Das Eisenmännchen

nach einer Sage erzählt von

Jana Holzem, Heyroth

In Mürlenbach an der Kyll erzählte man sich einst folgende Geschichte: Am Waldrand stand vor vielen, vielen Jahren ein kleines Haus, in dem zunächst eine alte Frau wohnte. Als sie starb, kümmerte sich niemand mehr um das Haus, denn sie hatte auch keine Nachkommen. Da das Häuschen unbewohnt blieb, wurde es immer baufälliger. Doch eines Tages staunten die Dorfbewohner nicht schlecht, denn es kam Rauch aus dem Schornstein. Wer mochte wohl jetzt dort wohnen?
Einige Neugierige näherten sich vorsichtig, und da sahen sie einen kleinen Mann mit gebogener Nase und spitzem Bart. Lange schwarze und struppige Haare hingen ihm den Rücken hinunter. Nein, er hatte keinen geraden Rücken, er hatte einen Buckel. Eine solche Gestalt wurde dort noch nie gesehen. Es war ein Wicht. Er schien freundlich zu sein, und er wollte Kontakt zu den Leuten aufnehmen, aber die trauten diesem komischen Wesen nicht. Nur ein reicher Bauer mit einem großen Hof freundete sich mit diesem neuen Nachbarn an. Denn er fand heraus, dass der Wicht eine Menge von Gelddingen verstand. Er glaubte, dass dieser ihm helfen könne, noch viel reicher zu werden. Aber der Wicht war auch raffiniert. Umgekehrt wollte der wissen, welche Schätze der Bauer schon gesammelt hatte.
Auf einmal wurde der reiche Bauer vom Pech regelrecht verfolgt. Zuerst wurden seine Tiere krank und starben, dann reichte das Geld in der Truhe nicht mehr, neue Tiere zu kaufen. Was sollte er tun? Die anderen Bauern konnten und wollten ihm nicht helfen. Er war mit dem unheimlichen Wicht befreundet, das gefiel ihnen ganz und gar nicht. Aber dieser erwies sich dann als Helfer in der Not. Er lieh dem Bauern Geld, verlangte aber einen ziemlich hohen Zins dafür. Der Bauer hatte keine Wahl. Er war einverstanden. Doch kaum waren die neuen Tiere angeschafft, wurden sie wieder krank und starben. Im selben Jahr kam noch eine Missernte dazu, so dass der Bauer am Johannistag nicht zahlen konnte. In alter Zeit war der Johannistag Zahltag. Der Bauer verlangte also vom Wicht, ihm noch bis zum Herbst Kredit zu geben. Er würde dann sogar das Doppelte bezahlen. Der Wicht zögerte zuerst, doch dann sah er, wie verzweifelt der Bauer war. Das freute ihn innerlich, und da kam ihm plötzlich eine andere Idee: „Gib’ mir das Kreuz dort an der Wand, dann bin ich mit deinem Vorschlag einverstanden.“ Da wehrte sich der Bauer energisch: „Nie und nimmer gebe ich das her!“ schrie er, „solange dieser Hof steht, bleibt auch das Kreuz an dieser Wand“
„Du hast die Wahl“, entgegnete der Wicht, auf einmal unheimlich wirkend. „Entweder das Kreuz oder die beste Kuh aus dem Stall.“ Der Bauer wurde ganz blass und ganz still. Dann nahm er langsam das Kreuz von der Wand, blickte darauf und wollte es gerade dem Wicht übergeben, als die Tür aufging und seine Frau hereinstürmte. „Wer das Kreuz gegen Geld hergibt, den bestraft Gott!“ rief sie. Sie riss ihrem Mann das Kreuz aus der Hand und trug es unter ihrer Schürze davon.
Der Wicht drehte sich auf dem Absatz um, ging in den Stall und führte die beste Kuh davon. Der Bauer konnte trotz aller Mühe seinen Hof nicht mehr halten. Er musste alles aufgeben und zog in eine andere Gegend. Nun hatte der Wicht erreicht, was er wollte. Er war der Besitzer des großen Anwesens geworden! Er wollte es aber nicht behalten. Er verkaufte es zu einem hohen Preis und war nun noch reicher als zuvor. So vergingen einige Jahre, in denen der Wicht auch noch anderen Leuten Unglück zufügte. An einem Sommertag ging ein furchtbares Gewitter im Kylltal nieder. Trotzdem wanderte ein Bauer kurz danach hinaus zum Jakobsknopp um nachzusehen, ob das Unwetter großen Schaden angerichtet hatte. Plötzlich stutzte er. Was lag auf dem Weg? Ein Tier? Als er näher kam, erschrak er fast zu Tode. Da lag doch tatsächlich der bucklige Wicht, das Gesicht im Matsch und der Körper voller schwarzer Flecken. „Jesus, Maria, Josef!“ sprach der Bauer leise und bekreuzigte sich. „Das ist wohl deine gerechte Strafe“, murmelte er noch. Denn ein Blitz schien das unheimliche Wesen getroffen zu haben. Der Bauer rannte mit dieser Nachricht zurück ins Dorf. Als er mit mehreren Männern zurückkam, war die Leiche verschwunden. Nur ein Irrlicht tanzte in der Schlucht und ein schreckliches Geräusch war zu hören, so als ob jemand mit Eisenstäben um sich schlägt.
„Den hat der Teufel geholt!“ sagten die Männer. „Der hat ihn in ein Eisenmännchen verwandelt!“
Lange Zeit ging niemand mehr in diese Gegend. Die Dorfbewohner hatten Angst vor der unerlösten Seele.