Ein fataler Rollschuhlauf

Manfred Schreuer, Gönnersdorf

Die Währungsreform hatte gerade stattgefunden. Alle Gegenstände des täglichen Lebens waren wieder gegen harte D-Mark zu erwerben. Es galt jedoch zuerst die aller-notwendigsten Käufe und Anschaffungen zu tätigen. Was auf der Strecke blieb, das waren Spielsachen für uns Kinder. Und so musste man als Kind, um nicht untätig und neidisch am Straßenrand zu stehen und die Kinder wohlhabender Familien zu begaffen, entweder improvisieren oder gute Spielkameraden haben.
Ich selbst wollte als kleiner Steppke von vier Jahren nicht nachstehen und unbedingt Rollschuhfahren lernen. Dazu hatte ich alte verrostete Rollschuhe meiner Schwester aufgetrieben, um die ersten Läufe zu absolvieren, und fortgeschritten, mich mit Pirouetten zu versuchen. Diese Rollschuhe wurden wohlgemerkt mit drehbaren Winkeln ans Schuhwerk angeschraubt. Abgesehen dass die Rädchen unwuchtig und locker sich drehten,
war es schon ein Kunststück, sich fortzubewegen, ohne auf Nase oder Hinterteil zu stürzen. (Knie- und Armschoner gab es damals noch nicht.)

Unser Jungen- und Mädchenkreis hatte sich als Laufstrecke eine noch relativ gute, von Frostaufbrüchen und Panzerrrillen verschonte, öffentliche Straße ausgesucht. Ein Freund aus der Nachbarschaft hatte das große Glück, von seinem nach New York ausgewanderten Onkel funkelnagelneue, auf den neuesten Stand der Technik ausgerüstete Rollschuhe geschenkt bekommen zu haben. Ende 1940 war es selten, dass ein Auto aufkreuzte; gefürchtet waren nur die großen Busse der Marke Henschel, die im Drei-Stunden-Takt daher
fuh
ren.
Es war Rollschuh-Saison, und viele Rollschuh fahrende Kinder waren unterwegs, sehr zum Unbehagen unseres Dorfgendarmen, der die ganze Szenerie mit Argwohn betrachtete. Ich war leider an dem Tag nicht dabei, als der Dorfgendarm mit ernster Miene und unter Androhung einer saftigen Strafe jegliches Rollschuhfahren auf der Straße verbot. Umso erfreuter war ich, als tags darauf mein Freund, ohne mich vor irgendetwas zu warnen, selbstlos seine neuen Rollschuhe anbot. Stolz und selbstsicher fuhr ich ohne Gegenverkehr, ohne Bedrängung anderer Kinder nach allen Regeln der Kunst die Strecke ab. Da tauchte, oh Schreck, der Gendarm auf, bremste mich unsanft und verpasste mir ein Protokoll von DM 1,50. Heute würde man über die Höhe eines solchen Strafmandates herzlich lachen. Aber damals war ich tief unglücklich und weinerlich traute ich mich nicht nach Hause. Rettender Engel war in dieser Situation mein Onkel, von mir lieb Ühm genannt. Zu Hause wurde ich verdonnert und es hieß sogar, ich müsste beim Dorfgendarm einsitzen. Mein Onkel hat dann die Drohung entschärft, das Geld bezahlt und meinen Ruf wiederhergestellt.

Doch der Schreck saß so tief, dass ich fortan das Rollschuhlaufen fast ganz einstellte.