Ostern in meiner Kindheit

Tamara Retterath, Lirstal

In dem kleinen Dorf, in dem ich aufwuchs, war es Ostern üblich, dass die Kinder sich auf einer Wiese versammelten, um das sogenannte Ostereierwerfen und Ostereierditschen zu veranstalten. Ich hatte von zuhause fünf Ostereier bekommen, andere Kinder, die mehr Geschwister hatten, bekamen nur drei Eier. Dann erhielt ich von meinem Patenonkel noch drei Eier und somit fühlte ich mich reich. Ein Osterei war so wertvoll, dass man es zur Kommunion als kleines Geschenk überreichte. An Palmsonntag nahmen nur die Kinder Palmzweige zum Segnen mit in die Kirche ins Hochamt. Das war damals übliche Tradition. Wenn man die Palmzweige der kinderlosen Nachbarn in die Kirche mitnahm, bekam man als Dank dafür ein Ei. Es war von Vorteil, wenn die Eier sehr hart gekocht waren, damit man möglichst lange beim Ostereierwerfen oder Ostereierditschen mitspielen konnte. Beim Ostereierwerfen wurden die Eier in die Höhe geworfen. Wer am höchsten warf und dabei sein Ei nicht zerbrach, hatte gewonnen und war sozusagen der König. Ältere Jungen warfen die Eier sogar so hoch, dass sie über die Hochspannungsdrähte flogen. Wenn ein Ei an die Drähte kam, wurde es halbiert und flog als Matsch herunter. Dann war die Schadenfreude bei den anderen groß und eswurde gegrölt.
Für manche Kinder bedeutete ein verloren gegangenes Ei einen herben Verlust. Deshalb habe ich das Eierwerfen nicht so sehr genossen. Es gab auch ein Grüppchen, das sich mehr auf das Eierditschen spezialisiert hatte. Zwei Kinder versuchten jeweils, die Eierschale des gegnerischen Ostereis durch leichtes Anditschen, also Anstoßen, zu zerschlagen. Derjenige dessen Eierschale zu Bruch ging, hatte verloren. Ich war in diesem Jahr wieder bei den Verlierern. Mein Ei war leider das, welches zuerst zerdeppert wurde. Da ich noch klein und naiv war, hielt ich immer die stumpfe Seite hin, dort wo die Luftblase ist. Diese Seite ging aber immer zuerst zu Bruch. Später erkannte ich, dass die spitze Seite viel stärker ist und benutzte diese zum Anditschen. Hierbei hatte ich zumindest Teilerfolge, so dass ich nicht immer bei den Verlierern war. So gingen die Eier beim Spielen zur Neige, denn angeditschte Eier wurden verspeist.
Ostern darauf war ich aber der absolute „Eierkönig“ beim Eierditschen und das kam so: Meine Eltern hatten sich in diesem Frühjahr eine Pute zugelegt, die mit unseren Hühnern gemeinsam untergebracht war. Wir hatten starke Verluste durch den Habicht zu verzeichnen. Daher hatten wir uns die Pute angeschafft, die mit den Hühnern gemeinsam im Hof herumlief. Sie diente in erster Linie zum Schutz der Hühner gegen den Habicht. Sobald sich ein Raubvogel näherte, machte die Pute solch ein Geschrei, dass dieser meist das Weite suchte. Eines Tages fiel mir auf, dass die Pute tagsüber nicht mehr bei den Hühnern war, jedoch abends im Stall wieder anwesend war. Das geschah mehrmals. Ich beobachtete sie. Sie entfernte sich nämlich von den Hühnern und ging auf einem Verbindungsweg etwa 500 Meter weit. Unterwegs schaute sie sich mehrmals um und blickte nach mir, weil ich ihr in einer gewissen Distanz folgte. Sobald ich stehen blieb, ging sie weiter.
Plötzlich verschwand sie in einer dichten Brombeerhecke. Als ich die Hecke untersuchte, konnte ich feststellen, dass sie in einer leichten Erdmulde saß, jedoch durch ihr dunkles Gefieder in der Umgebung kaum zu sehen war. Diesen Vorgang meldete ich meinen Eltern. Mein Vater erklärte mir, dass die Pute sich wohl ein Nest geschaffen hatte; und als wir beide die Stelle aufsuchten, entdeckten wir ein ganzes Nest voller Puteneier. Da die Eier aber nicht befruchtet waren, weil der Putenhahn fehlte, war es nicht möglich, dass es hier zu Nachwuchs kommen konnte. Daher warteten wir bis es Abend und die Pute wieder im
Stall war. Dort im Stall legte mein Vater ihr ein Nest an und legte ihr befruchtete Hühnereier unter, die sie ausbrütete. Dies tat sie jedes Jahr aufs Neue.
Da die vorhandenen Puteneier in der Brombeerhecke frisch gelegt und noch nicht angebrütet waren, wurden sie zum Verzehr genommen.

An Ostern gingen wir Kinder wieder zum Ostereierditschen auf die Wiese. Diesmal hatte ich gefärbte Puteneier. Sie waren etwas dicker als Hühnereier, jedoch in der Schale mindestens doppelt so hart, so dasss ich jedem beim Ostereierditschen standhalten konnte. Mein Ei ging nie zu Bruch. Die übrigen Kinder kannten zwar Gänse- und Enteneier, jedoch keine Puteneier. Es war so dass sie alle ihre angeditschten Eier aufessen mussten. Ich sah die enttäuschten Gesichter der einzelnen Kinder, deren Ei zu Bruch gegangen war, denn sie hatten bald keines mehr, mit dem sie werfen oder ditschen konnten. Es kam soweit, dass unter vorgehaltener Handgemunkelt wurde, ich hätte ein Stopfei. Es könnte nicht sein, das mein Ei nicht zu Bruch ging, wenn alle anderen Eier das taten. Sie meinten, es könnte sich nur um ein Stopfei handeln. Gegen Abend habe ich aber mein Ei zerbrochen und meinen Mitspielern bewiesen, dass es sich bei meinem Ei um ein echtes und nicht um ein Stopfei handelte. So habe ich als ehrlicher Spieler meine Ehre gerettet und war diesmal Sieger beim Eierditschen.