Pilgerwege

Gedanken über das Unterwegssein

Br. Mario Kaufmann SCJ, Freiburg

Niemand kann sich der Erfahrung entziehen, dass er ein Mensch unterwegs ist. In bestimmten Lebenssituationen werden wir oft sehr drastisch daran erinnert. Zum Beispiel wenn ein nahstehender Mensch stirbt. Oder auch dann, wenn wir bestimmte Geburtstage feiern: 50 Jahre, 60 Jahre, 70 Jahre und mehr. Eltern kann das Unterwegssein in starker Weise bewusst werden, wenn sie plötzlich Großeltern werden. Außerdem macht jeder Jahreswechsel nachdenklich: „Schon wieder ein Jahr vorbei!“ Auch das Leben der Christen ist vom Unterwegssein bestimmt. Dabei wird nicht allein der Lebensweg als Pilgerdasein „Wir sind nur Gast auf Erden“ verstanden.

Wallfahrten und Prozessionen sprechen deshalb den Menschen so an, weil dabei etwas angerührt wird, was so wesentlich für das Leben eines Menschen ist: er ist ein Pilger, ein Mensch unterwegs! Der Pilgerweg führt aus dem Alltag, aus dem gewohnten Einerlei eines jeden Tages heraus. Es ereignen sich vielfältige Begegnungen: mit Menschen, die genau wie ich auf dem Weg sind, mit mir selbst und mit meinem Glauben. Viele unternehmen eine Wallfahrt, um etwas Schweres wegzutragen und zu einem Wallfahrtsort hinzubringen. Im Gebet und in der Hoffnung auf göttlichen Beistand in einer besonderen Lebenssituation oder für einen nahen Menschen, dessen Leben durch Krankheit, Unfall oder Unglück durcheinandergeraten ist.

Wallfahrtsandenken und Pilgerabzeichen

Ein uraltes Bild für die Gemeinschaft glaubender Menschen ist die Bezeichnung „pilgerndes Gottesvolk“. In der Bibel sind die Menschen immer unterwegs. Sie werden aus alten eingefahrenen Wegen weggerufen, und sie müssen sich zu neuen Ufern ausstrecken. Unterwegssein hat mit dem Wandel der Welt im Allgemeinen zu tun und mit der Mobilität des modernen Menschen im Besonderen.

Aus der Schatzkiste

In einem Schuhkarton mit „Kruscht und Kram“ fand ich einige Dinge, die meine Großeltern gesammelt haben, oder die aus der Jugendzeit meiner Eltern stammen. Darunter verschiedene Erinnerungszeichen, die sie von einer Wallfahrt mit nach Hause brachten. So fand ich einen kleinen Anstecker der Heilig-Rock-Wallfahrt nach Trier von 1959, ein Pilgerbüchlein der Herz-Jesu-Wallfahrt zum Kloster Arnstein an der Lahn, Postkarten mit dem Bild der Wallfahrtskirche in Maria Martental, ein Bildchen mit dem Gnadenbild von Klausen, Postkarten und Gebetsheft-chen aus Aachen, Barweiler, Banneux, Kevelaer, Schönstat und Steinfeld.

Zu all diesen Orten gab es damals entweder eine traditionelle Wallfahrt, die regelmäßig stattfand, oder aber die Andenken stammen von Ausflügen zu den genannten Orten, die als Busfahrten vom damaligen Pfarrer organisiert wurden. Es waren auch einige Fotos darunter. Eines zeigt meinen Urgroßvater als Musikant der Alendorfer Blaskapelle mit Klarinette, bei einer Pilgerprozession in Kevelaer.

Ein zweites Foto zeigt meinen Großvater mit meiner Tante an der Hand bei einer Prozession in unserem Pfarrort Wiesbaum. Andere Fotos wurden bei der Heilig-Rock-Wallfahrt nach Trier 1956 gemacht. Eine Rarität sind die Andenken, die mein Urgroßonkel von seinem mehrjährigen Einsatz als Missionar und Lehrer in Ägypten und im Heiligen Land mitgebracht hat. Getrocknete Blumen aus Palästina, kleine Holzkreuze aus Jerusalem und einige Fotos, die ihn mit seinen Mitbrüdern zeigen. Alle diese kleinen Erinnerungen sind für mich sprechende Zeichen für die Sinn-Suche der Menschen damals. Sie machten sich auf, waren gemeinsam unterwegs, und ließen sich auch von dieser Gemeinschaft für den Lebensalltag stärken. „Wer glaubt, ist nie allein“.

Erinnerung aus Kindertagen

Aus meinen Kindertagen fand ich auch einige Wallfahrtsandenken, die ich selbst an verschiedenen Orten gesammelt habe. Besonders in meiner Zeit als Messdiener durfte ich bei einigen Wallfahrten dabei sein, und das war für mich schon etwas Besonderes. Ich habe noch die letzten Zugwallfahrten nach Kevelaer und zum Kloster Arnstein miterlebt. Ab Gerolstein oder Jünkerath sammelte ein Sonderzug alle Pilger an der Eifel-strecke bis kurz vor Euskir-chen auf.

Im Zug wurde dann über die Lautsprecheranlage der Rosenkranz vorgebetet oder es gab eine Meditation mit Musik zu hören. Heute wäre es gewagt, den anderen Mitreisenden soviel „Fröm-migkeit“ zuzumuten. Da die Pilger-Sonderzüge für die Deutsche Bahn mit der Zeit zu „unrentabel“ wurden, hat man die Pilgerfahrt seit einigen Jahren mit dem Bus bewältigt. Die einmalige Atmosphäre im Zug erlebt man nun allerdings nicht mehr.