„Gott segne das ehrbare Handwerk“

Vieles hat sich beim Anstreichen geändert

Adolf Strnisko, Birgel

So stand in gotischer Schrift, gestochen genau geschrieben der heute fremd anmutende Spruch in der Malerwerkstatt, die ich am 8. April 1958 betrat. Noch nicht einmal vierzehn Jahre alt hatte ich an diesem Osterdienstag in Gerolstein die dreijährige Lehre zum Maler und Anstreicher begonnen.
Die ersten Tage standen ganz im Zeichen des Kennenlernens der Werkstatt, worauf der 74-jährige Lehrmeister großen Wert legte. Was da alles in den Regalen rechts und links des Eingangstores an den Wänden vorbei stand, machte neugierig und stiftete Verwirrung in mir, ob ich das je erfassen und begreifen kann.
Da hing oben unter der Decke über den Farbtöpfen die hölzerne Ausziehleiter, an der rechten Seite des Eingangs standen die Fässer mit verschiedenen Pulvern. Das wichtigste war die Kreide, sie stammte aus der Champagne oder von Rügen. Aus dieser Kreide fertigten wir uns die Leimfarbe an. Dazu wurde das für den heutigen Begriff „altweiss“ aussehende Pulver in einem Zinkeimer eingesumpft, der vorher etwa zu einem Drittel mit Wasser gefüllt wurde. Das klumpte, wenn das Pulver zu schnell hinein plumpste. War das Ganze gut verrührt, konnte die entsprechende Menge Leim hinzugefügt werden, die dem späteren Anstrich eine genügende Festigkeit verlieh. Mit dieser Leimfarbe hatte ich meine ersten Streichversuche. Mit einer Deckenbürste, auch Quast genannt, die aus Naturborsten bestand und schwer war, sollte die Farbe auf die Deckenfläche aufgetragen werden. Ein schwieriges Unterfangen, die Farbe spritzte oder tropfte überall hin, wo sie nicht sollte und durfte. Abklebeband und -material waren absolute Mangelwaren. Von außen konnte jeder an den bespritzten Fensterscheiben erkennen, wo gestrichen wurde.
Die Leimfarbe hatte den Vorteil, dass sie mit Wasser leicht zu entfernen war, der Nachteil bestand darin, dass eine Decke bei einer Renovierung abgewaschen werden musste. Je nachdem wie dick die alten Leimfarbenschichten waren, konnte man das Abwaschen von Decken als „Knochenarbeit“ bezeichnen. Führte man diese Arbeit z.B. vor dem Tapezieren mit Raufaser nicht gewissenhaft aus, erlebte man später bei einer folgenden Renovierung ein „blaues Wunder“, die Nahtstellen lösten sich.
Was war neben der Kreide im Fass? Das war „Lithopone“, ein viel weißeres Pigment für hochwertige Anstriche bestimmt, aber auch als Pigment eingesetzt zur eigenen Herstellung von Vorstreichfarben bei Fußleisten und anderem Holzwerk im Innenbereich. Als Bindemittel diente Leinöl mit Terpentinöl, zusammen als „Halböl“ bezeichnet, dazu kam eine kleine Menge sogenannter „Trockenstoff“, unter der Bezeichnung „Sikkativ“ bekannt, um die baldige Durchtrocknung zu erreichen. In unguter Erinnerung ist mir der Inhalt des anschließenden Behälters, der manchen Ärger hervorrief, nämlich Gips. In dafür bestimmten Gummibecher angerührt, war er nur in kurzer Zeit zu verarbeiten. Die entstandenen Löcher und Risse mussten mit nassem Pinsel angefeuchtet werden, damit der Gips haften konnte. Zum richtigen Zeitpunkt musste nachgewaschen sein, auf den damaligen rauen Untergründen entstanden Rippen beim Spachteln. In der Zwischenzeit war der Gips im Becher unbrauchbar geworden... Die oft ausgesprochenen Drohungen, dass mir der hart gewordene Gips vom Lohn abgezogen würde, sind Gott sei Dank nicht in die Tat umgesetzt worden. Ein Segen war es geradezu, als damals im Jahr 1959 ein Vertreter der Firma, die das Zellulosepulver „Moltofill“ herstellte, in der Berufsschule die Festigkeit des neuen Materials demonstrierte.
Das älteste und klassischste Anstrichmittel überhaupt ist bekanntlich der Kalk. Im Garten hinter der Werkstatt befanden sich zwei mit Holzdeckeln abgedeckte Kalkgruben. Darin lagerte der gelöschte Kalk, eine sämig steife Masse, die für den Gebrauch mit dem Spaten oder einer Flächenspachtel regelrecht ausgestochen wurde. Zur Verarbeitung musste er mit viel Wasser streichfähig gemacht werden, damit keine Brandstellen entstanden. Fest verschlossen und mit einem Metallring gesichert, wurde eine wichtige Farbe aufbewahrt, die Rede ist von „Bleiweiß“. Es wurde pastös geliefert, mit Halböl auf Streichfähigkeit eingestellt und das schon erwähnte Sik-kativ als Trockenstoff dazu ergab einen haltbaren Schutz gegen Wind und Wetter. Wie alle anderen Bleifarben gehörte sie zur Giftklasse 1. Das Bleiweiß wurde alsbald durch das ungiftige „Chronos-Titanweiß“ ersetzt, das gleichen Zwecken diente und ebenso zu verarbeiten und handhaben war. Um mehr Glanz und Fülle zu erreichen, konnte dem Schlussanstrich Standöl oder ein Schuss Außen-Klarlack zugesetzt werden.
Die Verarbeitung von Ölfarben dauerte im Vergleich zu heute wesentlich länger, durch ihre Zähigkeit „flutsch-te“ der Pinsel nicht so gut wie das mit heutigen Anstrichmitteln möglich ist. Zur Malerwerkstatt gehörten selbstverständlich die Trockenfarben, meist in Papiertüten aufbewahrt im Regal stehend mit entsprechenden Beschriftungen versehen. Die am meisten benutzten Farben waren Ocker, Terra di Siena, Englisch-Rot, Umbra, Ultramarin-Blau und Rebschwarz.
Im späten Herbst und Winter verbrachte ich in der Werkstatt viele Tage damit, von angebrochenen Farbtöpfen - fertige Lacke gab es schon - die oft entstandene dicke Haut zu entfernen, die Farbreste zu sieben und in vorher gereinigte Töpfe abzufüllen und neu zu kennzeichnen. So lernte ich die einzelnen Bezeichnungen und Bestimmungen der Lacke und Farben sowie ihre Anwendungen. Im Sommer war für gründliche Pinselpflege wenig Zeit, da heizte ich im Winter den Werkstattofen, um heißes Wasser zu haben. Terpentinersatz wurde sparsam eingesetzt. Oft mit Wasser und Seife gereinigt, wurden die Borsten der Pinsel, ob Ring- oder Flachpinsel, vom Streichzieher bis zur Deckenbürste geschmeidig. Wenn nötig wurden die Ringpinsel mit neuem Seil gebunden. Diese gründliche Unterweisung hatte zur Folge, dass ich in den 47 Berufsjahren einen großen Wert auf gepflegte Pinsel und Werkzeuge gelegt habe, und auch versuche, diese Erfahrung an andere weiterzugeben.