Gefallene ohne Ehrenmal

Ralf Gier, Köln

Es ist die Rede von denen, die an die drei Grundgedanken der französischen Revolution von 1789 glaubten: „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“. Von jenen, die durch das sturmartige Hinwegfegen der alten Weltordnung erstmals über sich selbst verfügen durften.

Dabei ist kaum bekannt, wer zwischen 1803 und 1814 aus den Dörfern an Kyll und Lieser oder von den Höhen der Eifel in den Reihen der Napoleonischen Armeen stand. Die Quellen sind spärlich. Zahlreiche Pfarrstellen waren nach 1798 über Jahre ver-waist, viele Geistliche hatten sich geweigert, den Eid auf die „Zivil-Konstitution des Klerus“ zu schwören und zogen es vor, über Jahre in der Illegalität zu leben, bis der Spuk vorüber war.

So fehlte es an Chronisten. Mehrere Hunderttausend junge Männer ließen während der Napoleonischen Feldzüge ihr Leben. Es wird wohl immer unbekannt bleiben, wie groß die Zahl derer war, die aus den linken Rheinlanden stammte. Nur gut 40 % eines Jahrgangs wurde 1806-1812 eingezogen, Zivildienst oder ähnliche Wehrersatzleistungen waren noch unbekannt und doch gab es auch zu Zeiten Napoleons Wege, sich vor dem Militärdienst und der Teilnahme an blutigen Schlachten zu „schützen“. Wer es sich leisten konnte, suchte sich – legal -bezahlten Ersatz. Und sollte der eigene Name bei den Rekrutenaushebungen (Konskriptionslisten) fallen, so zog diese Ersatz-Person den Waffenrock über.

Es gab in der armen Eifel vermutlich weit mehr, die sich diesen Weg der Befreiung leisten konnten, als vielleicht anzunehmen wäre. Gutsbesitzer und Kaufleute, vermögende Bauern. Unsere Anverwandten, Brüder unserer Ahnen, waren in der überwiegenden Zahl einfache Soldaten. Drei dieser wollen wir der Vergessenheit entreißen: Nicolaus Lux und Cornelius Peters aus Stadtkyll sowie Johannes Ferland aus Schönfeld.

Am 25.09.1807 verstirbt Nicolaus Lux, erst 22-jährig, im Trierer Militärhospital. Bereits als Kind hatte er seinen Vater und Stiefvater verloren, was sicher dazu beitrug, dass die familiären Verhältnisse von sehr einfacher Art waren. Mutter wie Geschwister werden in amtlichen Belegen als Arbeiter und Tagelöhner bezeichnet. Umso bemerkenswerter, dass er als Jäger in einem Jägerregiment zu Pferd diente.

Johannes Ferland verstarb ebenfalls in einem Militärhospital. Als Angehöriger des 1. Bataillons im 94. Linieninfanterieregiment ereilte ihn am 08.10.1807 im Alter von 27 Jahren in der Festung Magdeburg der Tod. Der ebenfalls aus einem Arbeiterhaushalt stammende Füsilier Ferland gehörte offensichtlich zu der 7.000 Mann starken französischen Belagerungsarmee, vor der am 08.11.1806 die mit 23.000 Soldaten besetzte Festung Magdeburg kapitulierte!

Cornelius Peters, 1790 als Sohn des aus Schüller stammenden Bauern Johannes Peters in Stadtkyll geboren, gehörte während der zweiten Besetzung Hamburgs durch französische Truppen vom 30.05.1813 bis zum 28.05.1814 als Füsilier zum 61. Linien-Infanterieregiment, 4. Bataillon, 4. Kompanie. Der Oberkommandierende, Marschall Davout (1770-1823), lag im Frühjahr 1814 mit etwa 30.000 Mann und ca. 350 Kanonen in der Festung. Einzelne Versuche zur Einnahme durch den belagernden General Bennigsen (1745-1826, russischer General dt. Herkunft) scheiterten. Nicht zuletzt, da dieser nur über 20.000 Mann verfügte. Nahrung wurde knapp, Ratten und Katzen gehörten bald zur Kost für Besatzer und Bevölkerung und die Stadt versank im Abfall und Gestank. Zudem brach das Lazarettfieber aus, täglich starben ca. 60-70 Mann.

Nachdem am 31. März 1814 die Verbündeten Truppen in Paris eingezogen waren, dauerte es noch acht Tage, bis Davout Nachricht erhielt. Da er dieser nicht glaubte, verweigerte er die Kapitulation. Noch bis kurz vor Aufziehen der weißen Fahne, am 29.04.1814, kam es immer wieder zu kleineren Scharmützeln mit englischen Kanonenbooten. Nach dem Da-vout am 11. Mai seinen Posten verließ, vergingen noch drei Wochen, ehe 23.000 Mann Besatzungsarmee vom 28. bis zum 31.05.1814 abrückten; die Lazarette waren noch mit ca. 4.800 Mann gefüllt und etwa 13.000 Soldaten hatten während der Besatzungszeit ihr Leben gelassen. Unter ihnen der Stadtkyl-ler Cornelius Peters, der am 03.05.1814, also nur drei Wochen vor Ende der Besatzung und kaum vier Wochen nach Abdankung Napoleons (06.04.1814) im Hospital No. 3 zu Hamburg verstarb.

Die Nachricht seines Todes erreichte 1815 seinen Vater. Die Mutter, Catharina Margaretha Kaulen, war kurz vor Beginn der Besetzung Hamburgs am 16.05.1813 verstorben. Interessanterweise waren die Höhen um Stadtkyll zur gleichen Zeit, als die Besetzung Hamburgs zu Ende ging, im Blick des Berliner Militärs. So schreibt Hans-Peter Kleber: „Auch die Befestigung von Namur und der Bau einer Festung bei Stadtkyll in der Eifel werden ernsthaft in Erwägung gezogen.“ Die Region blieb Durch- und Aufmarschgebiet und auch die folgenden Generationen betrauerten Brüder und Väter, die mit Waffen auszogen, weil sie an eine „gerechte“ Sache glaubten. Die Geschichte zeigt, dass diese „Glaubens-brüder“ irregeleitet wurden.

Quellen und Literatur

Becker, Johannes, Geschichte der Pfarreien des Dekanates Blankenheim, 1893, S. 96f.
Gier, Ralf, Wehrdienstverweigerung an der Oberahr 1803, Heimatjahrbuch Krs. Euskirchen 2008.
Kleber, Hans-Peter, Die Preußische Festung Koblenz-Ehrenbreitstein, Aspekte zur Entwicklungs- und Planungsgeschichte 1814-1818, in: Neue Forschungen zur Festung Koblenz, 1998, S. 29. Mai, Bernhard und Christiane, Festung Magdeburg, 2006.
Overkott, Franz, In Russland Vermisste aus Rheinland und Westfalen, 1963. www.hamburg1813.de