Die hochmütige Gräfin

nach einer Sage erzählt von

Sarah Koep, Wiesbaum

Vor vielen, vielen Jahren lebte ein Grafenpaar in der Nähe von Birresborn. Der Graf war reich, er sah nur mit Verachtung auf andere Menschen herab. Wer nicht von Adel war und nichts besaß, der war in seinen Augen ein Wurm.
Und seine Frau, die Gräfin, war noch viel schlimmer. Sie verspottete die Armen und schaute keinen an, wenn sie mit der Kutsche fuhren. Nur im Verborgenen beklagten sich die Menschen und verurteilten das Verhalten. Niemand hätte es gewagt, laut zu protestieren. Sogar der Pfarrer hatte Respekt. Man stelle sich vor, er wartete in der vollen Kirche bis die gräfliche Kutsche vorgefahren war und die Herrschaften Platz genommen hatten, egal wie spät es war.
Die einfachen Menschen konnten ja warten! Doch eines Tages starb völlig überraschend der junge Graf. Und obwohl er so hochmütig war, kamen viele aus der Bevölkerung und wollten die Gräfin trösten. Sie hatten ehrliches Mitleid mit der jungen Witwe, doch sie wies die Menschen ab. Sie wollte deren Worte nicht hören. „Mein Geld und mein Gut sind mein einziger Trost. Ich brauche euer dummes Geschwätz nicht! Selbst wenn Gott gegen mich wäre, ich würde nicht zugrunde gehen. Verschwindet!“ Doch Missernten und Misswirtschaft führten schließlich dazu, dass sie all ihren Reichtum verlor. Zuerst wurden die Münzen immer weniger, dann leerten sich die Vorratskammern. Schließlich musste sie ihre Ländereien verkaufen, und dann trieben die Gläubiger sie aus ihrem vornehmen Haus.
Sie hatte nichts mehr, sie war bettelarm geworden. In zerlumpten Kleidern musste sie von Haus zu Haus gehen und um Wasser und Brot bitten, ausgerechnet bei den Menschen, die sie vor kurzem noch wie Dreck behandelt hatte. Sie war demütig geworden und erkannte, wie falsch sie gehandelt hatte. Doch diese Einsicht kam zu spät. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als bei ihrem geliebten Mann zu sein, denn dieses Leben war unerträglich für sie. Doch es dauerte viele Jahre, bis der Tod sie endlich erlöste.