Kinderspiele - Kinderglück

Christine Kaula, Wipperfürth

Ein Sommerfest im Kindergarten - welch ein Ereignis für ein Kind im Jahre 1950! Das musste in der Vorstellung der Kleinen etwas ganz Außergewöhnliches sein, etwas Wunderbares wie Ostern oder Weihnachten. Das Kind wusste aber auch, dass es bei einem Spiel mitwirken sollte. Lange war geprobt worden, wie man mit bemalten Pappflügeln auf dem Rücken wie ein Maikäfer fliegt. Auch ein Clown würde kommen, hatte es sagen hören. Was war aber nun ein Clown? Vielleicht so etwas wie eine rosa Fee, die wundervolles Spielzeug verteilt? Das wäre nun das Aller-schönste, denn Spielzeug war rar in den Jahren. Was besaß ein Kind in den Jahren nach dem Krieg? Ich weiß noch von einer Puppe, die gepflegt und gehütet wurde. Sie hatte keine richtigen Haare, sondern nur eine aufgemalte Frisur. Ein von der Mutter selbst genähtes Kleid und kleine weiße Schuhe, von denen gleich einer verloren ging und nicht mehr wiedergefunden wurde. Das war nun freilich ein großes Unglück, denn das arme Püppchen musste nun an einem Bein frieren. Die vorhandenen Holzbausteine hatte der Vater vom ansässigen Bootsbauer mitgebracht, die dieser aus Resten auf passende Stücke gesägt hatte. Die kosteten nichts oder vielleicht einen Korb Gemüse aus Vaters Garten.
Der Bootsbauer baute auch eine Puppenstube, drei Wände, ein Boden und fertig. Kleine Möbelstücke kamen - ich weiß nicht, woher - dazu und das Puppenhaus war fertig. Später dann, das Kind war schon acht oder neun, gab es einen weißen Korb-Puppenwagen zu Weihnachten, natürlich gebraucht gekauft, wie die Mutter der erwachsenen Tochter später verriet, da kam die Puppe hinein. Und das Spielzeug gehörte ja nicht einem allein, man hatte schon früh gelernt, zu teilen. Wenn die kleine Schwester damit spielen wollte, durfte sie das natürlich auch. Zum Glück interessierte sie sich nicht allzu oft für den Puppenkram.

Das Foto zeigt das Mädchen im Kindergarten,
neben sich die besagte Puppe und vor sich lackierten Holzspielzeug, denkbar einfach gestaltet. Viel mehr Spielzeug gab es
damals dort auch nicht: Bausteine, Bilderbücher und diese Holzfiguren. Für die Jungen Holzeisenbahnen, kleine Lastautos aus Holz und Steckenpferde. Das Übrige musste man sich schon selbst zusammenfantasieren. Und das taten wir auch: Aus Klötzen wurden Häuser, aus den kleinen Tierfiguren ein ganzer Zoo. In der Spielecke hinter dem Kindergarten wurden Löcher in die Erde gebuddelt, das war das Bett für ein Püppchen (das in Wirklichkeit nur ein einfacher Baustein war). Eine Garnrolle wurde zum Fahrzeug, ein Flaschenkorken wurde zum Hund oder sogar zum Löwen. Vorwiegend wurde ohnehin draußen gespielt. Die Wohnungen und Häuser waren kleiner als heute, und es lebten ungleich mehr Menschen darin. Also mussten die Kinder ausweichen auf den Hof und auf die Straße. Und so gefährlich wie heute war es lange nicht, ab und zu kam mal ein Auto vorbei, das wurde dann angestaunt. Spielplätze gab es noch nicht. Beim ersten Frühlingssonnenstrahl ging es also nach draußen. Stundenlang konnten wir uns vergnügen, hatten ein großes Repertoire an Kinderspielen, die jedes Jahr von neuem und mit großer Begeisterung gespielt wurden. Natürlich ging es dabei nicht immer friedlich zu. Zank und Streit gab es auch schon einmal, und man war einmal der Beste im Wettbewerb und einmal der Schlechteste, aber das gehörte einfach zum Größerwerden dazu, und damit lernten wir, uns mit dem richtigen Leben auseinanderzusetzen. Ich erinnere mich noch an viele Spiele. Seilspringen war bei uns Mädchen sehr beliebt. Aber auch Kästchenhüpfen war sehr vergnüglich, das spielte man auch zu mehreren Kindern. Man benötigte dazu nur zwei Dinge, ein Stück Kreide und ein kleines, flaches Steinchen. Mit der Kreide (oder einer alten Tonscherbe) wurde auf den Boden das Spielfeld gemalt. Das sah soaus:

Ein Kind begann und warf sein Steinchen in Feld 1 und hüpfte dann in das Feld hinein. Es versuchte nun mit der Fußspitze das Steinchen in das nächste Feld zu schieben. Das Feld 5 durfte es nicht berühren, sondern musste stattdessen auf Feld 7 mit dem linken und Feld 8 mit dem rechten Fuß springen. Das Steinchen wurde vom Feld 4 zu Feld 6 und dann gleich zu Feld 8 befördert. Dort angekommen, durfte der Spieler sich kurz ausruhen und zu Feld 1 auf die gleiche Weise zurückhüpfen. Beim nächsten Durchgang wurde der Stein direkt auf Feld 2 geworfen und das Spiel, wie

soeben geschildert, fortgesetzt. Die Füße und auch das Steinchen durften die Spiellinien nicht berühren. Auch durfte das Steinchen nicht im falschen Feld landen. Machte der Spieler einen Fehler, so kam das nächste Kind an die Reihe.
Eine Variante dieses Spiels war „Himmel und Hölle“. Da wurden noch mehr Kästchen gemalt, unten ein großes, das war die Erde, dann kamen verschiedene übereinander und nebeneinander. Das Spielfeld schloss mit zwei großen Feldern, das untere war die Hölle, das obere der Himmel, ab. Es gab verschiedene Durchgänge des Hindurchhüpfens, auf einem, auf zwei Beinen, mit gekreuzten Beinen und am Schluss mit geschlossenen Augen. Man durfte kein Feld auslassen, auf keine Linie treten, aber die Hölle musste man immer überspringen.Eine Spielart war „Bäumchen wechsle dich“. Dazu malten wir uns Kreise auf den Boden und stellten uns hinein, das waren die Bäume, nur eines der Kinder blieb in der Mitte stehen. Auf das Kommando „Bäumchen wechsle dich“ musste jedes Kind zu einem anderen Kreis wechseln, während das „baumlose“ Kind währenddessen versuchte, ebenfalls einen Kreis zu erreichen. Das Kind, das keinen Kreis mehr erreichte, stellte sich in die Mitte und das Spiel begann von vorne. Natürlich hatten wir auch einen Ball. Da gab es auch viele Spiele, die man allein oder zu mehreren Kindern spielen konnte.
Ein Spiel war: Verliebt, verlobt, verheiratet. Alle Kinder stellten sich im Kreis auf und warfen sich - ohne Ankündigung - den Ball zu. Wer ihn fallen ließ, galt als „verliebt“, beim zweiten Mal als „verlobt“ und beim dritten Mal als „verheiratet“. Danach kamen die „Kinder“ zur Welt in einer bestimmten, vorher ausgemachten Anzahl. Wer den Ball beim „letzten Kind“ fallen ließ, musste ausscheiden.

Ein anderes Ballspiel hieß „Ich bin ein Student“ und ging so: Der Ball wird hoch in die Luft geworfen und wieder aufgefangen. Zwischen Hochwerfen und Auffangen mussten bestimmte Gesten aufgeführt und die folgenden Verse gesprochen werden: Ich bin ein Student (Ball hochwerfen und auffangen) und wasch mir die Händ’. (Händewaschen nachahmen) Ich trockne sie ab, (Händetrocknen nachahmen) steck sie in die Tasch’. (Hände in die Tasche stecken) Knie nieder zum Gebet, (niederknien und kniend den Ball fangen) steh dann wieder auf (aufstehen) und geh fröhlich nach Haus (einmal im Kreis drehen). Im Winter waren wir auch draußen zum Schneemannbauen oder Schlittenfahren, aber ich selbst war dann doch lieber in der Stube. Mädchen versuchten sich an den ersten Näharbeiten, arbeiteten mit der „Strickliesel“, die natürlich selbst hergestellt worden war. Man benutzte dazu eine große, leere Garnrolle, in die an der Oberseite vier kleine Nägel eingeschlagen waren. Durch die Fadenrolle wurde von unten ein Garnende gezogen und um jeden Nagel einmal herumgewickelt. Dann nahm man eine Häkelnadel, legte den Faden wie beim Häkeln um den Finger und dann wurde immer der unten liegende Faden über den dar-überliegenden und den Nagelkopf zur Mitte hin gezogen. Die Fadenrolle drehte man dabei von Nagel zu Nagel. Ab und zu zog man an der unten herausragenden Schnur, die immer länger wurde. Ich erinnere mich, dass ich einmal verschiedenfarbige Wolle benutzte und eine wundervolle bunte lange „Schlange“ herstellte, die ich später rollte und zu einem Deckchen für die Mutter zum Muttertag zusammennähte. Diese Stricklieseln gibt es heute noch, man konnte sie damals schon hübsch lackiert als kleine Figur fertig kaufen - aber wer hatte für so etwas schon Geld übrig?
Ich habe diese Bilder lange betrachtet und mich gefragt, ob sich etwas im Gegensatz zu früher verändert hat.
Auf dem alten Bild scheinen die Kinder fröhlich, ausgelassen fast. Ich bin sicher, dass uns gesagt worden ist: Nun lacht mal alle schön! In Wirklichkeit waren wir ängstlicher, zurückhaltender, abwartender, wir gehörten zur Nachkriegsgeneration und waren sehr geprägt von der schwierigen Zeit damals, das sieht man auf dem Bild, das mich als kleines Mädchen zeigt, viel deutlicher. Auf dem aktuellen Kindergartenbild gab es das „Lach-Kommando“ bestimmt nicht. Die Kinder schauen prüfend, neugierig, fragend in die Welt, genauso, wie wir früher in die Welt hineingeschaut haben. In Wahrheit sind sie heute freier, unbefangener; penible Menschen sagen: frecher. Ich sage, Gott sei Dank, dass sie „frecher“ sind als wir damals,

ich nenne es „mutiger“. Sie sind mir lieber so, weil sie Mut brauchen, die Kinder von heute, sonst könnten sie nicht mit irgendeinem Fetzchen von Vertrauen in die Zukunft gehen, die wir, die Alten, ihnen vorbereitet haben. Und sie spielen wie wir früher die alten Spiele. Auf dem Schulhof habe ich aufgemalte Hüpfekästchen gesehen. Sie üben Seilspringen und spielen Verstecken, sie werfen den Ball und haschen sich beim Blindekuhspiel. Sicher haben sie auf der anderen Seite mehr Spielzeug wie Kettcars, Roller, Autos, elektrische Eisenbahnen. Früh sitzen sie vor dem Computer, weil das Medium nun einmal faszinierend ist (und sie es im späteren Berufsleben ohnehin gebrauchen müssen). Aber wir haben ihnen dies alles doch gegeben, was beschweren wir uns? Wir wollten doch, dass schon unsere eigenen Kinder es besser haben sollten! Die Kinder spielen aus dem gleichen Grund, wie wir es taten. Sie treten in Wettbewerb. Sie üben fürs Leben. Es hat sich nichts geändert.