Wandel Eifeler Landwirtschaft

Dorf Borler als Beispiel

Dr. Hubert Reuter, Düsseldorf / Borler

Heute gibt es nur noch wenige Leute, die sich an die Verhältnisse im ersten Viertel des vergangenen Jahrhunderts erinnern können. Es dürfte daher von Interesse sein, die landwirtschaftliche Entwicklung einer kleinen Eifelgemeinde aufzuzeichnen und sie so zu bewahren. Die Frühgeschichte des Dorfes Borler ist zur Zeit nur lückenhaft und im Ganzen spärlich aus historischen Urkunden zu erkennen. Als gesichert gilt, dass 1563 nur neun Feuerstellen vorhanden waren. Man kann davon ausgehen, dass die Dorfbewohner Leibeigene der Herren von Heyer waren, die einen Gutshof in Ortsnähe bewirtschafteten. Dieser war ein Lehen von St. Maximin in Trier und wurde im Rahmen der Säkularisierung (1803) enteignet und verkauft. Der größte Teil der Waldungen fiel an den Staat; die landwirtschaftlichen Nutzflächen kauften Bürger aus Borler und Bongard.Werfen wir den Blick auf die frühen Jahre des vergangenen Jahrhunderts: Alle Betriebe des Dorfes in der Durchschnittsgröße von 5 ha (von 3 bis 8 ha) waren mehr oder weniger Bedarfsdeckungswirtschaften. Nur wenige Erzeugnisse kamen auf den Markt. Die Landwirte hatten es schwer:
Die seit der französischen Besetzung zu Anfang des 19. Jahrhunderts rechtskräftig (code civil) eingeführte Realteilung (die landwirtschaftliche Nutzfläche wird unter allen Erbberechtigten aufgeteilt) ließ im Gegensatz zum Stockerbenrecht keine größeren Betriebe entstehen. Sie vergrößerte noch die Anzahl der Parzellen pro Betrieb, die damals zwischen 6 bis 20 schwankte und im Durchschnitt 40 Ar betrug. Die Bodenqualität (Grau-wackeverwitterungsboden) begrenzte die Erträge. Die Böden sind flachgründig, steinig, wenig humos, teils staunass und in unvorteilhafter Hanglage.
Das Klima war und ist ungünstig wegen langer und harter Winter, das heißt die Vegetationszeit ist kurz bei hohen Niederschlägen. Es mangelte an Mineral- und betriebseigenem Dünger und wichtigen technischen Hilfsmitteln. Die Wohn-, Vorratsgebäude und Ställe waren allgemein in relativ dürftigem Zustand.
Vorteilhaft wirkte sich allerdings die im Jahre 1898 durchgeführte Flurbereinigung aus, welche die Flurzersplitterung geringfügig, die Wegestruktur jedoch sehr positiv verbesserte. Zur Landbewirtung wurde die ganze Familie benötigt. Als Zugkräfte dienten Ochsen und in geringerem Umfang Pferde und Kühe. Die Rinderzahl pro Betrieb betrug zwei bis sechs Stück und die entsprechende Nachzucht. Es handelte sich bei diesen Kühen um einen alten Landschlag von geringem Eigengewicht (100 bis 250 kg!) Der Milchertrag war aus diesem Grund und wegen der aus heutiger Sicht äußerst mangelhaften Fütterung gering. Die Kühe wurden, so lange es die Witterung zuließ, auf Viehweiden - auch im Wald - und nur im Winter in engen, niedrigen, dumpfen Ställen gehalten. Als Futter dienten Heu, Stroh und Rüben. Als Einstreu verwendete man „Streusel“ aus Heidekraut, Binsen- und Rispengras sowie Reisig unterschiedlicher Art, Materialien, die kaum geeignet waren, als Stallmist den Boden zu verbessern. In fast allen Betrieben wurden Schafe gehalten. Sie kamen mit den kargen Voraussetzungen gut zurecht und lieferten mit ihrer Wolle und dem Fleisch wichtige Erzeugnisse für die Hausversorgung. Auf dem Ackerland betrieb man eine Art Dreifelderwirtschaft.
Angebaut wurden Roggen, Buchweizen, Hafer, Gerste, Kartoffeln, Kohlrüben, Futterrüben und Erbsen. Die Böden in Borler, im sogenannten „Koar- (Korn-) land“ gestatteten damals noch keinen Weizen im Gegensatz zum „Dinkelland“, den kalkreichen Böden der Hillesheimer Kalkmulde. Die wichtigste Maßnahme zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit war die „Dreesch“ auch Brache, die alle drei bis vier Jahre für ein oder mehrere Jahre im Anbauplan eingesetzt wurde. Das „Schiffeln“ und das „Brennen“ dienten in Ermangelung von Kalk oder Pottasche, die man nicht kaufen konnte, zur Verbesserung der Bodenqualität. Beim Schiffeln wurde der Boden mittels eines leichten Pfluges mit Schneidmesser angeritzt, dann mit einer breiten Hacke los gehauen. Die Rasenstücke wurden umgewendet und getrocknet. Danach wurde die Erde abgeschlagen und der trockene Rasen auf Haufen geschichtet, mit Reisig durchmischt und verbrannt. Die Asche wurde auf das frisch gepflügte Feld gestreut.
Beim Brennen wurde in später Jahreszeit der Grasaufwuchs mit Heidekraut und Sträuchern des sogenannten „Wildlandes“ in Brand gesteckt. Danach wurde gepflügt.
Mittels Haupt- und kleinen Nebengräben bewässerte man Wiesen und Weiden um, insbesondere bei Trockenheit, den Graswuchs zu verbessern. Die mit staatlicher Unterstützung erfolgte Einführung des Glan-Donnersberger Rindes (einfarbig gelbes Höhenvieh), die staatliche Körung männlicher Tiere, die Gründung von Rinderzuchtverbänden und die verbesserte Fütterung führten allmählich zu höheren Milch- und Fleischleistungen und zu zuverlässiger Zugkraft. Die Ertragslage der kleinen Betriebe verbesserte sich auch wesentlich durch den Übergang zur Vier- und Fünffelderfruchtfolge mit der Eingliederung von Futterpflanzen und dem Anbau von Rotklee. Größerer Anfall von Stallmist bei Stroheinstreu verbesserte die Fruchtbarkeit der Felder, insbesondere bei der für die Hocheifel klassischen Mistgabe zu Kartoffeln als Vorfrucht für Roggen. Je nach Wirtschaftslage wurde sowohl auf dem Feld als auf Wiesen und Weiden Mineraldünger eingesetzt. Mitte der 1920-er Jahre setzte durch den landwirtschaftlichen Verein für Rheinpreußen, den Bonner Zentralverein, den Oberpräsidenten und das Kulturbauamt in Koblenz eine tatkräftige Werbung für die Verbesserung der Grünlandwirtschaft in den rheinischen Höhengebieten ein. Ziel war die Sicherstellung von regelmäßigen Betriebseinnahmen durch die Viehhaltung. Die Borler Landwirte zeigten Interesse dafür und nahmen an entsprechenden Lehrgängen teil. Nun zeigte sich ein großer Vorteil darin, dass die Gemeinde ihre Allmende (Gemeindeland) nicht, wie anderswo, an Dorfbürger veräußert hatte. Es stand eine zusammenhängende Fläche von fast 30 ha für eine genossenschaftliche Nutzung zur Verfügung. Das Areal war mit Gras, Heide, Hecken, Krüppelkiefern und Birken bewachsen. Ende der zwanziger Jahre wurde es mittels Drainagen entwässert und für die Rodung hergerichtet. 1928 und1929 wurde gerodet, gekalkt und zur Verbesserung des Bodens mit Hafer, Roggen und Hackfrüchten bestellt. Die erste Grasaussaat erfolgte 1931. Dann wurde das Gelände in Koppeln unterteilt und mit Knotengitterdraht eingezäunt. Später wurden alle Koppeln mit Selbsttränken ausgestattet. Die Gründung einer Weidegenossenschaft fand bereits 1928 statt. Sie war die erste ihrer Art in der Eifel. Die gemeinschaftlichen Anstrengungen und die finanziellen Opfer waren erheblich, so dass staatliche Subventionen sehr willkommen waren. Der wirtschaftliche Nutzen zeigte sich schon in wenigen Jahren. Die Gesamtzahl der Milchkühe erhöhte sich und nicht zuletzt durch die Umstellung des Rinderbestandes auf das rotbunte Niederungsrind konnte die Milchleistung erheblich gesteigert werden. Mitte der 1960-er Jahre hatte sie den für die damalige Zeit beachtlichen Dorfdurchschnitt von 3611 Liter je Kuh erreicht. Die Verwertung der Milch über die Molkereigenossenschaft Hillesheim führte zu spürbaren, regelmäßigen Betriebseinnahmen.
Durch die angepasste Düngung und Pflege des Grünlandes, die Verbesserung der Heuqualität, die Ausgleichsfütterung mit Kraftfutter, die fachlich verbesserte Aufstallung, die Anlage von festen Dungplätzen, den Bau von Jauchegruben und nicht

zuletzt durch den Verzicht der Kühe auf Anspannung wegen der Anschaffung von leichten Traktoren und den Einsatz von Pferden, wurde ein großer Fortschritt erzielt. In der nun folgenden Zeit der dreißiger Jahre versuchte der aufkommende Reichsnährstand die Entwicklung weiter zu unterstützen durch Zuschüsse zum Bau von Gärfuttersilos und die Einrichtung von Rinderlaufställen. Borler wurde bald von Journalisten und Politikern als „Musterdorf“ bezeichnet ohne indessen der Ideologie des Nationalsozialismus anheim zu fallen.
In den zwanziger und dreißiger Jahren war auch die Zahl der Kinder beachtlich gestiegen: Borler hatte - bezogen auf die Bevölkerung - die zweitgrößte Kinderzahl aller Orte in Preußen. Die Land-und Gastwirtin Katharina Reuter hatte von ihren sechs Kindern 41 Enkelkinder. Die Sozial- und Betriebsstrukturen veränderten sich in den nächsten Jahrzehnten nur geringfügig, allerdings nahm die Zahl der außerhalb der Landwirtschaft tätigen Dorfbewohner zu. Wenngleich die Landwirtschaft florierte, zeigte sich doch in zunehmendem Maße, dass die zu geringe Betriebs- und Parzellengröße und die engen Hoflagen einer optimalen Weiterentwicklung enge Grenzen setzten. Eine das Dorf stark prägende Entwicklung begann mit dem Bau der „Versuchs- und Lehranstalt für Grünlandwirtschaft und Futterbau“ im Jahre 1950. Ihre Finanzierung erfolgte durch die Bereitstellung eines Grundstücks sowie einen finanziellen Grundstock aus Holzverkäufen durch die Gemeinde. Sie wurde ergänzt durch Zuschüsse des Bundes und durch Mittel aus dem Marshallplan (ERP). Noch ehe der Grundstein gelegt war, fanden die ersten Lehrgänge für Landwirtschaftslehrer, Wirtschaftsberater, Mitarbeiter in landwirtschaftlichen Genossenschaften und Bauern in der Gemeindegaststätte statt.
Große Hilfe leistete die Landwirtschaftskammer in Koblenz und die Forschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig-Völkenrode. Auf die Einrichtung eines Internats wurde verzichtet. Die Lehrgangsteilnehmer waren bei den Landwirtsfamilien in Borler in Kost und Logis. Das brachte sowohl finanzielle Einnahmen als auch Bereicherung des Fachwissens durch Gespräche. Vorausgegangen waren natürlich einige Investitionen in den Häusern: Gästezimmer mit Wasch- und Bademöglichkeiten und Zentralheizungen wurden eingerichtet, Waschmaschinen und Gefriertruhen beschafft.
Die meisten Diskussionen drehten sich darum, ob Betriebe mit einer Größenordnung von acht bis fünfzehn Hektar in der Höhenlage der Eifel trotz vorbildlicher Vieh-und Weidewirtschaft eine Zukunft in einem größer werdenden Markt in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Mansholtplan!) haben könnten. An Vollerwerbsbetriebe war damals schon kaum zu denken. Es konnte sich nur um Neben- oder
Zuerwerbsbetriebe handeln. Doch dafür war die Wirtschaftsstruktur der Region zu schwach entwickelt. Bis 1970 hatten bereits drei Betriebe aufgegeben, andere hatten den Umfang ihrer landwirtschaftlichen Tätigkeit mehr oder weniger extensiviert. Das diente zwar der Aufstockung anderer Betriebe, die zupachten konnten; dennoch blieben keine Nutzflächen brach liegen. Das sollte sich jedoch bald ändern.

Als unverkennbares Zeichen gewandelten Denkens war die Intensivierung der Schul- und Weiterbildung, die Aus- und Fortbildung sowohl männlicher wie weiblicher Jugendlicher in landwirtschaftsfremden Berufen. Während die Schul- und Berufsbildung weiter aufgefächert wurde, hemmten die schlecht entwickelte sogenannte Infrastruktur mit regelmäßigem öffentlichem Nahverkehr und die unzureichenden Angebote gewerblich-industrieller Unternehmen die persönlichen Entscheidungen über die Fortführung der Landwirtschaft. Die Dorfsozialstruktur blieb deswegen in ihrer Entwicklung stecken. Allen wurde es immer deutlicher bewusst: Auch eine noch so fortschrittliche und ökonomisch optimalisierte Landbewirtschaftung mit allen technischen Hilfsmitteln zur Arbeitserleichterung, die Sicherheit des Absatzes, die Intensivierung der Beratung sowie eine Vielfalt staatlicher Förderung konnte letztlich die Schwierigkeiten, die mit der Flurzersplitterung, der Ungunst der Klima- und Bodenverhältnisse, der Entfernung der Märkte, verbunden waren, nicht überwinden. Die bessere fachliche Ausbildung und die private Mobilisierung konnten wenig genug helfen; sie verlangsamten eher noch die erforderlichen Prozesse. Die Landwirte in der Hocheifel hatten es schon immer schwerer als ihre Berufskollegen in der Köln-Aachener-Bucht. Was folgt aus einer Entwicklung, die vor einer Generation noch positiv gesehen werden konnte? Für viele Familien gab es sehr schwierige Entscheidungen. Ein Betrieb nach dem anderen wurde aufgegeben, nicht nur dann, wenn die Betriebsleiternachfolge zur Neuregelung anstand. Einzelparzellen wurden zur Eigenversorgung noch weiter bestellt. Wiesen wurden gemäht, um das geerntete Heu zu verkaufen; denn gutes Eifelheu war und ist insbesondere bei Pferdehaltungen und Reitbetrieben gefragt. Der vorhandene Maschinenpark konnte ohne großen Aufwand weiter genutzt werden. Da der Preis für Grund und Boden wegen fehlender Nachfrage auf dem tiefsten Stand angelangt ist, bedeutet sein Wert in der Realteilung nichts mehr. Man kann darauf verzichten, insbesondere dann, wenn der Betrieb die neue Berufsausbildung bezahlt hat. Viele junge Menschen wandern aus beruflichen Gründen oder nach Verheiratung ab. Wegen der heute selbstverständlichen Mobilität des Einzelnen ist das Haus im Dorf für viele nur noch Wohnoder Schlafort. Immer mehr Häuser stehen nach Erbteilung oder Wegzug zum Verkauf; manche werden als Ferien- Wochenend- oder Freizeithäuser von in Borler geborenen und in der Stadt lebenden Menschen genutzt. Aus der Sicht der Landwirtschaft ergibt sich heute folgendes Bild:
Die Gemeinde hat die 30 ha große Genossenschaftsweide verpachtet, da sie von keinem Mitglied mehr genutzt wird. Auch private Grundstücke, vornehmlich Wiesen, werden von landwirtschaftlichen Unternehmern aus benachbarten Dörfern bewirtschaftet. Offiziell sind noch zwei Landwirte mit sehr eingeschränkter Tätigkeit als solche gemeldet. Die Milchkühe, die früher das Landschaftsbild prägten, sind spätestens mit der Einführung der sogenannten Milchabgaberente verschwunden. Einzelne Rinder, die man noch sieht, weiden auf Pachtwiesen und gehören Eigentümern aus Nachbargemeinden. Nur einzelne Mutterkühe gehören noch Dorfbewohnern. Heute beherrschen Pferde, in überwiegender Zahl eines zugezogenen Pferdezüchters, das Landschaftsbild. Die Islandpferde finden hier ideale, ihrer Herkunft gemäße Bedingungen vor. Sie weiden ganzjährig auf inzwischen gekauften oder gepachteten Flächen und sorgen dafür, dass die Landschaft gepflegt und offen gehalten wird. Von den 45 Häusern des Dorfes sind inzwischen dreizehn Häuser von „Fremden“ gekauft worden und dienen als Alterssitz, Wochenend- oder Ferienwohnung. Die Integration in die Dorfgemeinschaft, ein sehr wichtiges Sozialkriterium ist gut bis anonym. Fünf Häuser sind zur Zeit nicht bewohnt, bei acht wird in einigen Jahren ein Wechsel auf Aufgabe oder Verkauf erkennbar.
Das Institutsgebäude ist zum Dorfgemeinschaftshaus umgestaltet worden, die zwei darin befindlichen früheren Dienstwohnungen hat die Gemeinde vermietet. Die Dorfgastwirtschaft ist infolge Todesfalls aufgegeben worden. Das Gemischtwarengeschäft steht vor der Aufgabe. Die Dorfbewohner, die ihren Bedarf nicht in den Einkaufzentren der nächsten oder weiteren Umgebung decken können oder wollen, werden durch mobile Verkaufsfahrzeuge versorgt. Die Poststation ist geschlossen, die öffentliche Telefonzelle abmontiert worden. Der Schulbus befördert auch in geringer Zahl private Fahrgäste. Eine mobile Sparkasse kommt regelmäßig, die Brief- und Paketpost werktäglich. Von insgesamt 87 Einwohnern (47 männliche; 40 weibliche) fällt auf die Altersgruppe 0 bis 10 Jahre gerade einmal ein Kind. So ändern sich die Zeiten.

Quellen:

A.H.Könekamp/W. Klöckner, Ein Kleinbauerndorf im Mittelgebirge, Landwirtschaft-Angewandte Wissenschaft, Bundesm. f. E.L.u. F. Heft 148 / 1970 www. infothek.statistik.rlp.de