Auf dem Weg zum Ziel

40 Jahre Lebenshilfe Kreisvereinigung Daun e. V.

Klaus-Peter Metzger, Vorsitzender Lebenshilfe KV Daun e. V.

Eindeutig definiert wird das Ziel im Grundsatzprogramm der Lebenshilfe: „Ziel der Lebenshilfe ist das Wohl geistig behinderter Menschen und ihrer Familien. Sie setzt sich dafür ein, dass jeder Mensch mit geistiger Behinderung so selbständig wie möglich leben kann und dass ihm soviel Schutz und Hilfe zuteil werden, wie er für sich braucht. Maßgebend sind die individuelle Persönlichkeit und die Bedürfnisse, die sich aus Art und Schwere der Behinderung ergeben. Menschen mit schweren geistigen Behinderungen stehen unter dem besonderen Schutz der Lebenshilfe. Auf diese Weise will die Lebenshilfe geistig behinderten Menschen und ihren Angehörigen lebenslang und umfassend die bestmögliche Lebensqualität sichern.“

Auf den Weg machten sich vor 40 Jahren in Daun mutige Frauen und Männer. Am 6. April 1967 fand die Gründungsversammlung der heutigen „Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Kreisvereinigung Daun e. V.“ statt, damals gegründet als „Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind e. V. “ im Gründungsvorstand von Dr. Josef Pesch, Heinrich Kellerbach, Landrat Martin Urba-nus, Erwin Lehnen, Franz Rit-tel und im Beirat Dr. Edmund Roos, Frau Helene Leonards, Schulrat Vonier, Ansgar Bartmann und Alois Meyers. Die meisten der Gründungsmitglieder sind heute verstorben. Aus den damaligen Kindern wurden erwachsene Menschen. Das Ziel ist bis heute geblieben.

Wohnheim in Gerolstein

In 40 Jahren wurde ein teilweise sehr schwieriger, aber auch weiterführender Weg mit vielen erfolgreichen Stationen beschritten. Äußere und innere Bedingungen haben sich bis heute maßgeblich verändert. Noch in früheren Jahren bedeutete eine körperliche oder geistige Behinderung ein Leben in Isolation und ein Ausgeschlossensein aus der menschlichen Gemeinschaft. Die damals gegangenen ersten Schritte haben den Weg bereitet für ein heutiges umfassendes Netz von Hilfeleistungen für behinderte Menschen.

Die vom Prinzip der Selbsthilfe geleitete Solidargemeinschaft der Lebenshilfe, im Ursprung vor allem eine Vereinigung von Eltern behinderter Kinder, deren Angehörigen, Freunde und Förderer, hat sich bis in die heutige Zeit zu einer Organisation entwickelt, die in zahlreichen Unternehmen den behinderten Menschen ein menschenwürdiges Leben mit individuellen Förderungsund Entwicklungsmöglichkeiten bietet (siehe Organigramm). Dabei versteht sich die Lebenshilfe nach wie vor als Selbsthilfevereinigung mit der Erkenntnis, dass staatliche Maßnahmen zwar notwendig sind, alleine aber nie ausreichen, die Lebenssituation von hilfebedürftigen Minderheiten in der Gesellschaft zu verändern.

 

Die Eingliederung behinderter Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen ist deshalb und auch nach wie vor Aufgabe der Lebenshilfe, wobei es nicht alleine darum geht, dass der behinderte Mensch befähigt wird, sich in die sog. „normale“ Umwelt zu integrieren, sondern vielmehr ebenso sehr um das Problem der Nichtbehinderten, dem behinderten Menschen vorurteilsfrei und unbefangen zu begegnen und auf eine natürliche Art mit ihm zu leben.

Die Erreichung dieser Zielsetzung und die Erfüllung der damit verbundenen Aufgaben geschieht durch:

- Schaffung, Unterhaltung und Betrieb (Trägerschaft) aller durch staatliche Gesetzgebung begründeten und finanziell geförderten Institutionen, um mit ihnen geistig behinderte Menschen bildend, fördernd, pflegend und helfend durch ihr Leben zu begleiten,

- sonstige über den gesetzlichen Rahmen hinausgehende Einrichtungen, mit denen der Lebensanspruch geistig behinderter Menschen individuell und gesellschaftlich erfüllt werden kann,

- Zusammenarbeit mit öffentlichen, privaten, konfessionellen und wissenschaftlichen Organisationen, die der Förderung geistig behinderter Menschen dienen,

- Aufnahme und Förderung partnerschaftlicher Beziehungen zu Vereinen und Institutionen gleicher Zielsetzung im In- und Ausland durch gegenseitige Besuche, Beratung, Erfahrungsaustausch, Hospitationen u. a.,

- Öffentlichkeitsarbeit,

- Sammlung von Spenden. Die Solidargemeinschaft Lebenshilfe arbeitet als Aufgabengemeinschaft von geistig behinderten Menschen, ihrer Eltern, Freunde, Förderer und hauptamtlich tätigen Fachkräften partnerschaftlich zusammen.

Die Vorstände der Lebenshilfe auf Landesebene und in den Orts- und Kreisvereinigungen, wie auch der Vorstand der Lebenshilfe Kreisvereinigung Daun, arbeiten rein ehrenamtlich. Sie werden von hauptamtlichen Mitarbeitern unterstützt. Der Landesverband Rheinland-Pfalz gliedert sich in 32 Orts- und Kreisvereinigungen mit 9250 Mitgliedern. Es werden mehr als 7000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit geistiger Behinderung gefördert und unterstützt. Bundesweit werden von der Lebenshilfe über 150.000 Menschen betreut.

Schwerpunkte der Betreuungsangebote sind Frühförderstellen, Kindergärten, Schulen, Werkstätten, Wohnstätten mit Außenwohngruppen und betreutem Wohnen, offene Hilfen, familienunterstützende Dienste, Freizeit-und Bildungsangebote. So bietet die Lebenshilfe heute landauf, landab ein vielgestaltiges Angebot an Hilfen nicht am Rande, sondern mitten in der Gesellschaft. Der große Vorteil steckt dabei in der Kompetenz der eigenen Einrichtungen und Dienste. Die Lebenshilfe ist keine Organisation, die nur gegenüber anderen, an Staat und Gesellschaft Forderungen richtet, sondern die seit Jahrzehnten durch eigene Arbeit bewiesen hat, was sinnvolle und frühzeitige Förderung und angemessene Begleitung bewirken können.

Die quantifizierbaren Belege der Arbeit der Lebenshilfe beschreiben zugleich aber auch deren Unverzichtbarkeit und die Bedeutung für das Menschenbild, das von der Lebenshilfe in die Gesellschaft hinein getragen wird. Die Lebenshilfe ist eingebettet in unsere Gesellschaft auf örtlicher Ebene, in den Ländern, auf Bundesebene und international. Als gesellschaftliche Kraft nimmt sie Einfluss auf diesen Ebenen. Sie steht aber auch in Abhängigkeit zu dem, was dort passiert. Gleiches gilt für den Zeitgeist, der in alle Lebensfelder hinein wirkt. Ökonomisierung und Liberalisierung, von einigen Kräften der Gesellschaft als Notwendigkeit und Chance, von anderen als Bedrohung und Irrweg empfunden, machen auch vor der Lebenshilfearbeit nicht halt.

Eltern mit behinderten Kindern/Angehörigen sehen sich einem wachsenden Druck angesichts der Knappheit öffentlicher Mittel und damit einhergehender sozialpolitischer Weichenstellungen ausgesetzt. Ein allgemeines Bewusstsein über den Bedarf von Familien mit behinderten Angehörigen an gesamtgesellschaftlicher solidarischer Unterstützung kann heute nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Ganz im Gegenteil werden schon Forderungen laut, deren Umsetzung die Situation dramatisch verändern könnte. Dabei wird der größte Teil der sozialpolitischen Diskussion durch die Mittelknappheit der öffentlichen Haushalte ausgelöst.

Sicher ist es richtig und notwendig, ökonomisch zu handeln und zu denken. Andererseits muss die Einsicht bestehen, dass sich Kräfte aus der Welt der sozialen Arbeit in die Wirtschaftpolitik einmischen müssen, um Gerechtigkeit zu sichern. Die Forderung, in einem „So-zialstaat“ leben zu wollen, kommt zweifelsfrei behinderten Menschen und ihren Angehörigen zu Gute und trägt zu einer menschlicheren Gesellschaft bei.

Es wird somit vor allem darauf ankommen, das positiv veränderte Bewusstsein bei uns und in der Gesellschaft so weiter zu fördern, dass wirklich alle Menschen mit einer Behinderung, besonders aber die schwächsten unter ihnen, auf dem Weg zu mehr Miteinander mitgenommen werden. Das Recht auf Teilhabe, mit dem unsere Gesetzgebung den alten Fürsorgegedanken abgelöst hat, muss ohne jede Einschränkung für alle Menschen mit einer Behinderung gelten. Der Anspruch auf mehr Selbständigkeit und mehr eigene Entscheidungsmöglichkeiten muss Vorrang haben vor reinem Kostendenken. Mitnichten lässt sich erkennen, dass die Herausforderungen an die praktische Arbeit der Lebenshilfe nicht weniger werden.

Wichtige Aufgabenfelder werden auch in der Zukunft gegeben sein: so z. B. in der Frühförderung oder im gesamten Bereich der Gesundheitsfürsorge, ebenso bei vielen ethischen Fragestellungen, oder ganz aktuell in der Sorge um die (angehenden) Seniorinnen und Senioren, die zum großen Teil noch im häuslichen Umfeld bei ihren teilweise hoch betagten Eltern leben und oft dazu noch pflegebedürftig sind.

Auch wenn in einer alternden Gesellschaft die Zahl der pflegebedürftigen und mehrfach behinderten Menschen zunehmen wird und viele von ihnen auf vollstationäre Einrichtungen angewiesen sein werden, soll doch möglichst vielen Menschen mit geistiger Behinderung ein Leben mitten in der Gesellschaft mit einem Lebensprofil in der Begleitung und Unterstützung ermöglicht werden. Es ist noch ein weiter Weg bis zum Ziel, aber der Weg ist zielführend!