Wenn der Jasmin duftet

Eine phantasievolle Erzählung

Jasmin Caspers, Wiesbaum

Mein Lieblingsplatz ist die Bank am See. Hier hat man die schönste Aussicht und kann gleichzeitig Ruhe und Stille genießen. Gleich neben der Bank steht dieser uralte Jasminstrauch, und wenn er im Juni seinen betörenden Duft verströmt, erinnert er damit nicht an wunderbare vergangene, vielleicht auch traurig endende Liebesgeschichten? Jetzt ist es aber erst Ende März, und seine Zweige sind noch kahl. Wer aber genau hinschaut, kann schon die Knospenansätze erkennen. Doch in diesem Jahr lässt der Frühling lange auf sich warten.
Es hatte mehrere Tage stark geregnet. Als ich endlich wieder auf meiner Bank saß, fiel mir auf, dass der Boden unter dem Jasminstrauch tief ausgespült war, seine Wurzeln lagen nun teilweise frei. Dazwischen glänzte etwas. Ich stand auf und griff danach. Das war ja ein Ring! Nachdem ich ihn etwas gesäubert hatte, lag ein goldener Ring mit einem roten Edelstein in meiner Hand. Gar ein Rubin? Ein wertvoller Ring war es ganz bestimmt. Wer hatte ihn hier verloren? Ich wollte ihn jedenfalls seiner Verliererin zurückgeben.
Mit diesen Gedanken machte ich mich auf den Heimweg, der an der kleinen Kapelle vorbeiführt. Die Tür stand offen, und ich trat ein. Die Stille dieses Ortes tat mir gut. Viele kleine Kerzen flackerten vor der Statue der heiligen Maria, und ich stellte noch eine dazu. Ich setzte mich in eine Bank und ließ meine Blicke schweifen. Wie zufällig blieb er am Bild der Heiligen Elisabeth hängen. Etwas darin ließ mich plötzlich aufschrecken. Elisabeth trug einen goldenen Reif am Finger - mit einem roten Stein! Als ich genauer hinsah, war es ein Ring, genau wie der, den ich gerade gefunden hatte. Mein Herz klopfte ganz wild. Wie konnte das sein?
Zufällig betrat unser Pfarrer die Kapelle. Ich zeigte ihm den Ring und wies auf den der Heiligen Elisabeth. Er war zunächst ungläubig, aber dann trat er nahe an das Heiligenbild heran und bestätigte schließlich meine Vermutung. Er erzählte mir die folgende Geschichte:
„Ich habe in der alten Kirchenchronik unserer Gemeinde gelesen, dass es da eine traurige Liebesgeschichte gegeben hat. Elisabeth war die Tochter eines in unserer Gegend bekannten Künstlers. Sie war sehr schön, und sie verliebte sich in den Sohn eines reichen Gutsherrn. Es wurde Verlobung gefeiert, ein Jahr später sollte die Hochzeit sein. So war das früher. Der junge Mann schenkte seiner Braut einen wundervollen Ring, den Elisabeth voller Stolz jedem zeigte. Aber der Bräutigam nahm es mit der Treue nicht so genau.
Oft, wenn ein nettes junges Mädchen auf den Gutshof kam, verführte er es, er sah dieses sogar als sein Recht an. Elisabeth litt sehr darunter, sie konnte es nicht verstehen. Sie stellte ihn vergeblich zur Rede. Er lachte sie nur aus. Eines Tages verschwand Elisabeth. Man fand ihre Schuhe am Ufer dieses Sees. Die Suche nach ihr aber blieb ohne Erfolg. Vielleicht hat sie, wie die Schuhe, auch den Ring abgelegt?“ fügte der Pfarrer noch nachdenklich hinzu und dann: „Ihr Vater hat dieses Bild gemalt und der Kirche gestiftet. Seine Tochter, sie soll sein einziges Kind gewesen sein, nahm er als Modell für die Hl. Elisabeth. Nach ihrem Verschwinden malte er nicht mehr. Er starb einige Monate
später, an gebrochenem Herzen, wie man so sagt.“ „Wie lange ist das denn eigentlich her?“
„Bestimmt schon 250 Jahre“, meinte der Pfarrer. „Du kannst ja mal ins Pfarrhaus kommen, dann zeige ich dir die alte Chronik!“ „Danke, das würde mich sehr interessieren. Und was soll jetzt mit dem Ring geschehen?“ fragte ich weiter. „Den nehme ich am besten in Verwahr. Wir müssen herausfinden, ob es noch Nachfahren des Malers gibt. Weil der Ring ein Geschenk war, gehört er der Familie des Malers. Und wenn es niemanden mehr gibt, so soll er der Gemeinde gehören und ausgestellt werden, zusammen mit der traurigen Liebesgeschichte. Wirst Du sie für uns aufschreiben?“