PHOTO GRAFICA - Lichtzeichnung

Von der Camera obscura zum Digitalbild

Marianne Schönberg, Jünkerath

Welch langer Weg vom Lichtbildner, dem Photographen zum Fotofachmann heute! Zu Beginn der zwanziger Jahre war’s, da erlebte die Porträt-photographie ungeahnten Aufschwung und viele junge Leute suchten nach dem Krieg einen Neuanfang, meist als Autodidakt, denn fachliche Lehre war eine Sache, das Lehrgeld (das musste man zahlen, es war keineswegs eine Vergütung) eine andere. Mit viel Begeisterung machten sich die Pioniere der Lichtbildner mit dem notwendigen Gerät vertraut, große Kameras auf Stativen, Glasplatten als Filmträger - auch chemische Kenntnisse waren nötig, denn Entwickler und Fixierbad musste man selbst herstellen. Bei der Umkehr vom Negativ aufs Positiv war handwerkliches Geschick gefragt, denn die empfindliche Glasplatte wurde in einen Kopierrahmen gespannt, drauf kam das Papier und unter einer Glühbirne wurde belichtet. Wie lange? Kein Automat gab die Sekunden vor, Gefühl war gefragt, so gelang die Lichtzeichnung. Dann die Entwicklung des Bildes in der Schale, Fixierung, das Auswaschen... alles brauchte seine Zeit und es war gut so. Die alten Photographien unser Großeltern haben überdauert, sie wurden ohne Zeitnot gefertigt, deshalb blieben sie ansehnlich -bis heute.
Die Zunft der Lichtbildner atmete auf, als in den dreißiger Jahren der Planfilm auf den Markt kam. Vorbei die Sorge

Porträt eines Lichtbildners um 1926. Karl Helmer, nach dem zweiten Weltkrieg mein Lehrmeister

um zerbrochene Glasträger, der Einzelfilm im Format 9x13 oder 13x18 war zur Direktkopie geschaffen und ......er bot die beste Basis für das Zauberwort RETUSCHE; heute würde man das als visuelle Kosmetik bezeichnen. Es war der Versuch, kleine Unebenheiten, vor allem beim Großporträt, zu beseitigen. Eine tiefe Falte um die Mundwinkel, die konnte man mildern. Das Doppelkinn - auch da half Retusche, geschickt und sparsam eingesetzt wirkte sie Wunder und punktionelle Muttermale wurden mit feinstem Pinsel, Bleifarbe und winzigem Korrekturmesser-chen buchstäblich entschärft. Das wollte gekonnt sein, manch begeisterter Photograph stieß hier an seine Grenzen, doch Künstler des Fachs machten aus der Not eine Tugend, sie arbeiteten mit Weichzeichnern, einer Art hauchfeinem Filter über dem Objektiv, alle Unebenheiten verwischten sich, das kam an - der mit dem Licht spielte hatte gewonnen. Ein ausgeprägtes Standesbe-wusstsein machte sich breit, namhafte Porträtisten fertigen keine Passfotos, nur Unikate; die hatten ihren Preis. Fürs KLEINE waren die Männer aus der zweiten Reihe zuständig, fürs Lichtbild zum Ausweis, fürs Entwickeln und Kopieren der Rollfilme, die wenig später mit der AGFA BOX (sie kostete sechs Reichsmark) ihren Siegeszug antraten. Nun konnte auch ein Ungelernter fotografieren. Morgens brachte er den Film in die Photohandlung, abends konnte er seine Bildchen abholen. Dem Labor war meist ein ganz bescheidenes Atelier angegliedert, Passfotos und Porträtaufnahmen gab’s zu günstigen Konditionen und in oft eigenwilligen Farbnuancen. Bräunlich war Standard, mein Meister entwickelte einen Grünton aus besonderen chemischen Substanzen, hielt das Rezept streng unter Verschluss - ich hab es noch heute bei den Dokumenten aus meiner Lehrzeit. Eine andere Modeerscheinung machte von sich reden, für Damen gedacht, arg war’s, aber damals aktuell. Auf einmal wollte (fast) jedes weibliche Wesen ein Porträt mit unter dem Kinn gefalteten Händen. Oft sah das übel aus, denn nicht jede Hand ist zur Dokumentation im positiv sichtbaren Sinn geeignet. Meinen jammervollen Blick, mein NEIN aus dem Hintergrund quittierte der Meister mit Strenge und harscher Rüge - der Kunde ist König, merk Dir das ein für alle Mal! Noch weniger gefiel mir, wenn er eine Dame fragte, die etwas besonders Gefälliges in ihrem Abbild sehen wollte: „Wie jung möchten Sie denn aussehen?“ Das hieß im Klartext Retusche rundum. Nein, das mochte ich nicht, aber meine Ansicht war nicht gefragt, nicht erwünscht. Der Kunde - na, das sagte ich ja schon. Ob sich da Gravierendes geändert hat? Mein letztes Passbild zeigt zumindest keine Spur freundlicher Retusche.
Jeder Lehrling strebt eines an - den Gesellenbrief und ich bekam ihn in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts unter abenteuerlichen Bedingungen.
Wir waren deutsch-deutsche Flüchtlinge, Umsiedler. Mein Meister hatte nur altes Zeug im Gepäck, damit musste ich im letzten Lehrjahr arbeiten. Mittlerweile gab’s technisch hochwertige Kameras, Kopier- und Vergrößerungsgeräte mit Belichtungsmessern, so etwas bekam ich nie in die Hand. Der Prüfungstag! Theorie gut. Praxis? Die Angst saß mir im Nacken und - ich fiel durch.
Dem alten Obermeister tat’s wohl leid, er fragte, was ich denn kann? Rollfilme und Platten per Hand entwickeln, Fotos im Rahmen über der Lampe kopieren - das, meinte der Senior, glaube ich nicht, das musst Du mir zeigen. Wenig später waren wir uns einig, er sah, ich siegte, bekam den Gesellenbrief und erinnere mich genau an den Tag der Übergabe. Damals versprachen wir, für das Handwerk stets das Beste zu leisten, eine Art Bekenntnis. Bis heute hab ich’s ernst genommen und alle Fotos, auch die familiären, begutachtet. Was meiner Wertvorstellung nicht entspricht kommt in den Papierkorb, ob Negativ oder Positiv. Fotografie heute - erstens schreibt man das Wort anders, zweitens wird dokumentiert in Über-Fülle mit hoher Quote für den Abfalleimer. Was auf der Strecke bleibt? Der Ur-Grund dieses Handwerks, die oft mühevolle Suche nach dem rechten Licht für ein Thema, ein Porträt. Dafür haben wir heute kaum noch Zeit, meinen wir — schade um photo grafica.

„Fahrender Geselle“

Dieses alte Handwerker-Volkslied wurde
eingereicht von Hermann Sesterheim, Üxheim

Die Luft ist so blau

Die Luft ist so blau und das
Tal ist so grün,
lieb Mütterlein, lass in die
Fremde mich zieh’n!
Ich schnüre mein Bündel,
dann zieh` ich hinaus,
den Stab in der Hand
und am Hute den Strauß.
Ich wand`re durch
Deutschland und komm`
an den Rhein;
bei tüchtigen Meistern,
da kehr` ich dann ein.
Und sitzt dann das Mütterlein

abends und spinnt,
denkt traurig: „Wo bleibt
doch mein einziges Kind?“
Da klopft es gar lustig ans
Fensterlein klein,
da tritt zu der Tür
der Wanderbursch ein.
„Gott grüß dich, lieb Mütterlein,
bist ja noch frisch!“,
und schüttelt ihr jauchzend
das Geld auf den Tisch.
„Ich lernte mein Handwerk,
es bringt wir was ein,
bald werde ich Meister, wie
wirst du dich freu’n!“