Wallfahrten, Prozessionen um die Bergkirche Hilgerath

Winfrid Blum, Springiersbach

Dem uns heute geläufigen Satz „Der Weg ist das Ziel“ als griffige Umschreibung von Wallfahrten und Prozessionen seien einige Merkmale dieser Begriffe aus dem (katholischen) Herders Konversationslexikon von 1907 (1) gegenübergestellt. Danach ist die Wallfahrt der fromme Besuch eines entfernteren heiligen Orts, Übung des religiösen Lebens; wenn ernst genommen, ein verdienstvolles Bekenntnis des Glaubens und ein Werk der Buße. Die Prozession: ein feierlicher, gottesdienstlicher Auf- oder Umzug zur öffentlichen Bekundung des Glaubens, der Freude, der Bußgesinnung oder des demütigen vereinigten Flehens; als außergewöhnliche Prozession wird z. B. die beim Empfang des Bischofs genannt.

So vor hundert Jahren! Da staunt der Christenmensch unserer Zeit schon, wenn er beispielsweise in der Jubiläumsschrift zur 500-Jahr-Feier der Wallfahrtskirche in Klausen² dargestellt sieht, welche und wie viele Gruppen derzeit Eberhardsklausen als Ziel ihres religiös motivierten Wallfahrens ansteuern. Die Konzentration auf den Weg in Gemeinschaft, das Voranschreiten, das gemeinsame Schweigen, Beten und Feiern des Herrenmahls unterscheidet dieses „Gruppenerlebnis“ einerseits von modischen „Events“, ganz besonders aber andererseits von den politisch gefärbten Zügen der HeiligRock-Wallfahrten nach Trier 1844 (Aufruf der harmlosen katholischen Landbevölkerung, im Sinne der preußischen Obrigkeit gegen die revolutionären Gedanken des Vormärz ein Zeichen zu setzen) und 1933, bei welch letzterer sich SA und Hitlerjugend als hilfsbereite organisatorische Unterstützer betätigen konnten³.

Zu unserem kirchlichen Mittelpunkt Hilgerath: eine Sternwallfahrt neueren Datums auf nicht sehr weiten, aber zum Teil beschwerlichen und alten Kirchenwegen führt nach Hilgerath, eine Wallfahrt, bei der das Ziel eindeutig und „zielstrebend“ angegangen, der Weg dahin voller Dankbarkeit und Freude unter die Füße genommen wird. Erst 1994 wurde die Sternwallfahrt eingeführt, Ziel war das uralte Wallfahrtsbild „Be-weinung“ aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, im Sommer 1975 bei einem Einbruchsdiebstahl aus der Kirche gestohlen, dank der Mithilfe eines Antiquitätenhändlers in der Nähe des Bodensees wiedergefunden und 1994 in die Pfarrkirche der sieben Dörfer zurückgeführt. Seitdem pilgern die Gläubigen alljährlich zu dem noch kostbarer gewordenen Gnadenbild (4).

Eine der ältesten Wallfahrten, wenn nicht gar die älteste belegte, ist die von den Pfarreien Kelberg und Uess nach Hilgerath am Oktavtage des Fronleichnamfestes, wohl eine zweite Fronleichnamsprozession für die Mittelpunktkirche auf dem Berg, da sie mit dem Allerheiligsten durchgeführt wurde (5).Wörtlich heißt es bei Schug a. a. O.: „Noch gegen Ende des 17. Jahrhunderts haben die Pfarrkinder von Kelberg und Uess seit unvordenklicher Zeit....“ Eine noch ältere Wallfahrt von Sarmersbach, einem der sieben Pfarrdörfer, in Verbindung mit der im Lagerbuch von Schalkenmehren zum Jahre 1700 bestätigten Wallfahrten von Weinfeld (später Schalkenmehren) und Daun nach Springiersbach darf vermutet werden; denn der ehemalige Scheidhof bei Sar-mersbach gehörte zu dem reichen Vermächtnis, mit dem Pfalzgraf Wilhelm 1136 „seine“ Abtei im Alftal am Rande des Kondelwalds bedacht hatte(6).

Das genannte Lagerbuch verzeichnete nicht nur die um 1700 üblichen Prozessionen, sondern vermerkte zu der nach Springiersbach, sie sei schon 600 Jahre alt. Eine weitere, seit Jahrhunderten überkommene Prozession von Hilgerath zum Afelskreuz bei Katzwinkel erwähnt der aus Neichen gebürtige Lehrer Alfons Poss7. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Feststellung von Poss, dass a m O k t a v t a g e d e s F r o n l e i c h n a m s -f e s t e s (s. o. Schug) die Gläubigen der Pfarreien Uess, Kelberg und Hilgerath über Afelskreuz nach Süden zum Kreuz „Auf Schloscheid“, weiter zum Kreuz im Walddistrikt „Nikolausheck“ nördlich von Sarmersbach zurück nach Hilgerath zogen.

Es erscheint glaubhaft, dass diese Prozession(en) einen ganzen Tag in Anspruch nahm(en). In der bereits genannten Schrift von Blum/Schug (Anm. 5) wird auf Seite 15 eine Übersicht über die Prozessionsverbände für Hilgerath geboten, beruhend auf dem Bruderschaftsbuch des 17. Jahrhunderts im Diözesan - Archiv: u. a. zwei Bittgänge der Pfarrei Ulmen am Mittwoch nach Pfingsten und am Georgstag (23. 4.); Markusprozession (25. 4.) nach Ulmen; Bittprozessionen montags nach Daun, dienstags nach Darscheid, mittwochs nach Uess und Kelberg. Die Zuordnung einzelner Orte zu Hilgerath mag auf den ersten Blick unverständlich erscheinen, zumal es ja zu jener Zeit noch nicht den heutigen Begriff der Seelsorgeeinheit oder der Pfarreiengemeinschaft gab; auch geht der Umfang dieser Prozessionsverbände z. T. weit über die alten Pfarreiverbände hinaus7. Hilgerath war lange von

Oberehe abhängig: 1765 wird Hilgerath in einer pfarramtlichen Übersicht Unterpfarrei von Oberehe genannt. Noch 1775 wird der Pfarrer (Joh. Pet. Cremer, Pfarrer bis 1786) auf Vorschlag des Pfarrers von Oberehe, wo er Hilfsgeistlicher war, ernannt; dgl. sein Nachfolger Michael Zender (1786 -1803), geboren in Oberehe. Die Prozessionsverbände lassen auf alte seelsorgerische Zusammenhänge schließen, die auch darin gründeten, dass an den höchsten kirchlichen Festtagen gemäß kanonischer Bestimmungen nur in der Pfarrkirche Gottesdienste gefeiert werden durften.

In dem unter Anm.8 genannten Buch von A. Mayer/E. Mertes bringt der aus Beinhausen stammende Theo Pau-ly auf S. 515 ff. seine Reminiszenzen zu den Bittprozessionen in Hilgerath zum Ausdruck, die durch die persönlichen Erinnerungen daran die Stimmumg realitätsnah einfangen. Der Verfasser möchte mit einer eigenen Reminiszenz diesen Beitrag abschließen. Im Elternhaus meines Vaters in Beinhausen war seine ältere, unverheiratete Schwester, meine Tante Katharina, für die kirchlichen „Außendiens-te“ der Familie die zuständige Instanz. Sie ging in ihrem arbeitsreichen Leben immer wieder für sich allein zur Kapelle Schwarzenberg bei Kel-berg, alle ihre und „ihrer Leu-te“ Anliegen mitnehmend und die langen Rosenkränze auf dem langen Weg still betend.

Das verstand so ein junger Neffe, der gerade mal Meßdiener war und lieber mit Vieh, Vetter und Kusinen herumtollte, nicht so sehr, schwieg deshalb lieber und war dankbar, nicht mitgehen zu müssen. Und nun das: bei der Materialsuche zu diesem Artikel stößt er darauf, dass 1831 der damalige Pfarrer (Bernhard Lamberti, 1823 - 1843) wie bekanntlich auch sein Bischof v. Hommer in Trier (1824 - 1836) dem Wall-fahrts(un)wesen sehr skeptisch gegenüberstand (u. a. auch, weil bei diesen Gelegenheiten die männlichen und weiblichen Pfarrkinder gemeinsam in Scheunen im Heu schliefen) und es möglichst einzudämmen versuchte.

So ist dem Pfarrer 1831 gerade die Wallfahrt zur Kapelle Schwarzenberg „wegen sittlicher und moralischer Nachteile der Pilger uner-wünscht“ (Blum/Schug wie Anm. (5) S. 13 f.). Weiter: „Sonst urteilen (1830) die Pfarrer über die Sittlichkeit gut“. Und auf diesem Weg - war der vielleicht damals das Ziel? - wallte meine Tante! Aber sie war sittlich und auch sonst gefestigt.

Anmerkungen

1 3. Aufl., Freiburg i. Br., Bd. VII und VIII. Dasselbe Lexikon führt übrigens in Bd. II (1903) Eberhardsklausen ausdrücklich als Marienwallfahrtsort auf.

2 500 Jahre Wallfahrtskirche Klausen, herausgegeben von Persch, Embach, Dohms; Mainz 2003, S. 69 - 160

Peter Dohms in Landeskundliche Vierteljahrsblätter, Trier 2003 (Jhg. 49), S. 1 ff.

3 Wolfgang Schieder, Religion und Revolution - Die Trierer Wallfahrt von 1844, Vierow, 996

Josef Dreesen, Der Kreis Daun im dritten Reich, (Herausgeber: Kreisverwaltung Daun) Meckenheim, 1990, S. 237

4 Heimatjahrbuch Kreis Daun 2005, S. 184 f. Wilhelm Schild (Herausgeber), Beinhausens geschichtliches Lesebuch Bd. 2, Kelberg, 2001, S. 46 f.

5 Blum Peter/ Schug Peter, Pfarrkirche Hilgerath für die sieben Dörfer der Pfarrei Beinhausen/Eifel, Neuwied 1950, S. 7

6 Alois Mayer: Klöster, Stifte, Orden der Eifel - gestern und heute, Bd. 1, Aachen, 2000, Stichwort: Bengel Peter Blum in Rhein-Zeitung Pfingstausgabe 1949 4./5. Juni

7 So reichte z. B. der Echternacher Prozessionsraum bei Manderscheid bis auf das linke Lieserufer: Andreas Heinz in Landeskundliche Vierteljahrsblätter, Trier 1976 (Jhg. 22).

8 in: Alois Mayer/Erich Mertes: Geschichte, Kultur und Literatur der Verbandsgemeinde Kelberg (Herausgeber: Verbandsgemeinde Kelberg), Adenau, 1993, S. 381 ff.