Ackerer und Schuster

Winfrid Blum, Springiersbach

Mein Großvater Anton Blum, 1859 - 1927, war beides: Bauer und Schuster, zu Beinhausen in der Struth und in den umliegenden Dörfern! Im Heimatjahrbuch des Kreises Daun 2001 (S. 51ff.) hat Alois Mayer neben einer prägnanten kurzen Erwähnung auch ein Bild des „Zwei-Beruflers“ gebracht und zutreffend darauf hingewiesen, dass derselbe bereits 1922 in die Eifeler Literatur eingegangen ist. Gemeint ist damit das Sammelwerk „Wir Rheinländer“, herausgegeben von Karl d’Ester1, in dem Antons Sohn Peter Blum in dem Beitrag „Schoh-Tunn“ - ich zitiere Alois Mayer a. a. O. S. 52 - „seinem Vater ein Denkmal“ gesetzt hat.
Der Verfasser dieses kurzen Beitrags, geb. 1933, eines der vielen Enkelkinder von Anton Blum, konnte seinen Großvater nur aus den Erzählungen der „Alten“ kennen; er besitzt aber noch eine Leder-Raspel, eine Art Feile für Leder, die dem Werkzeuginventar des Großvaters zugeschrieben wird.
Wie kam Anton Blum zu diesem Doppelberuf? Seine Eltern wohnten in Nerdlen; der Vater, Landwirt und Zimmermann, starb 1861, erst 46 Jahre alt. Die Mutter folgte ihm bereits zwei Jahre später mit 38 Jahren. Anton war bei ihrem Tod noch keine vier Jahre alt. Zurück blieben fünf Waisenkinder.
Sie hatten offenbar einen verantwortungsvollen Vormund, der nicht nur eine Ersatzfamilie besorgte, sondern den aufgeweckten Jungen für den Rest des ihm zustehenden Erbteils einem Schuhmacher in die Lehre gab. Als Bub hütete er unter anderem das Vieh seiner Ersatzeltern auch auf den Wiesen, die vor Zeiten seinen leiblichen Eltern gehört hatten. Das hat sich ihm wohl für das ganze Leben eingeprägt.
Schulbildung? War nur im Winter angesagt; in der Zwischenzeit blieb allenfalls die „Selbstbildung“, die man sich in einem Eifeler Bauernhaus in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts leicht vorstellen mag2. Für das körperliche Wohlergehen - das Essen bestand wohl vorwiegend aus dem üblichen Haferbrei, Roggenbrot und Kartoffeln - sorgten die „Stiefeltern“ brav und bieder.
Der vom Vormund angebahnte Beruf war gut überlegt: Schuhe brauchten die Menschen in der Eifel auch in der weiteren Zukunft, Bauern mit ihrem beträchtlichen Verschleiß besonders. Fabriken gab es zu der Zeit in der Eifel nicht, Leder wurde von Hand über Leisten (Holzmodelle von Füßen für alle möglichen Schuharten) gespannt, mit kleinen Nägeln befestigt und per Hand exakt zugeschnitten. Zusammengenäht wurden die einzelnen Teile, vor allem auch die Sohle aus dickem Leder, mit Pechgarn. Stoßeisen vorne, „Hufeisen“ auf dem Absatz, Schuhnägel (Pinnen) auf der Sohle - also „bewaffnet“ kann man fast sagen, zogen die Schuhe über die „Eifeler Scholle“ und der Mensch in den Schuhen mit. Anton hatte den Vorteil, dass er bei seinem Lehrherren gleichzeitig auch dem Lauf des Jahres gemäß alle Arbeiten eines Bauern - damals gerne auch „Ackerer“ genannt - mitmachen konnte/musste. Beides zusammen wurde die Grundlage für das künftige eigengestaltete Leben. Bevor das angestoßen werden konnte, musste jeder taugliche Mann seine Militärzeit ableisten (= dienen). Der junge Anton Blum, von der Jugendzeit an Entbehrungen und Gehorsam gewöhnt, wurde sicherlich ein vorbildlicher Soldat - Infanterist drei lange Dienstjahre hindurch. Er war in diesen Jahren auch als Schuster für’s Militär eingesetzt, erfüllte offenbar mehr als nur seine Pflicht und konnte sich daher durch sein Handwerk manchen Groschen extra verdienen. Nach dem zweiten Dienstjahr hätte er (als ausgebildeter Musketier) entlassen werden können. Aber: wohin sollte er gehen? Er hatte ja kein „nach Hause“, blieb daher eben ein weiteres Jahr beim Militär und schusterte zielstrebig überlegt und fleißig in dieser Zeit weiterhin für seine Zukunft. Mit dem verdienten Geld schaffte er sich eigene Kleider, Handwerksausrüstung und etwas Hausrat, sparte ein Anfangskapital an. Die anschließende Entwicklung lief in den friedlichen Jahrzehnten der zweiten Jahrhunderthälfte geradlinig weiter; mit 25 Jahren heiratete er die Agnes geb. Weis aus dem benachbarten Beinhausen, wie Nerdlen in der Sieben-Dörfer-Pfarrei Hilgerath gelegen; kaufte - dank seines Bargelds - ein Bauernhaus von einem Auswanderer und betrieb, soweit die Arbeit in der Landwirtschaft das zuließ, sein Handwerk in fast moderner Form weiter. Er besuchte nämlich in den Dörfern die Bauernfamilien und schusterte denen in ihren Häusern neue Schuhe, reparierte und nähte Paar um Paar, Haus für Haus und Dorf für Dorf.
Mit dem Geld konnte er nicht nur seine Familie ernähren, er konnte auch langsam und zielstrebig Land für seine Bauerei dazukaufen - eigenes Land für eigenes Vieh, der Traum des Hütejungen. Das erforderliche Werkzeug, während der Militärzeit angeschafft, trug der wandernde Schuster/Bauer stets in einem Ledersack mit sich. Auch in der eigenen Familie entstanden laufend „Bedarfsanforde-rungen“ an den Ehemann und Vater: in den 20 Jahren von Ende 1884 bis Ende 1904 kamen zwölf Kinder dazu. Wohnhaus, Stall und Scheune wurden erweitert, die Arbeit ging dem fleißigen Mann nie aus. Ein Sohn wurde ebenfalls Schuster und Bauer; ein weiterer Sohn konnte sogar studieren, promovierte zum Dr. jur. der von Alois Mayer zu
Beginn dieses Artikels genannte Peter Blum. Anton Blum starb, hochgeschätzt in Familie und Dorfgemeinschaft, bereits 1927, seine Frau 1945.

Anmerkungen

1 Zur Person von Dr. Karl d’Ester, einem verdienten „Laudator“ seiner rheinischen Heimat: Er war der erste hauptamtliche Universitätsprofessor für Zeitungswissenschaft von 1924 bis 1960 an der Universität München. Er lebte von 1881 bis 1960, geboren in Vallendar; promovierte 1907 über die Geschichte des Journalismus’ in Westfalen. Von Karl d’Ester war bereits 1921 das Buch „Die Rheinlande“ erschienen. Quellen: Vorwort zum unveränderten Nachdruck 1982 der Ausgabe von „Die Rheinlande“ 1921. Kurzbiographien von Mittelrhein und Moselland, 1967 - 1975, S. 443 ff., Stichwort „d’Ester, Karl Maria“, bearbeitet von P. Kämpchen.
2 Vgl. dazu jetzt: Johannes Nosbüsch „Es werde Licht“, 2001, Herausgeber Geschichtsverein „Prümer Land“ e. V.