Kinderzeit - Spielezeit

So spielten wir früher

Josef Schmitz, Üdersdorf

Meine Kindheit und somit meine Spielzeit fiel in traurige und bewegte Zeiten, in die Vor- und Nachkriegsjahre. Wenn ich diese mit der heutigen Zeit meiner Kinder und Enkel vergleiche, glaube ich, ohne zu übertreiben sagen zu dürfen, dazwischen liegen Welten. Wir haben früher viel und nach Herzenslust gespielt, waren nicht so in schulische und Vereinstermine gebunden. Die Spielzeugmassen von heute gab es nicht. Unsere wenigen Spielsachen waren billiger und haltbarer, meist vom Opa aus Holz gefertigt und unter den Geschwistern jahrzehntelang weitergegeben. Unsere Spiele richteten sich fast ausschließlich nach dem Jahreslauf. Im zeitigen Frühjahr mit den ersten Sonnenstrahlen fingen wir Jungen an, „Band zu scheiwen“ oder rollen. Ein altes Eisenband oder ein Reifen und ein kleiner Stock waren schon das Spielzeug. Das Band wurde mit dem Stock gelenkt und angetrieben und im Höllentempo über die holprigen Straßen bewegt. Ein bisschen Geschick und gute Kondition brauchte ein guter „Band-scheiwer“.
Die Mädchen führten im Frühling gerne ihre Puppen spazieren, im Arm oder in kleinen Puppenwagen. Die Puppen waren der Zeit
ent
sprechend ärmlich gekleidet. Trotz allem wurden sie geliebt, weil man nichts anderes wusste und kannte. Die Mädchen spielten auch gerne „Hippeshäuschen“. In Kreuzform wurden einzelne Quadrate auf die Straße geritzt und so markiert, Steine in die Quadrate geworfen und dann auf einem Bein kreuz und quer durchhüpft. Immer neue Regeln wurden hierbei erfunden, um das Spiel interessanter zu halten. Die Mädchen machten nebenher Seilspringen und Ballspiele. „Dilldopp“ war ebenfalls ein beliebtes Spiel. Ein kleiner, kegelförmiger Holzkreisel wurde zum Drehen gebracht und dann mit einer Peitsche durch die Straße getrieben. Es gehörte schon Übung dazu, auf den schlecht befestigten Flächen einen Dilldopp in Bewegung zu setzen und am Laufen zu halten. Klicker- oder Murmelspiele bestimmten oft Tage und Wochen. Mehr als einmal sah man Kinder am Ende eines Tages weinen, weil sie ihren gesamten Klickervorrat verspielt hatten. Viele Jungen fanden dabei einen Ausweg. Am Abend holten sie am Bach Lehm oder Ton und formten neue Klicker. Über Nacht wurden diese im häuslichen Herd gebrannt und mit billiger Wasserfarbe bemalt. Ich selbst legte das Spiel so an, dass ich meine billigen verspielte und die besseren gekauften zu gewinnen versuchte, die ich dann sammelte und nicht mehr zum Spieleinsatz brachte.
Zu ungewöhnlichen Spielen lockte der Mai. Damals gab es noch Maikäfer in Massen. Sie wurden gefangen und an Hühner verfüttert, was uns Kinder Freude bereitete. Aber einige hielt man zurück, um sie dann morgens heimlich während des Unterrichts fliegen zu lassen, was manchem eine saftige Ohrfeige des Lehrers einbrachte. Neben kleinen Holzflöten bastelten wir aber auch „Fletschen“, ein gegabelter Ast, an dem Gummischnüre befestigt wurden. Damit konnte man Steine sehr weit schießen, ein gefährliches Spielzeug, dem manche Verletzung zu verdanken war.
Toben und Spielen in freier Natur - für uns Kinder eine wahre Freude und Fundgrube für viele neue Spiele. Hunger und Sonnenstand sagten die Zeit an. Nach Hause gehen, um etwas zu essen, hätte die kindlichen Spiele zu sehr unterbrochen. So bot uns die Natur Ersatz: frischer, saftiger Sauerampfer oder im Wald der Sauerklee (Kuckucksbrot), große Flächen mit süßen Walderdbeeren, wilde Johannis- und Stachelbeeren, Heidel-, Brom- und Himbeeren.

Zeichnung: Richard Würtz, Gerolstein

Eine Delikatesse waren die Wildkirschen, die zwar klein, dafür aber zuckersüß und sogar mit den Steinen zu genießen waren. Zu Kinderspielen gehörte auch das „Stibitzen von Äpfeln und Birnen“ aus Nachbarsfluren. Hunger litten wir während des Spielens kaum.
Mit der beginnenden kalten Jahreszeit wurden die Spiele mehr und mehr ins Haus verlegt: blinde Kuh in der guten Stube oder Versteckspielen im ganzen Haus. Die dereinst sehr kalten und schneereichen Winter stellten Kinder vor Probleme, denn die heutige warme Kleidung, Stiefel oder Thermoanzüge gab es noch nicht. Manch einer war beim Spielen blau vor Kälte und hatte nasse Füße und steifgefrorene Hosenbeine mit dicken Eisknuddeln dran. Wie oft kurierten Mütter die Frostbeulen ihrer Kinder des Abends mit alten und bewährten Hausmitteln aus. Dennoch hielt uns dies alles nicht vom Toben im Schnee ab. Kein Berg war zu hoch, keine Böschung zu steil, um nicht gerade dort Schlitten zu fahren. Unser Lehrer, der aus dem Harz stammte, war damals der erste Skilangläufer, den ich sah. Skier wurden vom Schreiner aus Eschenholz gefertigt. Nachteilig waren die Bindungen, meistens alte Schuhoberteile, die sich beim Fallen als gefährlich herausstellten, bekam man den Fuß sehr schlecht heraus. Mancher Beinbruch war auf diese mangelhafte Bindung zurückzuführen. Das unbeschwerte und kindliche Spielen ließ uns damals fast vergessen, dass ein schwerer Krieg wütete. Uns Kindern fehlte noch - Gott sei Dank - die richtige Einstellung zu Leid und Traurigkeit. Dafür bot der Alltag zu viel Abwechslung in der Entdeckung der Welt. Es gab so viel zu sehen und zu bestaunen, selbst in militärischen Belangen. So stand auf der Aarlei in Üdersdorf schon von Kriegsbeginn an eine Flakbatterie. Nachmittags besuchten wir Jungen sie oft, bekamen dort unsere erste Schokolade und ab und zu trauten wir uns auch, an den Zigaretten der Soldaten zu ziehen. Der Krieg brachte neues „Spielzeug“: Munition, Waffen und Sprengstoff. Heute weiß ich, wie gefährlich all dies war und kann nur sagen, wir Kinder hatten damals viele Schutzengel, weil bei diesen unvernünftigen Spielen nichts Schlimmes geschah. Mit zunehmendem Alter nahm unser kindliches Spiel ab, wich den Arbeitsverpflichtungen im Haus, Hof und in den Feldern, für Kirche und Gemeinde. Heute ist vieles anders geworden, aber nicht alles besser. Ich kann sicher sagen: Unsere Kindheit ist für viele die sorgenfreieste Zeit des Lebens gewesen und somit in liebevoller und guter Erinnerung. Damit will ich aber nicht werten, welche Zeit die bessere war oder ist, die heutige oder die unsrige. Richtig ist, dass jede Zeit ihre positiven und negativen Seiten hat. Es kommt darauf an, wie man sie erlebt hat und in welcher dörflichen Spielgemeinschaft und elterlichen Geborgenheit man aufwuchs, damit die kindliche Spielwelt auch im Erwachsenenalter in guter oder weniger guter Erinnerung bleibt.