Schmiede und Stellmacherei
in Bodenbach

Alois Krämer, Bodenbach

In einem Dorf wie Bodenbach gab es durchaus nicht nur landwirtschaftliche Betriebe, auch das Handwerk hatte dort seinen festen Platz. Bestimmte Berufe, die es heute, zumindest in der damaligen Form nicht mehr gibt, waren zum Beispiel der des Schmiedes und des Stellmachers. Auf den Höfen wurden ständig hölzerne Fuhrwerke verschiedenster Art benötigt, daneben Pflüge, Eggen, Schlitten, Handwagen, Schubkarren und so weiter bis hin zu den einfachen Melkschemeln. Diese Bedarfsgüter wurden vom Stellmacher gebaut. Die Berufsbezeichnung des Stellmachers hängt mit dem Wort „Gestell“ oder „stellen“ zusammen, welches seine typischen Erzeugnisse bezeichnet. Im Rheinland wurden Stellmacher auch als „Achsma-cher“ bezeichnet; im Eifeler Dialekt hießen sie „Wöhner“ (Wagner). In Bodenbach befand sich die Stellmacherei unmittelbar neben der Kirche, „Knure Meester“ wurde der „Meister“ dem Hausnamen nach gerufen. Das Werkstattgebäude wurde in den Siebzigerjahren abgerissen. Anfang des vergangenen Jahrhunderts gab es in Bodenbach vier oder fünf Schmiedewerkstätten, von denen schließlich nur noch eine in Betrieb war. Diese besaß Herr Josef Pitzen. Der Schmiedemeister heiratete 1928, baute Werkstatt und Wohnhaus, und die Leute riefen ihn kurzerhand „Schmette Josef“, weil jeder Dorfbewohner nicht mit Familiennamen, sondern mit seinem Hausnamen benannt wurde. Was lag näher, als das Wort „Schmie-de“ in den Dialekt zu übertragen, den Vornamen hintenanzusetzen und schon waren die Leute zufrieden. Ich denke, Herr Pitzen war es dann auch. Sein Sohn Helmut erlernte ebenfalls den Schmiedeberuf und übernahm die Werkstatt des Vaters nach dessen Tod. Wenn auf einem Hof ein neuer Ackerwagen benötigt wurde, so waren nicht nur der Stellmacher, sondern auch der Schmied gefordert, denn am Wagen wurden auch Eisenteile mit verarbeitet. Doch zunächst fertigte der Stellmacher die Einzelteile, wie Gestell, Kasten, Achse, Deichsel und Räder (Nabe, Speichen, Felge) an und fügte sie zusammen. Wurden zwei Holzstücke rechtwinklig zusammengefügt, so dass die Verbindungslinie die Hälfte des rechten Winkels bildet, so nannte man dies „auf Gehrung fügen“.
Auch der Länge nach wurden manchmal Tafeln und dergleichen auf Gehrung zusammengefügt. Bretter und dünne Stücke wurden gezinkt, d.h. die äußeren Kanten wurden gegenseitig ausgeschnitten und zusammengeschlagen. Stärkere Stücke zapfte man zusammen: Das eine Stück musste in die Vertiefung des anderen passen. Bodenbretter oder innere Vertäfelungen fügte man oft mittels Nut und Feder zusammen.
Auf dem Foto sieht man einen Ackerwagen mit Speichenrädern, der hier zum Einholen der Ernte verwendet wurde.

Solch ein Wagen hielt über Generationen und wurde je nach Aufbau zu verschiedenen Zwecken verwendet.
Die vom Stellmacher angefertigten Wagen wurden im täglichen Gebrauch sehr beansprucht, da die Straßen und Wege in der Eifel sehr schlecht waren. Man kann sich also leicht vorstellen, dass das Holz hierfür nicht nur tragfähig und biegefest sein, sondern sich gegenüber den Einflüssen der Witterung als dauerhaft erweisen musste. Holz ist ein lebendiges Material, es reagiert auf Hitze, Kälte, Nässe und Trockenheit ganz unterschiedlich. Daher suchte sich der Stellmacher meist selbst das Holz im Wald aus, das er für den Fahrzeugbau brauchen konnte. Interessant ist, dass erfahrene Stellmacher das Holz „nach dem Mondkalender“ schlagen ließen, das so genannte „Mondholz“. Die Praxis bestätigte, dass dieses Mondholz dann sehr widerstandsfähig war. Zahlreiche Werkstücke waren geschweift oder gekrümmt und wurden im Gebrauch auf Biegung sehr beansprucht. Deshalb wurde beim Aussuchen der Bäume schon sehr darauf geachtet, ob am Baum Äste mit geeigneter Krümmung vorhanden waren. Für Radnaben und für die meisten Gestellteile am Ackerwagen wurde in der Eifel das Eichenholz verwendet. Der steinige, magere Boden lieferte ein besonders kerniges Holz. Zähes Eschenholz nahm man für Radspeichen und für Werkzeuge und Gerätestiele.
Das geschlagene Holz wurde geschnitten und zum Trocknen gestapelt. Das Schneiden geschah - in einem kleinen (nicht fabrikmäßig geführten) Betrieb - in alter Zeit im so genannten „Handgatter“: Über eine baumlange mannshohe Vertiefung im Boden wurde der Stamm gelegt. Unter und über dem Baum standen je ein Arbeiter, zwischen sich die „Trummsäge“, und zerteilten den Baum der Länge nach in Balken, Bohlen oder Bretter. Für das jeweilige Maß wurde eine Schnur gespannt oder mittels Schlagschnur eine Linie dargestellt. Wie viel Zeit mag man für das Durchsägen eines Stammes benötigt haben? Die Werkzeuge des Stellmachers waren in erster Linie die Hobelbank zum Einspannen und Festhalten der Arbeitsstücke. Dann benötigte er noch Schraubzwingen, um die geleimten Gegenstände bis zum Trocknen eingespannt zu halten. Später dienten Kreis- und Bandsäge dem Zerteilen der Baumstücke. Hobel-, Bohr- und Abrichtmaschine und natürlich verschiedenes Handwerkzeug gehörten zum Inventar einer Stellmacherei. Neben Beilen, Handhobeln, Handbohrern, Stemmeisen, Zangen, Hämmern, verschiedenen Messern usw. wurden aber auch Speichenlehre, Tastzirkel, Schmiege und Messlehre benötigt, denn es kam auf die genaue Bemaßung der Werkstücke an. Die Zusammenarbeit der beiden Handwerker bei der Herstellung eines Fuhrwerkes erklärt sich am besten am
Bei
spiel der Herstellung eines Wagenrades. Das rechte Augenmaß, Erfahrung und Geschick benötigte man für die Herstellung einer Nabe, denn dies ist ein komplizierter Vorgang. Obwohl ein Holzrad mit Eisenbereifung einfach aussieht, ist seine Anfertigung doch kompliziert. Kein Nagel, Bolzen oder Leim hielt es zusammen, und doch konnten auf einem Wagen mit Holzrädern viele Zentner schwere Lasten befördert werden. Es hat eine lange Lebensdauer, wenn es gut gebaut ist, und kann immer wieder repariert werden. Winkelstellung und Neigung sind ganz wichtig in der Radherstellung. Die Stahlachsen, die die Räder tragen, sind leicht nach unten gebogen. Dadurch entsteht eine leichte Schrägstellung der Räder nach oben. Im Verhältnis zu den Speichen läuft der Eisenreifen deshalb nicht im rechten Winkel, er würde sonst auf der Innenkante laufen. Die Nabe wurde ausgedreht und die Speichen hergestellt (die eine besondere konische Form aufwiesen). Die Felge bestand aus einzelnen

Stücken, die mit Nabe und Speichen zum Rad zusammengesetzt wurden. Die Abbildung zeigt eine Nabe an einem alten Wagenrad. War das hölzerne Rad fertig gestellt, begann der Schmied seine Arbeit. Um die Nabe herum wurden Eisenbänder geschmiedet, um die Haltbarkeit zu verbessern. Das Rad selbst musste nun noch mit dem Eisenreifen versehen werden, welcher das Rad zusammenhielt. Zum Aufziehen dieser Reifen nahm man Stangenmaterial aus Eisen, das sich bei Wärme ausdehnt und bei Kälte wieder zusammenzieht. Der Reifen wurde entlang des Stangenmaterials abgerollt, und man erhielt so die so genannte „Null-Länge“. Mit einer Rundbiegemaschine wurde das Eisen rund gebogen und zusammengeschweißt. Man nahm ein längeres Stück, als für den Umfang des Reifen benötigt wurde, da es beim Zusammenschmieden überlappen musste. Dann maß man den Abstand zwischen den einzelnen Felgen und zog von diesem Maß 15 bis 20 Millimeter ab. Hatte man zu wenig gemessen, dann wurde das Eisen warm gemacht und so lange gehämmert, bis das Ist-Maß wieder stimmte. Das Aufziehen der Reifen geschah an einem Wasserlauf. Hierfür gab es in Bodenbach eine bestimmte Parzelle mit einem Bachlauf, an der diese Arbeit regelmäßig verrichtet wurde. Die Speichenräder samt Reifen wurden auf einen Wagen geladen und zu dieser Stelle gefahren. Dort staute man den Bach zu einem kleinen Weiher, um über eine möglichst große Wasserfläche zu verfügen. Reifen und Rad waren genau gekennzeichnet, denn die Maße aller Räder hatten alle verschiedene Durchmesser. Der Reifen für das eine Rad hätte dann nicht auf das andere gepasst. Diese Reifen wurden nun nach ihrer Kennzeichnung, zum Beispiel 1 bis 4, übereinander auf den Boden gelegt. Darüber wurde nun ein Scheiterhaufen errichtet, zunächst die so genannten „Schanzen“ (zusammengebündeltes Reisig), darüber Buchenholz. Dieser Scheiterhaufen wurde angezündet. Der Schmied wusste ganz genau, wie lange solch ein Scheiterhaufen brennen musste, damit das Eisen rot glühend und genau richtig für das Aufziehen auf die Reifen war. Die Räder waren inzwischen - ebenfalls genau der Reihenfolge der Reifen entsprechend - auf Holzböcken aufgesetzt worden. Hatten die Reifen dann den rechten Hitzegrad erreicht, wurde der erste glühende Ring mit Greifzangen so schnell wie möglich aus dem Feuer herausgezogen, auf das erste Rad aufgelegt und dann mit Aufziehbügeln aufgezogen. In diesem Moment erkannte der Schmied, wie gut oder wie schlecht das verwendete Holz des Rades war. Brannte es sofort lichterloh, handelte es sich um schlecht ausgesuchtes Holz. Nach dem Aufziehen wurde das Rad sofort in das Wasser des Weihers gestellt. Einer der Schmiede hielt es aufrecht vor sich und drehte
es immerfort in dem Wasser, bis es abgekühlt war. Durch das Erkalten des Eisenrings wurde sein Umfang kleiner und die Holzteile wurden fest zusammengepresst. Diese Arbeit ging oftmals nicht ohne Brandwunden ab, denn unweigerlich geriet man mit dem einen oder anderen Unterarm an das glühende Eisen. Das Aufziehen der Reifen geschah in rascher Folge hintereinander, bis alle Räder fertig waren. Wegen der Passgenauigkeit wurden die Reifen noch ausgerichtet. Diese Arbeitsvorgänge wurden von mehreren Männern ausgeführt, deren Arbeitsweise optimal aufeinander abgestimmt sein musste. Jeder kleinste Fehler hätte die Arbeit verderben können. Nach dem Abkühlen fuhr man die fertigen Räder wieder in die Werkstatt. Dort wurde in jede Speiche noch ein Loch gebohrt und ein kopfloser Schmiedenagel in die Felgensegmente geschlagen. Nun war das Rad fertig und konnte an den Wagen montiert werden. In der folgenden Abbildungen sieht man Helmut Pitzen beim Erhitzen des Eisens sowie Schmieden des kopflosen Schmiedenagels. Im Sommer, wenn das Holz der Speichenräder besonders trocken war, konnte es hin und wieder geschehen, dass sich ein Reifen vom Rad löste und wieder neu aufgezogen werden musste. Vorausschauende Landwirte versuchten dies zu verhindern, indem sie in Trockenperioden nasse Säcke auf die Räder legten. Wurde ein Rad nicht

frühzeitig zur Reparatur gebracht, so konnte es geschehen, dass das ganze Rad brach. Dann musste der Wagenbauer zuerst das Rad reparieren, und danach zog der Schmied den Reifen neu auf. Die Schmiedewerkstatt hatte im Sommer „Hochsaison“. Dreißig bis vierzig solcher Räder wurden an manchen Tagen zum Weiher gefahren und hintereinander neu aufgezogen. Bei einer derartig hohen Anzahl von Rädern war die präzise Kennzeichnung der Räder und Reifen ganz besonders wichtig, da ja - wie schon gesagt - jeweils nur ein bestimmter Reifen zu einem bestimmten Rad gehörte und individuell zu-sammenpasste. „Dann sind wir mitten in der Nacht mit zwei Wagen, hoch beladen mit Reifen und Rädern, zum Bach gefahren“, erzählt Helmut Pitzen, „ich musste als Schuljunge schon mithelfen. Um acht Uhr begann dann die Schule, da bin ich anschließend hingerannt.“ Neben den üblichen Schmiedearbeiten, Reparatur an Pflügen, Mähmaschinen, Werkzeugen und so weiter wurden auch „Pletten“ angefertigt. Die „Pletten“ sind - vereinfacht ausgedrückt - das Hufeisen des Rindviehs. Da im Dorf damals vorwiegend Kühe oder Ochsen als Zugtiere eingesetzt wurden, mussten diese in regelmäßigen Abständen auch beschlagen werden. Von der Anatomie her ist die Klaue eines „Rind-viehs“ ganz anders beschaffen als der Huf eines Pferdes, also musste das „Hufeisen“ auch anders beschaffen sein. Die „Pletten“ waren kleine Metallplatten, die der jeweiligen Klaue der Kuh angepasst wurden. Als Rohlinge wurden sie in großer Stückzahl aus Flachstahl hintereinander in verschiedenen Größen hergestellt. „Am Aschermittwoch“, so Helmut Pitzen, „begannen wir mit dem Schmieden der Pletten. Diese wurden aus Flachstahl hergestellt. Sechzehn Schläge brauchte ein einziger Rohling bis zur Fertigstellung. Der Bedarf für einen Sommer betrug 1250 bis 1500 Stück. Einige Tage lang taten wir nichts anderes. Meine Mutter kochte mir ab dem zweiten Tag Milchsuppe, weil meine Hände und Arme von der Anstrengung des unaufhörlichen Schlagens dermaßen zitterten, dass ich mit Mühe nur noch einen Löffel halten konnte. Nach drei Tagen hatte ich mich dann wieder an diese Arbeit gewöhnt.“ Unvorstellbar heute! Auch der kaufmännische Aspekt bei den damaligen Handwerksbetrieben ist interessant. Wo heute komplizierte Kalkulationen angefertigt werden, dienten damals Erfahrungswerte (und der Daumen) der Preiskalkulation. Gestimmt hat es wohl irgendwie immer. Die Landwirte im Dorf verfügten über wenig Bargeld, also wurde auch in Naturalien bezahlt. „Von der einen Familie erhielten wir das ganze Jahr hindurch die Butter“, so erinnert sich Helmut Pitzen, „von anderen bekamen wir die Milch. Dafür mussten wir dann die anfallenden Reparaturen aus-führen.“ Ein Preisbeispiel: „Das Beschlagen einer Klaue kostete zur damaligen Zeit fünfzig Pfennig! Das Beschlagen einer Kuh brachte also ganze zwei Mark!“ Später wurden keine Speichenräder mehr im Wagenbauverwendet, sondern ausrangierte Auto- oder Lkw-Reifen aufgezogen. „Von Köln“, so erinnert sich Helmut Pitzen, „kam regelmäßig ein ‚Alträucher’, der in seinem Lastwagen Achsen und Räder mit sich führte. Da suchten wir uns jeweils das aus, was wir brauchten.“
In der nachstehenden Abbildung sieht man einen Wagen, der anstelle der Speichenräder bereits mit Gummireifen versehen ist. Solche Wagen waren von den Zugtieren natürlich viel leichter über die unebenen Wege zu ziehen als Transportwagen mit Speichenrädern. Der gezeigte Wagen wurde später mehrfach umgebaut, ein neuer Unterbau aus Stahl wurde gefertigt und der Wagen fortan mit dem Traktor gezogen. Dieser Wagen ist heute schätzungsweise 70 Jahre alt und immer noch im Gebrauch. Zum Schluss noch ein Wort zur Geräuschkulisse, die damals im Dorf herrschte. Das Handwerk hatte natürlich seine eigene Melodie: Hämmern, Sägen, Zischen, Knallen und Rattern. Das alles vermischte sich mit den anderen Tönen des Dorfes zu einem vertrauten Lied: Pferdewiehern, Zurufe der Menschen, Rasseln der Kuhketten im Stall, Muhen des Rindviehs, Eimerklappern, Fahrgeräusche der Wagen, Lärmen der Ackermaschinen und später dem Tuckern der Traktoren. Dieser Gesang, weil tagtäglich wiederkehrend und vertraut, gehörte zum Alltag. Heute liegen die Dörfer in fast lautloser Stille, bellt einmal ein Hund über längere Zeit, oder fahren mehr als fünf Autos hintereinander durchs Dorf, horcht man auf.