Die Kunst, eine Sense zu dengeln

Thea Merkelbach, Pelm

Früher, so erzählen die alten Leute, hörte man im Sommer im Dorf morgens und abends ein ständiges, gleichmäßiges Geräusch: teng, teng, teng. Es wurde überall gedengelt. Dengeln ist das Schärfen von Sichel und Sense, wobei das Metall entlang der Schneide durch gleichmäßiges Hämmern dünn ausgetrieben wird. Im Herkunftswörterbuch des Duden Band 7 kann man lesen: “Das heute nur noch in der Landwirtschaft gebräuchliche Verb dengeln (mdh ten-geln = hämmern, klopfen) gehört zu ahd tangol ‚Hammer’ und mhd tengen ‚schlagen’….“
„Der Zweck des Dengelns besteht darin, die dünne scharfe Schneide von Sense und Sichel auf Dauer zu erhalten, zu verbessern oder neu herzustellen. Gedengelt wird auch, um das Materialgefüge des Stahls zu verbessern und so eine längere Standzeit der Schärfe zu erzielen“.1
Der Landwirt bewahrte an einem bestimmten Platz in Stall oder Scheune die Sense auf, und gleich daneben hatte das Dengelgeschirr oder ‚Kloppjeschirr’ seinen Platz. Dazu gehörte ein Dengelhammer und der Dengelamboss, auch Haarstock oder Dengeleisen genannt. Gleich daneben hing das Schlotterfass, (Schlooter-fass), auch Schlucker oder Stuuch genannt. Es war aus Metall oder einem Kuhhorn, worin der Wetzstein seinen Platz hatte. Je nach Tradition wurde ein Dengeleisen mit quadratförmiger Fläche oder mit einer schmalen, aber gerundeten Oberfläche verwendet. Beim quadratförmigen Dengelamboss nahm man einen schmalen und beim schmalen Dengeleisen einen breiten Hammer. Hammer und Amboss sind bombiert, d.h. leicht abgerundet. Der kurzstielige Hammer durfte niemals für andere Zwecke, zum Beispiel zum Nägel einschlagen gebraucht werden. Wollte der Bauer mit der Arbeit beginnen, trieb er den Dengelamboss in eine Unterlage, nämlich in den Dengelstock. Das konnte ein dicker Stein mit einem entsprechenden Loch, ein breiter Holzbock oder dicker Baumstamm sein, auf dem der Dengler zugleich sitzen konnte. „Manche Bauern klopften den Amboss in den Lehmboden der Tenne“, erzählt Hein Schmitt aus Pelm. Mülle Pittisch Nikla setzt sich auch heute noch zum Dengeln auf einen Kartoffelsack auf den Boden und treibt den Dengelamboss zwischen vier Pflastersteinen in die Erde. Köllisch Jupp sitzt lieber auf einem dicken Holzblock, in den er den Haarstock eingeschlagen hat. Jeder Dengler hatte sein eigenes Rezept und hielt es für das beste. Wenn auf der Wiese oder dem Feld gedengelt wurde, hatte man dafür einen Haarstock mit langer Spitze und Eisenschlaufen in der Mitte. Die sorgten auch im Wiesenboden für festen Halt. „Die meisten Sensen hatten beim Kauf einen falschen Stellungswinkel“, weiß E. Marschall zu berichten. „Beim Mähen hätten die Bauern in die Knie gehen müssen. Deshalb brachten sie ihre Sense mit dem Stahlblatt zu meinem Vater in die Pelmer Schmiede. Dort wurde der Winkel verändert. Um aber beim Erhitzen das Blatt nicht zu beschädigen, steckte mein Vater eine Rübe an die Spitze.“ Wenn heute jemand dengelt, macht er es genau so wie vor 100 Jahren: Vor dem Dengeln wird zuerst das Sensenblatt vom Stiel abgelöst, weil sich das Blatt alleine leichter führen lässt und es von beiden Seiten bearbeitet werden kann. Man sitzt auf dem Dengelbock oder Dengelstock, und das Sensenblatt ruht auf einem Oberschenkel. Der Dengelamboss befindet sich zwischen beiden Oberschenkeln. Das Dengeln beginnt am Bart (breites Ende) und endet an der Spitze des Sensenblattes. Während des Schlagens hält die linke Hand das Sensenblatt und schiebt es Millimeter für Millimeter vorwärts. Der Hammer in der rechten Hand wird drei bis vier Zentimeter über dem Blatt gehalten und führt locker aus dem Handgelenk die Schläge aus. Diese sollten leicht zum Körper hin gezogen werden. Man nennt das den ziehenden Dengelschlag. Wenn senkrecht geschlagen wird, ist das der klopfende Dengelschlag; dabei wird die Schneide nicht ausgezogen, sondern nur verdichtet. Manche Dengler

„Mülle Pitisch Nikla“ (Nikolaus Utters) dengelt, indem er auf einem Sack auf dem Boden sitzt. Der Dengelstock ist zwischen die Pflastersteine in die Erde geschlagen.

Spitzer und viereckiger Dengelstock mit Schlotterfass und Kunstschleifstein

schwören auf folgende Technik: Sie dengeln in zwei Durchgängen, der erste mit ziehendem Schlag und der zweite mit klopfendem Schlag. Diese Methode ist besonders geeignet bei Sensen, die lange nicht kunstgerecht gedengelt wurden.

„Köllisch Jupp“ (Josef Schmitz) aus Pelm dengelt auf einem Dengelbock mit einem spitzen Haarstock.

Egal welche Dengelkunst man anwendet, das Ergebnis zählt. Eine perfekt gedengelte Sense muss die Nagelprobe bestehen. Dazu streicht man „mit dem Fingernagel des Daumens unter dem Dangel der Schneide entlang“2. Der Dangel ist der äußerste Teil der Schneide. Wenn man dabei den Schatten des Nagels sieht, ist die Schneide dünn genug, um sehr scharf zu schneiden. Manche prüfen auch die Schärfe, in dem sie am Fingernagel einen Streifen abschneiden. Dengeln ist, wie man sieht, eine schwierige Kunst mit vielen Varianten. Es ist eine millimetergenaue Gefühlsarbeit. „Der Dengler muss seinen eigenen Schlagrhythmus mit dem Hammer finden“3. Und jeder Schlag muss punktgenau sitzen und zwischen Schieben und Klopfen muss eine perfekte Koordination entstehen. Je nach Art des Sensenblattes muss der Schlag leichter oder fester sein. Der Dengler muss spüren, wie sich das Metall verhält. Wer unregelmäßig schlägt, produziert wellenförmige Wölbungen. Auch mit dem Wetzstein ist da nichts mehr zu machen. So eine Sense kann man nur noch wegwerfen. Ein weiterer Fehler besteht darin, das Metall zu weit auszutreiben. Es entstehen dann kleine Haarrisse und Dellen. Die Sense ist ebenfalls unbrauchbar. Da eine gute Sense dereinst und auch noch heute auch gutes Geld kostet, war der Landwirt bemüht, seine Sense besonders gut zu dengeln. Er sparte Geld und erleichterte sich die Mäharbeit. Das meint auch der Spruch: ‚Gut gedengelt, ist halb gemäht’. „ Man hörte am Klang der Schläge, ob einer gut dengeln konnte“, versichert Alfred Meyer aus Essingen, der schon mit 11 Jahren diese Kunst vom Großvater lernte. Wenn die Sense gut gedengelt war, wurde sie zum Schluss noch gewetzt. Auch auf der Wiese, nach einiger Mäharbeit, musste nachgeschärft, d.h. gewetzt werden. Dazu hatte der Mäher sein mit Wasser gefülltes Schlotterfass, am Gürtel befestigt, stets griffbereit. War kein Wasser in der Nähe, wussten sich die Männer mit körpereigener Flüssigkeit zu helfen. Das versicherte mir ein Kenner der ‚Mähkunst’. Ob es nun ein Kunststein oder ein Naturstein sein musste, war wieder eine wichtige Entscheidung. Bernhard Lehnert empfiehlt: „Bei einer Grassense ohne guten Dangel kann dieser verbessert werden, wenn man die Schneide zuerst mit einem feinen Kunststein und zum Schluss mit einem Naturstein wetzt. Der grobkörnige Kunststein ist für einen feinen, dünnen Dangel schädlich, weil zu viel Material abgewetzt wird. Diese Wirkung ist erwünscht bei ungenügend scharfen Sensen oder bei Sensen, bei denen ein allzu feiner Dangel nicht benötigt wird, wie bei der Busch- und Forstkultursense“4). Das richtige Sensenblatt zu kaufen, war eine weitere Kunst. Denn für jedes Gelände und jedes Mähgut ist wieder eine spezielle Sense notwendig. Aber das ist eine andere ‚Wissenschaft’. Wer mehr darüber erfahren will, informiere sich in dem Büchlein: „Dengeln“ von Bernhard Lehnert oder buche beim Autor gleich einen Dengelkurs. In manchen Heimat- und Freilichtmuseen kann man sich ebenfalls über das Dengeln und andere alte Handwerkskünste informieren.

Quellen:

Bernhart Lehnert: Dengeln, die Kunst Sense und Sichel zu schärfen 1), 2), 3),4) Mündl. Informationen