„Kriegerklären-Spiel“

Jürgen Mathar, Hillesheim

Von meiner Geburt 1957 bis 1966 wohnten wir, das heißt meine Eltern und fünf Kinder, im „alten“ Hillesheimer Ortskern, in der Burgstraße - heute ein Frisörsalon. In dieser Zeit (noch vor der Stadtsanierung) wurde die alte Kopfsteinpflasterstraße erstmals mit einer Asphaltschicht überzogen und war nun, zur Freude von uns Kindern, schön glatt und eben und eine ideale Spiel- und Malfläche. In der Burgstraße gab es noch drei Landwirte, viele Hühner und noch mehr Kinder. Es war knapp 20 Jahre nach dem II. Weltkrieg, die Zeit des „Kalten Krieges“ mit ständigen Manövern der alliierten Streitkräfte in der Eifel. Kaum ein Tag, an dem man nicht zumindest einen Militärjeep in Hillesheim sah. Oft ratterten Panzerverbände durch den Ort und bezogen dann Manöverlager „Am dicken Baum“ und im „Wissber-bösch“ oder im Bereich des heutigen Golfplatzes nahe Berndorf. Nach der Schule ging es dann meist zu Fuß oder, wer eines hatte, mit dem Rad zu den Soldaten, oft waren das Amerikaner oder Franzosen. Hier gab es Kaugummi, Coca-Cola, knüppelharte Kekse und vor allen Dingen Zigaretten - meine erste war mit acht Jahren eine filterlose Gauloises von den Franzosen. Auf einem Panzer mit Freunden sitzend wurde die dann stolz gepafft - dieFranzosen lachten und machten Fotos; man durfte Pastis probieren; zuhause gab es dann schon mal Schimpfe mit „Haselnussstockgeschmack“. Nach den Manövertagen kam dann die Spielidee auf der neuen glatten Teerstraße: Das „Kriegerklären-Spiel“! Und das ging so: Man brauchte mindestens drei Mitspieler, meist war die ganze Straße dabei; acht bis zehn Kinder kamen da schnell zusammen. Mit in der Schule geklauter Kreide wurde ein großer Kreis mitten auf die Straße gemalt. Nach Anzahl der Mitspieler wurde dieser in gleichgroße Segmente unterteilt. In der Mitte war der neutrale Punkt. Dort lag auch die Kreide. Dann wurden Ländernamen verteilt. Durch Auszählen mit dem Zählreim „Ibbe-nibbe-napp und Du bist ab…“ wurde zunächst „Deutschland“ - der Kriegsverlierer - festgelegt. Danach USA, Frankreich, England, Japan, DDR, UdSSR und so weiter. Zur damaligen Zeit war auch Vietnam sehr begehrt. Seinen Ländernamen trug dann der jeweilige Spieler mit der Kreide in sein Spielsegment ein. Nun ging es los! Ziel des Spiels war es, möglichst viel „Land zu ge-winnen“ und am Ende mehr als die Hälfte des Kreises zu besitzen. Mit dem Fuß gerade noch so sein Landsegment berührend, stellte man sich, zum Weglaufen bereit, um den Kreis verteilt auf. Deutschland fing nun an und „erklärte den Krieg“! Der Spieler rief „Deutschland erklärt den Krieg gegen - kurze Pause - (zum Beispiel) England!“ Alle Spieler rannten nun vom Kreis weg, bis auf den Vertreter Englands. Der musste in die Mitte des Kreises rennen und laut “STOP“ rufen. Sofort blieben alle stehen - mehr oder weniger weit vom Kreis entfernt. England guckte sich nun einen, meist den am nächsten stehenden Spieler aus und sprang, von seinem Land ausgehend im Dreisprung auf diesen Spieler zu um ihn „abzuschlagen“. Dabei durfte man sich, wenn es mit den drei Sprüngen nicht ausreichte, noch lang auf den Boden legen und nach dem Spieler ausstrecken. Hatte man den Spieler erreicht und abgeschlagen, durfte man „Land erobern“. Das ging dann so: Mit der Kreide in der Hand hockte man sich in den Winkel seines Landes, welcher dem geschlagenen Gegner am nächsten lag und schlug, soweit man ohne sich abzustützen oder einen Schritt zu tun kam, einen Kreidebogen in das Land des Gegners. Das so abgeschnittene Stück schlug man seinem eigenen Land zu und bezeichnete es mit seinem Ländernamen. Erreichte man den Spieler dagegen nicht, war dieser berechtigt seinerseits Land beim unterlegenen „Kriegsgegner“ auf die gleiche Art zu nehmen. Mit der Zeit wurde aus den übersichtlichen Kreissegmenten ein Länderflickenteppich und mehr und mehr Länder wurden schließlich ganz erobert und einverleibt, bis nur noch zwei Länderkonkurrenten übrig blieben. Sieger war dann der Spieler mit dem größten Landanteil. Oft wurden dabei äußerst strategische Vorgehensweisen an den Tag gelegt, wenn die Spieler merkten, dass eines der Länder rasch größer wurde. Es bildeten sich Länderallianzen und regelrechte Machtfronten, um das Spiel so lange wie möglich hinauszuzögern und die Grenzen immer wieder neu zu verschieben. Ausgeschiedene Spieler saßen auf den Brennholzstapeln vor unserem Haus und verfolgten den weiteren Verlauf mit Spannung. Im Sommer war oft die ganze Burgstraße mit Spielkreisen bemalt, bis ein Gewitter alles wieder weggewaschen hatte. Mit den Jahren wurden die Manöver weniger; bald fuhren keine Panzer mehr durch die Dörfer. Das „Krieger-klären-Spiel“ geriet allmählich in Vergessenheit. Zur heutigen Zeit kämen die Kinder sicherlich nicht mehr auf die Idee, ein solches Spiel auf der Straße zu spielen; zumindest würden sie von ihren Eltern aufgeklärt oder daran gehindert. Damals waren das Weltbild und das Verhältnis zum Militär halt noch anders als heute. Wir spielten es weil’s Spaß machte. Aber, sind manche heutigen Computerspiele nicht vielleicht gefährlicher für die Entwicklung der Jugend als damals unser eher harmloses, aber sehr sportliches und selbst erfundenes „Krieger-klären-Spiel“ mit der geklauten Schulkreide?