Wettkämpfe in früherer Zeit

Maria-Agnes Pinn, Steffeln

Kinderspiele richteten sich früher nach Ablauf der Jahreszeiten und des Kirchenjahres. So wie auch nach der Schule, die ja noch im Dorf war. Der Weg dorthin dauerte für alle Kinder nur wenige Minuten, wenn nicht gebummelt wurde. Zuspätkommen wurde täglich von mehreren Schülern mit den tollsten Ausreden genutzt. „Unsere Uhr ging nicht richtig, meine Mutter hat mir noch ein Ei gebacken“, „Ech hat noch jet Steeches on dor Botz“ und musste zurück, weil meine Mutter die Stopfnadel in der Hose vergessen hat usw. Lachprogramme am laufenden Band. Unser Dorfschullehrer hatte viel Humor. Gerade durch den lockeren Ton, lernten wir enorm viel für das Leben draußen, was wir später erst merkten. Die Ferien richteten sich nach den zwei größten Kirchenfesten im Jahr: Weihnacht - und Osterferien. Im Sommer nach der bäuerlichen Arbeit: Heu-, Ernte- und Kartoffelferien. Dies auch nicht nach festen Daten, sondern nach dem Stand der Ernte und dem Wetter. Danach richtete sich das Spielen der Kinder. Im Winter war es nur kurz hell nach den Hausaufgaben, um draußen zu spielen. Mit dem Abendläuten mussten alle Kinder im Haus sein. Nach dem Abendessen ging es sofort ins Bett. Darum wurde meistens in der Stube gespielt. Sehr beliebte Spiele waren da: „Wöllchen blasen“ mit Pfand, „Blinde Kuh“, „Schlabbes hat den Hot verlo-or“, Fingerspiele mit Gesang, zum Beispiel „Alle meine Gesellen sollen fleißig sein“. Dabei erlebte man alle Handwerksberufe im Dorf, indem

man hobelte, hämmerte, nähte usw. Denkspiele, Neumühle, Wolfsmühle, Schach, Dame, Halma, Mensch ärgere dich nicht. Nach dem Krieg fertigte man sich viele der Spiele selbst an. Die unterschiedlichsten Knöpfe waren die Figuren. Von Soldatenjacken, Bauernhosen, Zeltplane grau oder grün, Amidress usw. Bestes Gehirntraining waren verschiedene Kartenspiele. Durch das ständige Zusammenzählen der Augen waren die Kartenspieler die besten Kopfrechner in der Schule. In den Weihnachtsferien ging man „zurochten“. Das bedeutete man sparte den eigenen Rauch, Licht und Brand, indem man zu Freunden hin ging. Dort trafen sich oft mehrere Familien zum geselligen Spiel. Bei Schnee und länger werdenden Tagen spielte man draußen. Schneehütten und Schneemänner wurden gebaut oder man trippelte einen großen Fuchspfad; das war ein Kreis mit einem Kreuz darin als Fluchtweg beim Fangenspielen. Auch formte man gerne Adler und Engel in den frischen Schnee, in dem man sich rückwärts hinein warf und mit Armen und Beinen die Flügel schlug. Genau so beliebt wie heute waren damals schon die zünftige Schneeballschlacht, Schlitten fahren, Ski- und Schlittschuhlaufen.
Im Frühling, sobald der Frost aufweichte und der Boden so richtig matschte, ging das Klickerspiel los. Damit beschäftigten sich die Kinder mehrere Wochen, dann wurde der Sport vom „Bandfahren“ und „Hüpfhäuschen heppe“ in verschiedenen Varianten abgelöst. Die Hüpfhäuschen ritzte man mit spitzem Holzkeil in den Sand, bei glatten Höfen mit Kreide auf Beton oder Pflaster. Die Mädchen bastelten mit Vorliebe Gucklöcher. Das war eine Mulde von cirka 20 cm Durchmesser, wo man möglichst bunte Glasscherben von zerbrochenen Flaschen, Gläsern, Christbaumkugeln usw. nebeneinander legte. Darüber kam eine klare große Glasscherbe von kaputten Fensterscheiben. Jede wetteiferte, um das herrlichste aller Gucklöcher herzustellen. Mit Seilspringen in vielen Arten beschäftigte man sich auch wochenlang. Wurde es wärmer, bauten viele Kinder sich aus alten Brettern kleine Häuschen. Darin übte man kochen, essen und manchmal schlief man sogar darin. Zelte und Camping kannte ja Keiner. Vielerlei Ballspiele waren angesagt. Um Völkerball oder Fußball zu spielen, brauchte man mehr Platz. Dafür suchte man sich Wiesen, den Schulhof und weitere große Anlagen. Kinderspielplätze gab es nicht. Jedoch dafür nahmen wir beim Dorfsuchen und Dorffangen das ganze Dorf ein. Es war unbeschreiblich schön. Überall konnte man sich verstecken, in Höfen, Schuppen, Scheunen und Straßen, wo man fast immer wohlwollend geduldet wurde. Bei Mädchen waren Sing - Tanz - und Reigenspiele sehr beliebt. Auch die Spazierfahrt mit dem Puppenwagen. Puppenkleidchen, Deckchen und Kissen wurden gewaschen, es war dem Frühjahrsputz der Erwachsenen abgeguckt. Im Sommer verbrachten die Kinder die meiste Zeit mit Kühe hüten. Gleichzeitig spielte man besonders dafür geeignete Spiele, wie „Hälterchen“ mit Pfand geben, diese verklopfte man dann anschließend, was viel Freude machte. Am Bach fingen die Burschen oft Fische, die am Feuer gebraten wurden. Manchmal sogar Froschschenkel. Man baute gern Wassertümpel, „Kömpel“, worin man die ersten Schwimmübungen machte. Dazu musste der Bach gestaut werden. Beliebte Kunstwerke waren schöne Wasserräder, die richtig vom Bach angetrieben wurden. Flöten schnitzen mit einem oder mehreren Tönen. Am Wald spielte man „Bäumchen wechsele dich“, „Schnitzeljagd“, „Räuber und Gendarm“. Der Phantasie waren kaum Grenzen gesetzt. So auch die Modeschau mit Hektor. Er war ein gut erzogener Hütehund, der mit Kindern sehr viel Geduld hatte. Unsere Freundin kam auf die Idee, Hektor ihren ziemlich neu geschneiderten Mantel anzuziehen. Hektor ließ es ruhig zu, als die Vorderfüße in die Arme gesteckt und der Mantel unter seinem Bauch zugeknöpft wurde. Er machte eine ganz tolle Figur und sah sehr putzig im neuen weinroten Mantel aus. Doch plötzlich machte er sich selbstständig auf und davon. Er rannte kreuz und quer durch sämtliche Hecken am Waldrand, passierte oft den Stacheldraht und wollte gewiss so den lästigen Mantel abstreifen. Nach langem Rufen kam Hektor endlich herbei. Aber, o Schreck wie sah der Mantel aus! „Zerfitzt und zerfatzt“, wie durch den Fleischwolf gedreht. Unsere Freundin heulte und wir alle mit, weil wir an das Drama zu Hause dachten. Dort prasselten sämtliche Strafgerichte, die man sich denken konnte, auf uns alle hernieder und blieb als Horrorgeschichte bis heute lebendig. Unvergessen bleibt jedoch auch, wie viel Zeit unsere Eltern sich immer noch während der Arbeit für uns nahmen.
War der Wagen hoch mit Heu beladen, nahm Vater uns Kinder, setzte uns auf die Heugabel, stemmte uns damit drei Meter hoch. Dann drehte er jedes Kind noch fünfmal rund, ehe er es sicher und behutsam auf den Heuwagen setzte. Oft waren es sechs Kinder, die so der Reihe nach eine Karussellfahrt zum Nulltarif erleben durften. Vater machte uns auf viele Naturschönheiten aufmerksam. Morgenrot, Regenbogen, Abendrot, das Nest mit den jungen Vögelchen und Vieles mehr.
Zum Herbst hin zündete man beim Kühehüten oft Feuer zum Wärmen an. Darin wurden Kartoffeln gebraten oder Brote geröstet. Nach dem Krieg suchten die Burschen Munition im Wald und warfen sie ins Feuer. Das Spiel war lebensgefährlich. Das da nicht noch mehr passierte, grenzt schon an Wunder oder war es der gute Schutzengel? Hausaufgaben wurden meist bei den Kühen gemacht. Dazu baute man Verschläge oder Hütten gegen Regen und Kälte. Ab dem Michaelstag durfte man die Kühe auf allen Wiesen weiden lassen. Dann liefen oft viele Herden zusammen und bei den Hütekindern kam Freude auf, und man ersann noch mehr Spiele oder Streiche.

Im Advent übten die Dorfkinder das Krippenspiel für das Christfest. In den Familien und in der Schule wurde viel und oft gesungen und gebastelt. Die Jungs fertigten mit Laubsägen Krippenfiguren, Stall und vieles mehr an. Beim Plätzchenbacken war der Eifer genau so groß wie heute. Die Mädchen versuchten sich im Häkeln, Stricken, Nähen und Sticken. Unsere Handarbeitslehrerin Frl. Hontheim brachte uns damals geschickt diese Kunst bei. Damals nähte ich meinem Vater ein Sonntagstaschentuch mit Zierhohlsaum und gesticktem Monogramm mit beiliegendem Spruch: „Bei jedem Fädchen, jedem Stich, dacht ich lieb Väterchen an dich!“ Auch heute gibt es Gott sei Dank noch solche wertvollen Geschenke, welche mit viel Fleiß und Liebe hergestellt werden. Zeit ist ja heute knapper denn je. Doch Zeit, die wir unseren Kindern schenken, trägt bestimmt gute Früchte.
Vor kurzem hatten wir neun Ferienkinder im Haus im Alter von fünf bis vierzehn Jahre. Beim Fernsehprogramm gab es Meinungsverschiedenheiten, was ganz normal war. Als die „Flitscherei“ mit der Fernbedienung unter lautem Protest kein Ende nahm, schaltete ich mich ein und erklärte allen ein Spiel von Früher, das „Wöllchen blasen.“ Die Tischdecke herunter und los ging es. Jeder kämpfte und verteidigte seinen Platz, damit das Wöllchen nicht herunter fallen sollte. Weit über eine Stunde dauerte das Spiel, weil man von jedem ein Pfand haben wollte. Beim „Pfänder verklopfen“ kam dann noch mal ein absoluter Höhepunkt. Die Kinder verlangten gegenseitig Leistungen, Sprüche und Lieder moderner Arten entsprechend der heutigen Zeit. So mussten zum Beispiel einzelne verschiedene Gesangstars nachahmen. Während ich beim Essen zubereiten nebenan mit Vergnügen zuhörte, dachte ich die Idee war gut. Im Einfachen liegt oft das Wunder der Entfaltung. Groß und Klein bekamen Respekt voreinander. So kann man auch heute noch mit Spielen von Früher und dem Wissensstand der heutigen Kinder, den sie ohne Fernseher wohl kaum hätten, große Freude erleben. „Wöllche blose“ wurde zum Superspiel erklärt. Nach dem Motto: „Das gute Alte erhalten und mit dem schönen Neuen verbinden!“