Fohsse Bass

Florian Schulten, Gerolstein

Als im Jahre 1940 meine Eltern infolge Kriegseinwirkung von Düsseldorf zum Heimatort meiner Mutter nach Berndorf umzogen, befand sich bei deren Mobiliar auch Vaters Klavier. Mit diesem Instrument hatte mein Vater sich als junger Mann durch Unterhaltungsmusik in guten Düsseldorfer Hotels sein Studium finanziert. Es war jetzt das einzige Klavier im Dorf. Da mein Vater sehr früh an multiple Sklerose (MS) erkrankte, konnte er auch bald sein geliebtes Klavier nicht mehr spielen. Hierunter hat er, neben seiner ständig schlimmer werdenden Krankheit, doch sehr gelitten.

Meine Eltern beschlossen eines Tages, dass ich Klavierstunden nehmen sollte. Schnell war man fündig geworden auf der Suche nach einem Klavierlehrer in Herrn Peter Bohr, Organist an der Pfarrkirche in Hillesheim. Mein Düsseldorfer Opa hatte es tatsächlich geschafft, mir in der schlechten Zeit ein Kinderfahrrad zu besorgen. Mit diesem Rädchen fuhr ich jeden Montag am Nachmittag nach Hillesheim zur Klavierstunde. Später erhielt meine Schwester Ingrid bei Herrn Bohr dieselbe Ausbildung. Die Stunde kostete damals 2 DM, später 2,50 DM, als das Finanzamt auf Herrn Bohr aufmerksam gemacht wurde, durch welchen Hinweis sei einmal dahingestellt.

Nun verstarb im Jahre 1954 in Berndorf Herr Christian Schmitz, seines Zeichens Landwirt, Küster, Organist und Chorleiter an der Bern-dorfer Pfarrkirche. Auf Bitten des Pastors, Herrn Johannes Martiny, sollte ich in der Andacht zum Fest der Unschuldigen Kinder am 28. Dezember in der Kirche das Lied „Ihr Kinderlein kommet...“ spielen, was ich auch mit viel Herzklopfen hinbekommen habe. Es hatte dem Pastor jedoch gefallen, denn nach vielen Gehversuchen auf dem ungewohnten Harmonium in der Kirche wurde ich als ständiger Organist übernommen. Unter Mithilfe meiner Schwester, die meistens für die Frühmesse und Andacht zuständig war, oblagen mir die Hoch-, Braut- und Sterbeämter.

Als Ingrid heiratete und wegzog, war ich auf mich alleine gestellt. Es kam mir doch sehr zu Hilfe, dass ich als langjähriger Messdiener die meisten Kirchenlieder kannte und über die Rituale der hl. Messe gut Bescheid wusste. Leider konnte ich aber jetzt nicht mehr die Messe dienen, das habe ich sehr bedauert. Diese Tätigkeit am Harmonium und später an der kleinen Orgel sollte ich über 24 Jahre innehaben, auch noch als ich ab 1964 berufsbedingt in Ge-rolstein und später in Lissin-gen mit meiner jungen Familie Wohnung nahm. Im Dorf gab es einen Mann, Sebastian Diedrich, genannt Fohsse Bass, urwüchsig und erdverbunden, der durch seine markige und derbe Sprache bekannt war. Bass war Jahrzehnte im Kirchenchor und sang mit kräftiger Stimme, natürlich im Bass.

Eines Tages fragte Bass: „Kennst du das Lied -Die Uhr- von Karl Löwe und kannst du das auf dem Klavier spielen?“ Als ich dieses bejahte, verabredeten wir uns für den folgenden Sonntag eine halbe Stunde vor der Andacht. Ich habe ihm -Die Uhr- mehr schlecht als richtig andantino serioso vorgespielt. Zunächst hat Bass nichts gesagt, hat dann den Text dieses wunderschönen Liedes noch mal ganz langsam in sich verinnerlicht und war sehr beeindruckt. Ich hatte ihm eine große Freude bereitet, das hat er mir in späteren Jahren mehrmals bestätigt.

Im August 1962 wurde in Berndorf eine Blasmusikkapelle gegründet. Diese nannte sich „Feuerwehrkapelle Berndorf“ in Anlehnung an die Kapelle der Feuerwehr, die es vor dem Krieg in Berndorf schon gab. Als nach wenigen Wochen bereits ein Es-Althorn frei wurde, meinte man seitens des Vorstandes, da ich schon Notenkenntnisse hätte, sollte es für mich kein Problem sein, dieses Instrument zu übernehmen. Ja, nachdem ich mich etwa zwei Stunden mit den Ventilen vertraut gemacht hatte, gelang es mir bald, die ersten Marienlieder aus dem Gesangbuch zu spielen. So war es dann eine Freude für mich, mit Gleichgesinnten zur wöchentlichen Probe zu gehen und alsbald wurden unter Herrn Gerstenberg sogar schon Choräle, Etueden und Märsche einstudiert.

Im nächsten Jahr waren wir so weit geschult, dass wir es wagen konnten, die Fronleichnamsprozession musikalisch zu begleiten, sehr zur Freude der Dorfbevölkerung. Während der Prozession durch das festlich geschmückte Dorf ging hinter der Blasmusik der Kirchenchor, der für die lateinischen Segensgesänge zuständig war, unter ihnen natürlich Fohsse Bass. Als wir nun mit stolzgeschwellter Brust die Sakramentslieder intonierten, ging der Bass ständig dicht neben mir, sein linkes Ohr klebte mir förmlich am Trichter. O Gott, habe ich gedacht, der wird mir gleich gehörig den Marsch blasen und sagen, was ich alles falsch gespielt habe.

Nachdem die Prozession wieder in die Kirche eingezogen war, wir dort mit Harmonium und Blasmusik das Te Deum (Großer Gott wir loben dich...) und den Sakramentalen Schlusssegen hingeschmettert hatten, war dieses für uns doch sehr erfreuliche Spektakel zu Ende. Auf dem Heimweg rief Fohsse Bass: „Hal ens stell, dat well ech dir son, wenn dou de morje ene verkierte Tun je-spillt häss, da kannste mech kabott schlon!“ Fürwahr ein schönes und großes Kompliment von Fohsse Bass.