Gerolsteiner Baumwunder

Brief aus USA mit einer Skizze kommt an

Wilma Herzog, Gerolstein

In der Lindenanlage stand bis zu ihrem Zusammenbruch in den 1920 er Jahren die über 600 Jahre alte ehemalige Gerichtslinde. Mit einem Stammumfang von 7,5 Metern beschattete der Baumriese aus der Familie der Tilia grandifolia 700 m2 der Anlage, selbst seine gewaltigen Äste hatten die Stärke von stattlichen Baumstämmen. In den 1940er Jahren lag noch ihr hohler Stamm links neben dem Eingangstor. Auf Spaziergängen zur Munterley führte unser Weg immer durch diesen Park, und wir Geschwister liefen freudig voraus, um aufrecht durch den Stamm zu gehen. In dieser Zeit aber wuchs bereits in unmittelbarer Nähe, direkt an der Lindenstraße eine junge Linde heran, die sich rasch zum neuen Gerolsteiner Naturwunder entwickelte, wegen ihres ungewöhnlichen Standortes inmitten eines Felsens. Im Vorbeigehen bewunderten wir ihren beharrlichen Wuchs und mutmaßten, ob im uralten Dolomitgestein Regenwasser sich endlich zu einem bislang ruhenden Samen unserer alten

Gerichtslinde gebahnt hatte, um ihn zum Leben zu erwecken. So freuten wir uns über jeden Fortschritt ihres Gedeihens und rätselten, ob letztendlich der Fels oder die Linde stärker sein werde. Während des letzten Weltkrieges war sie sogar einem amerikanischen Soldaten aufgefallen. Eine Skizze ging an eine amerikanische Zeitungsredaktion. In ihrer Serie von unglaublichen Geschichten, genannt „Ripley’s Believe it or not!“ wurde diese Merkwürdigkeit in der Ausgabe vom 3. Juni 1956 dargestellt. Das wiederum reizte einen Leser aus Bedford, Iowa, die Wahrheit dieser schier unbegreiflichen Behauptung selbst zu überprüfen. Denn er las:

Lindenbaum, 33 Fuß hoch, aus solidem Fels gewachsen. Gerolstein, Deutschland

Kurzerhand klebte er die ausgeschnittene Skizze des Baumes auf einen Briefumschlag und sandte diesen an den Bürgermeister. Der Brief kam dank der in kniffligen Zustellungen bewanderten Post in USA und Deutschland an. Und Bürgermeister Alois Schneider konnte dem Zweifler sofort die Richtigkeit der Aussage bestätigen.