Schwerpunktthema -
Alte Berufe

Drei Generationen Schneiderhandwerk

Ein tapferes Schneiderlein aus Kirchweiler

Alfred Pitzen, Konz

Die Rede ist von meinem Großvater Josef Pitzen, auch Patt genannt, der vor mehr als 130 Jahren - genau 1875 - in Gerolstein das Schneiderhandwerk erlernte und den Grundstein für eine mehr als 100 Jahre über drei Generationen währende Handwerkertradition in seiner Familie legte. Er wurde am 5.11.1859 in Kirchweiler geboren, wo er am 27.12.1950 im Alter von 91 Jahren verstarb. Er wusste am Lebensabend vieles aus seinem Leben zu berichten. Ich kann mich als Kind noch

gut an manche seiner Erzählungen und Anekdoten aus seinem 75-jährigen Berufsleben erinnern, die er bei Alters- oder Berufsjubiläen oder beim Plausch in der Werkstatt am Bügelofen zum Besten gab. Auf ihn traf auch das geflügelte Wort zu, wonach ein Schneider mit Bügeleisen nicht mehr als 1 Zentner auf die Waage bringen durfte oder wie es in der Volksweise heißt:
„Und als die Schneider Jahrestag hatt’n, da war’n sie alle froh, da aßen ihrer neunzig, ja neunmal neunundneunzig an einem gebratenen Floh!“ Das erinnerte ihn an die Zeit, als er noch in jungen Jahren als Schneider durch die Dörfer zog und Näharbeiten in den Häusern verrichtete. Er war dann die ganze Woche unterwegs und bekam dort, wo er arbeitete auch Kost und Logis. So sah sich nach seinen Worten eine Bauersfrau aus der Struth vor die schwierige Frage gestellt, ob für den Schneider ein ganzes Ei für das Mittagessen nicht zuviel sei, andererseits sie ihm aber auch nicht gut nur ein halbes anbieten wollte. So entschied sie sich für ein ganzes Ei mit der Bemerkung: „Wenn hähn dahn booscht (platzt) dann booscht hähn ewen!“ In den Notjahren der Eifel gab es wochenlang jeden Mittag nur Haferwaffeln. Patt wusste zu berichten, dass er dann samstags auf dem Heimweg gewisse Schwierigkeiten mit dem „Koaf“ in der Hose hatte. Als Schneidermeister selbstständig machte sich Patt 1894. Auch danach war er noch viel in der engeren Heimat unterwegs. Fast an jedem Sonntagmorgen machte er sich zu Fuß bei jedem Wind und Wetter von Kirchweiler auf den Weg zur Frühmesse nach Gerolstein. Bei „Kirche-Paul“, einer Kneipe in unmittelbarer Nähe der Gerolsteiner St. Anna-Kirche, wurden dann anschließend die Geschäfte abgewickelt. Die Kunden wussten, dass er dort anzutreffen war, suchten sich den Stoff für einen neuen Anzug, Mantel oder Kostüm aus und das Maß wurde genommen oder sie kamen später zur Anprobe oder Abholen des bestellten Kleidungsstücks dorthin, falls Patt sie dazu nicht zuhause aufsuchte. Um seine Familie zu ernähren übte er, wie das damals allgemein üblich war, neben dem Handwerk eine kleine Landwirtschaft aus. Bis 1902 war die Familie auf acht Kinder, vier Mädchen und vier Jungen, angewachsen. Aber auch das Handwerk und sein Fleiß scheinen sich gelohnt zu haben. 1905 wurde das heute

noch bestehende Anwesen in Kirchweiler (Wohnhaus mit Werkstatt, Stall und Scheune) errichtet. Die ganze Familie musste, so gut es ging, mithelfen das tägliche Leben sicherzustellen.
Drei seiner Söhne (Matthias, Peter und Josef) erlernten bei ihrem Vater das Schneiderhandwerk, sein Sohn Johann musste im ersten Weltkrieg sein Leben lassen. Ein besonderer Schicksalsschlag für ihn war auch 1917 der Tod seiner Frau Katharina geb. Krämer. Bis 1937 führte Patt den Handwerksbetrieb, den er dann an seinen Sohn Josef weitergab, der laut Handwerkskammer Trier am 17.6.1936 in die Handwerksrolle eingetragen wurde und damit zur Führung des Meistertitels im Schneiderhandwerk befugt war. Sein Sohn Matthias führte bereits in Duisburg-Ruhrort als selbstständiger Schneidermeister einen Betrieb, sein Sohn Peter einen solchen in Kirchweiler.
Ich selbst habe noch die Blütezeit des Handwerks in den Nachkriegsjahren miterlebt. Im Betrieb meines Vaters arbeiteten damals mit ihm zusammen meine Schwester Franziska, mein Bruder Edy, eine Gesellin bzw. ein Geselle und ein bis zwei Lehrmädchen. Auch Patt war noch häufig an der Nähmaschine zu finden. Er hat für mich so manche Hose genäht oder geflickt. Der größer gewordene Betrieb erforderte ein ausreichendes Maß an Aufträgen. Viele der Kunden aus einem Einzugsbereich von ca. 20 km kamen (meist abends oder sonntags) in die Schneiderei, um ein neues Kleidungsstück zu bestellen. Aber ein Großteil der Kundschaft musste aufgesucht werden. Zunächst mit dem Motorrad und ab 1953 mit einem Renault fuhren mein Vater und mein Bruder Edy sonntags abwechselnd in die Frühmesse nach Berlingen oder nach Brück, um anschließend die Kunden aufzusuchen.
Anfang der 60er-Jahre änderten sich für das Schneiderhandwerk die Rahmenbedingungen ganz beträchtlich. Mit der fabrikmäßig hergestellten und in den Geschäften in Ge-rolstein und Daun angebotenen Konfektion konnte die Maßschneiderei nicht mehr mithalten. Hinzu kam die zunehmende Mobilität der Bevölkerung, durch die das noch größere Angebot in den Städten wie Köln und Trier besser genutzt werden konnte. Dennoch entschloss man sich1961 eine neue Werkstatt zu bauen, um im Wohnhaus neuen Wohnraum für die Familie meines Bruders Edy, der den Betrieb nach Ablegung der Meisterprüfung 1959 weiterführen sollte, zu schaffen. Aber mein Bruder musste schon bald erkennen, dass die Ausübung des Handwerks längerfristig keine Perspektive und Lebensgrundlage mehr bildete. So entschloss er sich 1964 zusammen mit seiner Frau Madeleine in deren luxemburgische Heimat zu ziehen und dort seinen Weg zu machen - nach einigen Jahren aber nicht mehr im erlernten Handwerksberuf. Mein Vater hat den Betrieb noch bis 1981 fortgeführt.
Mit seinem Tod ging damals die mehr als 100-jährige Schneidertradition der Familie Pitzen in Kirchweiler zu Ende. Der Betrieb von Peter Pitzen, dessen Söhne Josef und Alfons ebenfalls das Schneiderhandwerk erlernten, wurde von seinem Sohn Alfons übernommen, aber auch in den 1960er-Jahren eingestellt, genauso wie der ebenfalls in Kirchweiler ansässige Betrieb von Johann Steffes mit seinen Söhnen Philipp und August.
Die Tatsache, dass in den drei selbstständigen Schneiderbetrieben in dem 500-Einwohnerort Kirchweiler in den Nachkriegsjahren bis zu 12 Arbeitsplätze bestanden, die ebenso wie die Arbeitsplätze in den anderen ansässigen Handwerksbetrieben (Schmied, Schreiner, Schuster) verloren gingen, zeigt, dass das Wirtschaftwunder für unsere Dörfer nicht nur seine guten Seiten hatte.
„Patt“ konnte diese Entwicklung beim Beginn seines Handwerkerlebens nicht vorausahnen. Er hat aber aus den kleinsten Anfängen heraus mit Fleiß, Mut und Optimismus für seine Familie eine gesicherte Lebensgrundlage geschaffen und war somit ein „tapferes Schneiderlein“, wenn auch nicht im Sinne von Grimms Märchen.Für die heutige Generation, die die früheren Handwerksberufe größtenteils nicht mehr kennen, möchte ich die Ausübung des Schneiderhandwerks im väterlichen Betrieb schildern. Die meisten Aufträge wurden sonntags „hereingeholt“. Montags wurden die ausgewählten Stoffe einschließlich Zutaten (Futterstoffe, Einlagen, Knöpfe, Nähgarn usw.) bei Firmen in Aachen, Cochem und München bestellt. Gearbeitet wurde täglich von 7.00 bis 21.00 Uhr, unterbrochen durch das gemeinsame Frühstück, Mittagessen, Nachmittagskaffee und Abendessen. Lediglich samstags wurde nachmittags Feierabend gemacht. Viele einzelne Arbeitsschritte waren zur Anfertigung eines Anzugs notwendig. Anhand der Maße, die bei der Bestellung individuell aufgenommen wurden, ermittelte mein Vater die notwendige Größe des Anzuges. Mit einem passenden Schnittbogen, den er oftmals selbst herstellen musste, erfolgte der Zuschnitt des Stoffes, wobei es auf die Geschicklichkeit und das Können des Zuschneiders ankam,

das individuelle Maß des Bestellers mit zu berücksichtigen und den Stoff bestmöglich auszunutzen. Mit einem leichten weißen Garn (Reihfäden) wurden die einzelnen Stoffteile zum Sakko oder Hose zusammengeheftet. Auch die Einlage aus Rosshaar, die dem Sakko die nötige Form geben sollte wurde eingearbeitet (pikiert). Nunmehr war eine Anprobe an dem Kunden notwendig, um festzustellen, ob der Sakko von der Größe und Form her am Körper des Betroffenen passte - oder es mussten entsprechende Korrekturen vorgenommen werden. Manchmal war auch noch eine zweite oder gar dritte Anprobe notwendig, denn der neue Anzug sollte ja „gut sitzen“.
Nunmehr erfolgte die Verarbeitung in vielen weiteren Schritten von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern je nach Können: Einnähen des Futterstoffes, des Kragens, der Taschen, der Ärmel, herstellen der Knopflöcher und annähen

der Knöpfe. Zum Schluss wurden die Reihgarnfäden entfernt. Es folgte dann die schwere Arbeit des „Abbügelns“. Die etwa zehn Kilogramm schweren Bügeleisen wurden im Bügelofen, der gleichzeitig auch die Heizquelle für die Werkstatt darstellte, erhitzt. Das fertige Kleidungsstück erhielt den „letzten Schliff“ indem es auf das Bügelkissen oder das Bügelbrett gelegt und mit dem feuchten Bügeltuch abgedeckt wurde. Mit dem heißen Bügeleisen entstand so ein Dampfeffekt, der das Kleidungsstück glättete, wobei auch die Bügelbürste wertvolle Dienste leistete. Nun war das Werk vollendet und wurde auf eine Büste gehängt, bis es durch den Kunden abgeholt oder an ihn ausgeliefert wurde.
Wenn man bedenkt, dass trotz all dieser vielen einzelnen Arbeitsschritte, die für einen dreiteiligen Anzug (Sakko, Weste, Hose) einen Arbeitsaufwand von 48 Stunden erforderte, nach den Aufzeichnungen von Patt beim Beginn seiner selbstständigen Tätigkeit 1894 ein Anzug mit 5,15 Mark, 7,75 Mark oder 8,20 Mark in Rechnung gestellt wurde oder auch noch Anfang der 60er-Jahre von meinem Vater für das Anfertigen eines Anzugs ein Arbeitslohn von 70,00 DM berechnet wurde, zeigt dies, dass das Handwerk nicht immer nur „goldenen Boden“ hatte, sondern viel Fleiß und auch Schweiß dazu notwendig war.

Der Schneider Jahrestag

Melodie - Volksweise Ohne die l. Strophe aus dem 18. Jahrh.

Aus der Wetterau

|: Zu Regensburg auf der Kirchturmspitz',
Da kamen die Schneider z'samm. :|
|: Da ritten ihrer neunzig,

Ja neunmal neunundneunzig,
Auf einem Gockelhahn. :|
|: Wi de wi de witt dem Ziegenbock,

Meck meck meck dem Schneider, :|
Hei ras sa, juch hei ras sa !
("Wer da?"
"Ein Schneider!
" "Was will er?")
Zwirrrrn raus! - -
Laßt die Nadel sausen!
|: Und als die Schneider Jahrstag hatt'n,

Da war'n sie alle froh, :|
|: Da aßen ihrer neunzig,

Ja neunmal neunundneunzig
An einem gebratenen Floh. :|
2. |: Und als sie nun gegessen hatt'n,

Da war'n sie voller Mut, :|
|: Da tranken ihrer neunzig,

Ja neunmal neunundneunzig
Aus einem Fingerhut. :|
|: Wi de wi de witt .....
3. |: Und als sie nun getrunken hatt'n, Da kamen sie in Hitz, :|

|: Da tanzten ihrer neunzig,
Ja neunmal neunundneunzig
Auf einer Nadelspitz. :|

|: Wi de wi de witt .....
4. |: Und als sie nun getanzet hatt'n,
Da gingen sie zur Ruh, :|
|: Da schliefen ihrer neunzig,
Ja neunmal neunundneunzig
Auf einem Halme Stroh. :|

|: Wi de wi de witt .....
5. |: Und als sie nun im Schlafe war'n,
Da raschelt eine Maus, :|

|: Da schlüpften ihrer neunzig,
Ja neunmal neunundneunzig
Zum Schlüsselloch hinaus. :|

|: Wi de wi de witt .....
|: Und was ein rechter Schneider ist,
Der wieget sieben Pfund. :|

|: Und wenn er das nicht wiegen tut,
Ja wia-wia-wiegen tut,
Dann ist er nicht gesund. :|

|: Wi de wi de witt .....

Die vier lustigen Handwerksleut’

Es zogen vier lustige Handwerksleut',
sie wandern weit in die Welt hinaus.
Wir haben 'was gelernt, man sieht es uns wohl an !
Nun gebet recht acht, zeigt jeder, was er kann !

Ich bin der lustige Meister Schmied,
habt ihr ein Rößlein, beschlag' ich's gut.
Ich hämmere laut, verfehle keinen Schlag
und werde nicht müd', bis daß es Abend ist.

Ei, Meister Schmied du gefällst uns wohl,
nimm uns als deine Gesellen an !
Wir hämmern laut, verfehlen keinen Schlag
und werden nicht müd', bis daß es Abend ist.

Ich bin der kleine Schustersmann,
der große Stiefel machen kann.
Ich näh' den ganzen Tag, verfehle keinen Stich
und werde nicht müd', bis daß es Abend ist.

Ei, Schustersmann, du gefällst uns wohl, nimm uns....

Ich bin das lustige Schneiderlein,
ich näh' euch Röcke und Hosen fein.
Ich näh' den ganzen Tag, mit Zwirn und Fingerhut
und werde nicht müd', bis daß es Abend ist.

Ei, Schneiderlein, du gefällst uns wohl, nimm uns....

Ich bin der kleine Böttchersmann,
der große Fässer machen kann.
Ich mache bum, bum, bum, den lieben langen Tag
und immer bum, bum, bum, wohl um das Faß herum.

Ei, Böttchersmann, du gefällst uns wohl, nimm uns....

Nun woll'n wir wieder weiter zieh'n
und uns einmal die Welt beseh'n.
Wir zieh'n von Ort zu Ort, wir zieh'n von Stadt zu Stadt.
Es wandert sich gut, wenn man Gesellschaft hat.