„Ich war schon Schäfer,
da wusste ich es noch nicht“

Hermann Josef Sartoris - ein Schäfer mit Leib und Seele

Christine Schmidt, Neroth

„Selbstverständlich bin ich gerne bereit, mich über die Schäferei und den Berufsalltag eines Schäfers zu unter-halten“, war die spontane Antwort auf unsere Frage, im Heimatjahrbuch 2007 für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Da der Beruf des Schäfers eine sehr lange Tradition hat und wir im Heimatjahrbuch im Schwerpunkt ebenfalls von alten Berufen berichten, sind wir besonders gespannt auf ein Gespräch mit einem Mann, der - wie einst sein Großvater und Vater - sein Leben der Schäferei verschrieben hat. Gerne folgen wir der Einladung in sein Haus im Rosengarten mit Blick über die Stadt Daun. Auf dem Hof steht ein Geländewagen, im Fond ein schwarzer Hütehund. Wir folgen Hermann Josef Sartoris in sein Arbeitszimmer, das neben einem großem Schreibtisch genügend Platz für eine

Lukasmarkt in Mayen, 1977

große Bücherwand, die von einer Wand bis zur anderen sowie vom Boden bis unter die Decke reicht, bietet. Hermann Josef Sartoris wurde am 18.11.1942 in Daun geboren. Er ist verheiratet mit Hermine Maria und hat drei Söhne, zwei Schwiegertöchter und vier Enkel. Seine Frau, gelernte Krankenschwester, teilt das Interesse an der

Hermann Josef Sartoris, Landesleistungshüten 1994 am Nerother Kopf

Schäferei und unterstützt ihren Mann. Sie führt dieses „Selbstverständnis“ darauf zurück, dass ihre Vorfahren ebenfalls Schäfer waren, obwohl ihr Elternhaus selbst keine Tierhaltung hatte. Sie führte über lange Jahre nicht nur den Haushalt der Großfamilie - drei Generationen unter einem Dach -, sondern war auch für die Unterkunft und Verpflegung der Lehrlinge und Schäfer zuständig. Trotz der zahlreichen Aufgaben hatte sie immer ein offenes Ohr für die diversen Anliegen ihrer Mitbewohner. Hermann Josef Sartoris bestätigt dies und unterstreicht die Notwendigkeit der Unterstützung und des Einklangs mit der Ehefrau, ohne die ein harmonisches Zusammenleben in einer Schäferei undenkbar gewesen wäre. Man darf gespannt sein auf seine Geschichte.

Wie viele Generationen sind bereits innerhalb der Familie Sartoris in der Schäferei tätig?

In unserer Familie sind wir nunmehr in der dritten Generation in der Schäferei tätig. Mein Opa stammt aus Immerath, vom Sprinker Hof. Dort waren schon immer Schafe. Es folgte mein Vater, von dem sodann ich den Betrieb übernommen habe.

Seit wann sind Sie für die Schäferei verantwortlich?

Ich war schon als kleiner Junge immer dabei - man kann sagen, ich war schon Schäfer, da wusste ich es noch nicht. Vierzig Jahre habe ich mit meinem Vater zusammen gearbeitet. Es gab nie ein lautes Wort, er hatte immer Verständnis. Am 12.12.1968 legte ich die Prüfung zum „Schäfermeister“ ab. Kurze Zeit später, im Jahre 1969, habe ich die Schäferei von meinem Vater übernommen.

Wie würden Sie Ihr Berufsbild beschreiben?

Ein Schäfer ist auch Landschaftspfleger und Tierarzt in einer Person. Seine Gedanken drehen sich Tag und Nacht um die Schafe. Man muss sich voll damit identifizieren. 365 Tage im Jahr wird man gefordert. Hierzu ist insbesondere eine stabile Gesundheit unbedingt erforderlich, da man sich ganzjährig im Freien aufhält. Selbstverständlich muss man in diesem Beruf tier- und naturlieb sein. Kurz: Man muss mit Leib und Seele dabei sein!

Wie sieht die Ausbildung zum Schäfer aus?

Es ist eine dreijährige Ausbildung, in der u.a. betriebswirtschaftliche Kenntnisse vermittelt werden. Die Anforderungen entsprechen denen einer Ausbildung zum Landwirt. Der Beruf nennt sich „Tierwirt - Fachrichtung Schafhaltung“. Die Ausbildung beinhaltet ein Jahr Fremdlehre und im praktischen Teil der Umgang mit Hunden und das Hüten. Die Schäferschule befindet sich in Neumühle bei Kaiserslautern. Es ist nichts für Aussteiger oder Romantiker wie so manches Mal irrtümlicherweise angenommen.

Was gefällt Ihnen persönlich am besten in Ihrem Beruf?

Es ist ein sehr schöner Beruf. Man ist immer in der Natur. Der Umgang mit den Tieren birgt einen ganz besonderen Reiz. Die Lammzeit ist ganzjährig, man erlebt, wie neues Leben zur Welt kommt. Das Arbeiten in der Natur ist nicht so aufwendig und stressig. Man erlebt sehr intensiv die vier Jahreszeiten, es gibt immer etwas Neues.

Würden Sie sagen: „Einmal Schäfer - immer Schäfer?“

Ja! Ich würde es auch wieder machen, wenn ich noch einmal auf die Welt käme. Und - Ich denke nicht ans Aufhören.

Woraus erzielt man die Gewinne in Ihrem Unternehmen, ist es eher das Fleisch oder die Wolle?

In der Schafhaltung war früher die Wollerzeugung eine wichtige Einnahmequelle, jedoch ist deren Bedeutung erheblich zurückgegangen. Schlachtlämmer, die in früheren Zeiten kaum vermarktet wurden, sind heute zum Erlösbringer für die Schäfer geworden. Die Nachfrage nach Schaffleisch ist sehr gut, hauptsächlich in Frankreich ist dieses gesunde Fleisch sehr gefragt. Übrigens, das Gerücht, dass Lammfleisch heiß gegessen werden muss, da es ansonsten zäh wird und nicht mehr schmeckt, stammt aus der Nachkriegszeit. Es ist auf den Verzehr von alten Schafen zurückzuführen und macht hier und da auch heute noch die Runde. Es ist nicht so!

Wie viele Tiere haben Sie und um welche Rasse handelt es sich?

Wir haben 500 Tiere, davon 300 Mutterschafe und ca. 200 Lämmer. 2002 haben wir die Zahl reduziert, da wir keinen Schäfer gefunden haben. Bei der Rasse handelt es sich um Schwarzkopf und hauptsächlich Merino. Ein Schaf wird ca. 6 bis 7 Jahre gehalten. Wenn die Zähne ausfallen oder das Schaf am Euter erkrankt, wird es geschlachtet.

Welchen Stellenwert hat der Hütehund und wer bildet diesen aus?

Der Hund ist das Wichtigste in der Schäferei. Ich ziehe meine Hunde selbst auf und bilde sie auch selbst aus. Ein ordentlicher, guter Hund ist unbezahlbar. Die Ausbildung dauert mindestens ein Jahr.

Wie viele Beschäftigte haben Sie?

Wir haben einen Schäfer beschäftigt. Ich selbst arbeite 10 bis 12 Stunden am Tag, und zwar an jedem Tag - auch sonntags und an Feiertagen. Im Laufe der Jahre habe ich 12 Schäfer ausgebildet. Die Lehrlinge wohnten in unserem Haus. So hatte meine Frau alle Hände voll zu tun. Es mussten schließlich - neben der Großfamilie - alle versorgt werden. Ein Auszubildender kam hier aus Daun. Er ist ebenfalls mit Leib und Seele Schäfer. Auch seine Frau hat diesen Beruf erlernt.

Hermann Josef Sartoris mit einer Schafherde beim Übersetzen mit der Fähre von Lieser nach Mülheim, ca. 1958

Wie sieht der Jahresablauf in der Schäferei aus, gibt es einen gewissen Rhythmus?

Im Winter sind die Schafe im Stall. Dieser befindet sich auf einem Siedlerhof in Oberöfflingen. In der Lammzeit sind die Lämmer zu versorgen. Im Sommer sind die Schafe teils vormittags noch im Stall, mittags werden sie gehütet.

Welcher Wandel hat sich in der Schäferei im Laufe der letzten 50 bis 100 Jahre vollzogen?

Man musste damals wie heute Idealist sein, um diesen Beruf ausüben zu können. Früher gab es die Wanderschäferei. Der Schäfer war ein halbes Jahr zu Hause und die andere Hälfte mit der Herde auf Wanderschaft. Mein Vater hat zehn Jahre in Düsseldorf gewohnt. Er wanderte mit seiner Herde bis nach Frankreich zur Winterweide. Mein Großvater ging mit seiner Herde sogar zu Fuß bis nach Paris. Früher wurde bei den Bauern „geperscht“ oder es wurden Weiden angepachtet. Sonntags nach der Messe wurde der sogenannte „Persch“ versteigert. Man hat diesen dann für 10 Tage bekommen. Als Lohn bekam man die Verpflegung und die Hunde wurden gefüttert. Geschlafen wurde im Schäferkarren. Einen Leitspruch hat man mir im Alter von 16 Jahren mitgegeben, was den „Persch“ beim Bauern, bzw. das Leben in seiner unmittelbaren Umgebung betraf: „Wenn du beim Bauer bist, musst du sein wie ein Pastor. Du darfst alles hören, aber nichts weitererzählen.“ Heute ist vieles einfacher geworden. Autos stehen für die Fahrt zur Weide zur Verfügung. Elektrozäune erleichtern das Hüten.

Wie sehen Sie die Zukunft der Schäferei?

Die Schäferei hat ganz klar und sicher eine Zukunft. Durch die Erleichterungen in der Arbeit hat der Schäfer in der heutigen Zeit mehr Freiheit, als dies früher der Fall war. Spezielle Förderungen bieten finanzielle Anreize. Es ist genügend Weideland vorhanden. Früher musste der Schäfer Hunderte von Kilometern mit seiner Herde ziehen, weil es hier nicht genug Weideland gab. Wir haben heute ca. 30 Hektar Weideland um Daun herum. Wegen des Rückgangs der Landwirtschaft ist es heute unproblematisch, Weideland zu finden.
Die hauptsächliche Funktion der Schafe besteht in der Landschaftspflege, dies ist ebenfalls eine große finanzielle Stütze. Der Schäfer versteht sich auch als Landschaftspfleger.
Die Schäferei hat hier zu Lande und anderswo je einen anderen Stellenwert. Bei uns zahlt man Pacht, die nicht so hoch ist und hält dafür die Landschaft sauber. In Süddeutschland bauen verschiedene Gemeinden Haus und Stall für die Schäfer und ihre Herden.
Wacholderheide bei Hillesheim: Ab Micheltag im September darf der Schäfer überall hin.
An Mosel und Saar liegt im Winter selten Schnee. Im Sommer wird die Eifel erwandert. Im Herbst gibt es noch die Stoppelfelder (Stiefel = Schafpersch).
Meine bzw. die heutige Generation und die, die nachkommen, stehen sich bei dem nötigen Interesse nicht schlecht. Ein erfahrener Schäfer sollte mit Rat und Tat zur Seite stehen, dann hat die Fortführung der Schäferei gute Chancen. Die Haltung ist heute leichter, im Winter verpflegt man die Tiere im Stall. Das, was sich auch in Zukunft nicht ändern beziehungsweise immer bleiben wird, ist die Pflege und die Arbeit am Tier.

Gibt es eine Art Zusammenschluss der Schäfereien untereinander?

Es gibt einen kleinen Verein, die „Schafhaltervereinigung Vordereifel“. Jeden letzten Freitag im Monat trifft man sich in Schalkenmehren. Es findet ein reger Austausch statt. Das Treffen dient aber auch der persönlichen Unterhaltung. Zur Information zu spezifischen Themen werden ab und an auch Referenten eingeladen. Ausflüge werden geplant und durchgeführt, auch findet eine jährliche Weihnachtsfeier statt. Der Verein hat sogar einen eigenen Getränkewagen und einen Grillwagen, die bei Festen - wie z.B. dem RheinlandPfalz-Tag - oder auf Märkten - z.B. dem Vulkanmarkt - zum Einsatz kommen. Alle Mitglieder und natürlich die Frauen führen sämtliche Arbeiten ehrenamtlich aus. Der Haupttag ist der Lukasmarkt/Schafmarkt in Mayen, der eine 500-jährige Tradition hat und weit über die Grenzen von der Stadt Mayen bekannt ist.
Viele kommen aus dem nahen Umland, zahlreiche Interessenten Jahr für Jahr von weit her - gerade und immer mehr wegen des guten und gesunden Lammfleischs. Auch hier wird bewusst, dass die Schäferei mit ihren Produkten Zukunft hat.

Zu guter Letzt: Wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Ich bin ein lebensfroher Mensch, dessen Beruf - neben dem Lesen - sein Hobby ist. Ein Mensch, der mit seinem Leben zufrieden ist. Da ich ständig in der herrlichen Natur bin, brauche ich keinen Urlaub - die Sonne ist überall die Gleiche. Der Einsatz meiner Kraft ist stets produktiv. Ich freue mich an meiner Arbeit, die ich mir selbst einteilen kann. Die Dosierung von Arbeit und Freizeit liegt in meinen Händen.

Wir bedanken uns für das aufgeschlossene und sehr informative Gespräch. Hermann Josef Sartoris lebt seinen Beruf. Es ist einfach nur schön, einen Menschen zu treffen, der die überzeugende Aussage treffen kann, dass er - sollte er sein Leben noch einmal leben dürfen - alles wieder genau so machen würde, wie er es bisher in seinem Leben getan hat.
Das Gespräch führten Helmut Klassmann und Christine Schmidt.