Schneidermeister und Hobbyimker

Anita Becker, Daun

Handwerk hat einen goldenen Boden! Ja, so war und ist das. Eine Kollegin erzählte mir vor Jahren, dass ihr Vater, ein Professor, sich über eine Handwerkerrechnung beschwerte. Sie sagte daraufhin zu ihm „Hättest du was Rechtes gelernt, könntest du auch so viel verdienen!“ Aber so ist es nicht. Ein Handwerker muss schon viele Stunden arbeiten, um eine Familie, und vor vielen Jahren auch noch eine große Kinderschar, zu ernähren. Mein Vater war so ein Handwerker. Schneidermeister und Imker. Beim Bäcker sagt man: „Dafür muss er viele Brötchen backen...“ Beim Schneider müssen viele Stiche gefertigt werden, bevor ein Anzug passt. Bei den Bienen muss man viele Stiche hinnehmen, bis man den Honig erntet. Das ist eine Fleißarbeit sowohl für die Bienen als auch für den Imker (s. JbKD 1982 und 1985).
Als mein Vater 1946 als Kriegsversehrter aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam, musste er von neuem beginnen, hatte aber Frau und zwei Kinder zu ernähren. Das Haus war im Krieg zwar sehr beschädigt, aber zum Glück nicht vollkommen zerstört worden. Bald wurde neben der Schneiderei ein Bekleidungshaus eröffnet. Alles gab es dort zu kaufen: Gürtel, Schneidereibedarf, Arbeitsbekleidung, Anzüge, Kostüme, Pullover, Röcke, Strümpfe, Unterwäsche usw. Aber der wichtigste Teil des Geschäfts war die Möglichkeit, die bei uns - aber auch woandersgekaufte Bekleidung anpassen zu lassen. Später konzentrierten wir uns mehr auf Konfektion. Für einen Familienbetrieb war es selbstverständlich, dass meine Mutter und ich im Verkauf halfen und mein Bruder das gleiche Handwerk erlernte. Ich habe heute noch eine Schirmmütze, die mein Bruder in einer halben Stunde für meine Puppe fertigte. Zeitweise wurde in jeder freien Minute an einer solchen Mütze für Herren gearbeitet. Heute kauft man diese „Baseballkappen“ im Supermarkt. Mein Vater hat selbst mit 80 Jahren genug zu tun gehabt. Das höre ich auch

heute noch fast täglich von Menschen, die ich kennen lerne und die meinen Vater kannten. Auch die Bienen haben ihn sein ganzes Leben lang begleitet. Während des Krieges war der Honig für uns tägliche Nahrung. Ein Brot mit Klatschkäs und Honig war ein Genuss. Meine Mutter ist allerdings auch einmal von einem Bienenschwarm überfallen worden und wäre fast daran gestorben.
Ob sich mein Vater, der 1994 verstarb, in der heutigen Welt noch zurecht finden würde, weiß ich nicht. Den Beruf des Schneidermeisters gibt es fast nur noch für die Queen oder in gehobenen Kreisen. Beschäftige ich heute einen Handwerker, glaube ich immer noch, dass das Handwerk einen goldenen Boden hat...!