheleute Rothschild wurden aus ihrer Wohnung ausgewiesen; zunächst im Lager Müngersorf, später im jüdischen Asyl in Ehrenfeld und zuletzt in der Messe Köln von der Gestapo untergebracht, von wo sie am 27.07.1942 nach Theresienstadt deportiert wurden.
Dort ging Norbert Rothschild am 20.09.1942 den Weg in ein besseres Leben. Blieb ihm doch durch seinen frühen Tod der weitere Leidensweg seiner am 18.11.1887 zu Zons geborenen Ehefrau Johanna Rothschild geb. Daniels erspart. Sie wurde am 15.09.1944 nach Auschwitz transportiert und dort vergast. Ihren drei, in die USA und nach Kanada ausgewanderten Kindern, blieb nur die Erinnerung.3 Der Hausrat der Eltern, während der Deportationszeit und des Krieges in Köln-Worringen deponiert10 , blieb nach dem Krieg ebenso „verschollen“ wie der Schmuck der Mutter, zu welchem eine Goldbrosche mit Brillianten gehörte.
Für die verlorenen Immobilien, deren Aufbauten überwiegend zerstört waren, erhielten die Kinder während hierzu angestrengter Wiedergutmachungsverfahren, wenn überhaupt, lediglich unwesentliche Entschädigungen.11
Verfahrensaussagen seitens einer ehemaligen engen Vertrauten und Geschäftsmitarbeiterin Rothschilds bezüglich des Umganges deutscher Behörden, Bankinstitute und der Bevölkerung mit Juden in der Zeit ab 1933, wurden in den angestrengten Verfahren als nicht beweiskräftig abgetan, da schriftliche Belege nicht existierten.
Das Argument, dass es doch allgemein bekannt gewesen sei, dass Stundungsanträge zur Steuer- oder Zinsschuld von Ariern zwar genehmigt, von Juden jedoch abgelehnt wurden, verwarfen sowohl Anwaltschaft als auch Judi-kative während der Wiedergutmachungsverfahren. Vielmehr unterstellten diese, dass Rothschild womöglich bei seinen entsprechenden Anträgen, die durch Kriegsverlust selbstredend in Verlust geraten waren, nicht die Form gewahrt oder unzureichende Erklärungen abgegeben habe. Hiernach waren die von N. Rothschild aufgesuchten Gesprächspartner vermutlich gar niedere Chargen oder Verwaltungsmitarbeiter. Denn schließlich entbehre die Behauptung, Juden seien Benachteiligt oder bewusst geschädigt worden, doch jeden Beweis! Zur Vorbringung derartiger Begründungen, war sich die jeweilige Gegenseite, auch zehn Jahre nach dem Krieg, nicht zu schade. Ferner wurde, fast entschuldigend, darauf verwiesen, dass Rothschild auch ohne Zutun Dritter bereits vor 1933 hoch verschuldet gewesen sei, wie die belastenden Hypotheken angeblich bewiesen. Es sei anzunehmen, dass er nur auf die schnelle, mit Immobilien verdiente Mark aus war.
Habe er doch schließlich einzelne Objekte, so auch das vorstehende, durch Zahlung von nur geringen Beträgen erworben. Überflüssig zu bemerken, dass dies weder bei dem Protestanten Hermann Otto Pflaume noch zu jeder anderen Zeit, Anlass zur Verleumdung, Vertreibung oder Ermordung war. Der Sohn Friedrich Ernst Rothschild emigriert rechtzeitig nach Schottland. Mit Kriegsende kehrt er als Sergeant Freddie Rothschild mit der englischen Armee nach Deutschland zurück. Später wandert er nach Kanada aus. Ilse Rothschild die am 07.08.1908 geborene einzige Tochter stirbt im Oktober 1992 in New York, sie war in zweiter Ehe mit Walter Katzenstein verheiratet. Der jüngste Sohn, Hugo, verlässt Deutschland vor dem Krieg mit erstem Ziel Frankreich. Am Kriegsgeschehen als Fremdenlegionär teilnehmend, emigriert er 1942 ebenfalls in die USA. Nach einem Studium an der Brooklyner Gerichtsschule spezialisiert er sich auf dem Gebiet des Grundstücks- und Grundbesitzwesens. Als Autor eines Buches unter dem Titel "How
to make Money in real Estate Syndicates" stirbt er am 27.01.1962 im Alter von 48 Jahren in New York.
Hugo Rothschild war nicht verheiratet. An Norbert Rothschild, zeitweilig auch Besitzer der Burgruine Kronenburg, erinnert heute nichts mehr, weder in Köln noch in Jünkerath. Vielleicht wird dereinst aber auch für seine Frau und ihn ein „Stolperstein“ als Erinnerung im Gehweg vor einem seiner Häuser eingelassen.

11 HStaD, Notare, Rep. 2463, Nr. 7839 v. 02.07.1877. S.a. Chronik Jünke-rath - Glaadt, 1989, S. 137.
12 HStaD, Zweigst. Schloß Kalkum, Best. Gerichte, Rep. 115, Nr. 2775 Firma H. Rothschild; Die Errichtung der Kölner Zweigniederlassung erfolgte amtlicherseits erst 1920.
13 AG Köln, Handelsregister B 3635 Hella Grundbesitz ...... ; B 8320 dito.
14 S. Fischli, Bruno, Vom Sehen im Dunkeln, Köln 1990, S. 49ff. Die Lichtspiele des Westens sind heute als „Rex“ bekannt.
15 HStaD, Zweigst. Schloß Kalkum, Best. Notare, Rep. 5189, Nr. 362 v. 14.04.1921 und Nr. 1078 v. 06.12.1921.
16 HStaD, Zweigst. Schloß Kalkum, Best. Notare, Rep. 5189, Nr. 230 v. 28.03.1919. Von 1919-1927 ist Norbert Rothschild auch Besitzer des Hauses Richard-Wagner-Str. 25, dieses gehörte zuvor ebenfalls dem Erben Pflaume.
17 HStaD, Zweigst. Schloß Kalkum, Best. Grundakten, Karton 5511, Köln, Band 243, Blatt 29595.
18 S.a. Die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in Köln, Gedenkbuch, 1995 und www.yadvashem.org.
19 Ein vermutlich weiterer Sohn war Herbert Rothschild, der vor 1951 in Paris verstirbt.
10 Der Wert des Wohnungsinventars zum Zeitpunkt der Vertreibung wurde mit 65.000 RM angegeben.
11 HStaD, Zweigst. Schloß Kalkum, Best. Wiedergutmachungsakten, Rep. 266, Nr. 874.