Gute, alte Ansichtskarte

Gretel Körner-te Reh, Ahlen

Gehören Sie, liebe Leserinnen und Leser, wie ich zu den Traditionalisten, die anstatt eine SMS zu senden lieber Ansichtskarten verschicken und vor allem auch bekommen? Diese bunten, kitschigen, lustigen oder auch informativen Karten haben das „gewisse Etwas“. Sie können amüsieren und auch rühren. Im Jahre 1900 beförderte die Reichspost 955 Millionen Motivpostkarten, heute, im Zeitalter von Telefon und E-Mails, sind es nur noch 80 Millionen Stück jährlich. (Aus dem Journal der Ahlener Zeitung, 2005.) Man erfährt, wo in aller Welt sich die Verwandten und Freunde tummeln, was einen auch schon mal ärgert, wenn man selbst bis über die Ohren in Arbeit steckt oder momentan nicht über das nötige Kleingeld verfügt, um nach China oder in den 5. Kontinent zu jetten.

Oft schreiben die Lieben überhaupt nur aus Angeberei, und die Urlaubsgrüße trudeln dann erst ein, wenn sich alle bereits wieder in heimatlichen Gefilden aufhalten. Da wäre eine SMS schon schneller, doch eine Karte sagt eben mehr aus. Der KUNSTLIEBHABER würde nie Allerweltsanblicke versenden, eher Ausschnitte aus der Bemalung der Sixtini-schen Kapelle von Michelangelo, Seerosen-Sujets von Claude Monet oder die von ihm selbst fotografierten Kunstwerke und Baudenkmäler. Der VERMITTLER DEUTSCHEN LIEDGUTES verschickt den Hochglanz-Text „Als die Römer frech gewor-den“, der an die Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 nach Christi erinnert oder auch, um seine Zugehörigkeit zur studentischen Verbindung kundzutun, den Auszug von „Gaudeamus igitur“.

Ebenso beliebt ist „Wer hat dich, du schöner Rhein...“ IRLANDFANS texten sehr oft Lime-ricks, die mal besser, mal schlechter die Dichtkunst des Absenders erkennen lassen. Die Illustration ist grüner als grün und zeigt Schafe und Lämmer bis zum Horizont. In meiner kleinen Ansichtskartensammlung befinden sich die allerschönsten Karten, die ich seit 1960 horte. Hierin lassen sich verschiedene zeitgeschichtliche Trends verfolgen: Artige Kartengrüße wurden verschickt zu Ostern, Pfingsten, Weihnachten und zu Neujahr.

Zu Geburtstagen, viel mehr aber zu den Namenstagen, ermahnten die lieben Verwandten, nur ja tüchtig zu lernen, den Eltern und Geschwistern herzliche Grüße zu übermitteln und ein fleißiges Mädchen zu bleiben! Eine Freundin schrieb Anfang der 60er-Jahre aus Heidelberg (Motiv: beleuchtetes Schloss): „Hoffentlich vertrage ich das Autofahren auf der Rückreise besser!“ Es war ihre erste größere Fahrt damals mit dem Automobil.

Eine andere Freundin verewigte sich mit einer Ansichtskarte aus Rüdesheim am Rhein. Acht Kleinstbildchen zeigen die Drosselgasse, Weinhänge und die Rheinstraße mit diversen Autos. ROMANTIK -FROHSINN - EDELWEIN springen einem direkt ins Auge. Die Gute muss damals dort sehr beschäftigt gewesen sein, denn der Text lautet dürftig: „Viele Grüße von hier. Später mehr!“ Gerichtet waren diese Zeilen ans FRÄULEIN G. in Gerolstein, frankiert mit einer 10 PfennigMarke, die das Konterfei von Heuss zeigte. Besuchsankündigungen lieber, weitläufiger Verwandtschaft finde ich in meinem Archiv; das „Drohen mit Kommen“ wurde schmackhaft gemacht durch die Mitteilung, ein schönes Mitbringsel im Gepäck zu transportieren.

Diese „Stehrumsels“ verstaubten dann oft in den hintersten Schrankecken; über Geschmack kann man streiten! Erinnerungen wie: „Bitte hebt diese Karte mit Marke für mich auf, es ist eine Rarität!“, stehen auf der Ansichtskarte des „Palais des Nations“ in Genf. Wer würde so herzlos sein, die Karte nicht aufzubewahren, gar zu zerreißen? Oder wer würde dieser Aufforderung nicht gerne nachkommen? „Mutter, halte Salami und Brot bereit! Komme in zwei Tagen.“ Sogleich wird die treusorgende Mutter losrennen, um dem armen, ausgehungerten Sohn, der von einer 500 km langen Radtour in Kürze heimkehren wird, sein köstliches Mahl zu bereiten.

Nicht zu vergessen sind die SPORTLER, die gleichzeitig mit den Grüßen auf den folgenden noch größeren Segeltörn hinweisen, die OPERNFREUNDE, die aus Salzburg berichten, die TECH-NIK-FREAKS, die die Öffnungszeiten des Technischen Museums in Wien bekannt geben, nämlich nur vormittags von 9 -13 Uhr, Dienstag bis Sonntag. Zwei in meinen Augen besondere Stücke befinden sich in meinem Archiv. Da gibt es eine Namenstagskarte zu Peter und Paul am 29. Juni; typisch für die Eife-ler ist es ja, zum Namenstag zu gratulieren. Der Absender möchte Grüße verteilen an „Peter“, „Pitt“ und „Pittchen“. Auch typisch für die Eifel, über Generationen hinweg die gleichen Vornamen zu vergeben.

Später gab es in der Familie auch noch ein „Pitter-chen“! Die zweite optisch sehr ansprechende Karte zeigt ein Schwarzwaldmädel, dessen Papier-Röckchen man hochklappen kann, und bei der sich die 10 kleinen Foto-Ansichten von Wildbad wie eine Ziehharmonika herausziehen lassen, ein so genanntes LEPORELLO. Überhaupt gestaltete man früher Karten sehr phantasievoll. Textile Engel schwebten auf Weih-nachts-Grußkarten, GlitterSternchen zierten Landschaften, künstlerische Gemälde wurden so naturgetreu auf die Karten projiziert, dass man mit diesen Kleinbildern die Wände verzierte. Im Laufe der 40 Jahre, die ich dieser Sammelleidenschaft fröne, sind die Portogebühren rasant gestiegen. Die treuen Schreiber kennen ebenso die Umstellung der Postleitzahlen, die uns oftmals zu wahren Erinnerungs-Akrobaten werden lassen.

Leider sind die individuellen Ortsstempel mit Motiven der Region und ihren unverwechselbaren Stadtansichten auch verschwunden, und der anonyme Briefzentrumsstempel hat Einzug gehalten. Dennoch sollte dies alles uns Ansichtskarten-Schreiber nicht abschrecken, weiterhin fleißig schriftliche Grüße an unsere Lieben zu versenden!