Der Seidenschwanz

Heinz Hürth, Steffeln-Auel

„Seidenschweif“, „Böhmer“, „Zuser“, „Pfeffer-, Kreuz-, Sterbe- oder Pestvogel“ „Winterdrossel“, „Schneeleschke“ - all das sind Namen für ein und denselben Vogel, unseren schönen Seidenschwanz (Bombycilla garrullus). In manchen Wintern machen leise Rufe den Beobachter auf einige starengroße Vögel aufmerksam, die in beerentragenden Sträuchern oder Bäumen, oft mitten in einer Stadt, ihren schier unbegrenzten Hunger stillen. Diese hübschen zutraulichen Gäste aus dem Norden, unverkennbar an ihrer spitzen Scheitelhaube, sind Seidenschwänze. Ihr seidenweiches Gefieder zeigt fein abgestuftes zartes Braun; Kehle, Flügel und Schwanz sind schwarz. Eine besondere Zierde ist das satte Gelb der Schwingenränder und der Schwanzspitze, sowie die kleinen roten Lackplättchen an den Armschwingen. Der Seidenschwanz ist ein Brutvogel der Taiga und der offenen Waldtundra. Aus Flechten und Federn baut er ein napfförmiges Nest, meist in einem Nadelbaum oder einer Birke. In der Regel werden fünf bis sieben blaugraue dunkel gefleckte Eier gelegt. Während der Brutzeit füttert das Männchen seine Gattin, die Jungen erhalten ihr Futter von beiden Eltern. Zur Sommerzeit jagen die Seidenschwänze nach Art der Fliegenschnäpper im Fluge Insekten,
besonders Schnaken und die reichlich vorhandenen Mücken. Im Winter sind Beeren ihre Hauptnahrung, wovon sie unglaubliche Mengen verzehren, der tägliche Verbrauch an Früchten und Beeren übertrifft das Doppelte ihres Eigengewichtes. Es ist dabei verständlich, dass die Verwertung nur gering ist. An der Farbe der Ausscheidungen lässt sich erkennen, dass die Beeren binnen kurzer Zeit den Körper verlassen. Die Masseneinflüge in unsere Breiten sind in den letzten Jahren sehr selten geworden. Bei uns in der Eifel, an der Oberen Kyll, sind es nach meinen Aufzeichnungen einige Jahre her, aber das heißt nicht, dass in dieser Zeit nicht an anderer Stelle große oder kleine Einflüge gewesen sind. Der bekannte Vogelforscher Dr. Thinemann, der Jahrzehnte lang die Vogelstation Rossitten an der Kurischen Nehrung geleitet hat, die von russischen Ornithologen übrigens heute weiter betrieben wird, hat Hunderte Seidenschwänze beringt, die später in vielen europäischen Ländern gefangen wurden. Professor Dr. Thinemann hat festgestellt, dass Seidenschwänze auch ohne Nahrungsmangel große Wanderungen unternehmen. Den Seidenschwanz kann man auch als Strichvogel bezeichnen, der im Winter innerhalb eines Gebietes hin
und her streicht, bei Nahrungsmangel wird er aber zum Wandervogel. In allen nördlich von uns gelegenen Ländern ist er eine viel regelmäßigere Erscheinung als bei uns in Deutschland. In der Regel treffen die vom nordischen Winter vertriebenen Seidenschwänze in der letzten Hälfte des Novembers bei uns ein. Es kommt aber auch vor , dass viele früher bei uns eintreffen, oder einige bis in die zweite Aprilhälfte bei uns bleiben, was viele Beobachter bei uns veranlasste, an eine Brut hier zu glauben, Durch die langen Winter in ihrer Heimat beginnt die Brutzeit dort erst Ende April bis Anfang Mai. Der Seidenschwanz gehört nicht zu den bewegungslustigen Wesen, er ist ein träger und fauler Geselle, der nur im Fressen Großes leistet, und ungern den einmal gewählten Futterplatz verlässt.