Maria Martental

Annäherung an eine Wallfahrtskirche

Werner Schönhofen, Leutersdorf

In einem Seitental des wildromantischen Endertbaches, den Kenner für das schönste Nebenflüsschen der Mosel halten, im Sesterbachtal, liegt die Wallfahrtskirche Maria Martental. Mit ihr verbinden mich seit meiner Kindheit vielfältige Erinnerungen. Im Laufe meines Lebens habe ich das Kirchlein aus den verschiedensten Richtungen und Anlässen aus angegangen -worüber ich berichten will. Kinder heute haben in ihrem noch kurzen Leben bereits mehr von der Welt gesehen als wir in unserer Kindheit. Das Flugzeug ist für viele schon ein selbstverständliches Verkehrsmittel. Mich führte die erste große „Reise“ aus meinem Heimatort hinaus nach Maria Martental.

Es waren die ersten Jahre nach dem Kriege, als noch viele Frauen auf ihren Mann und Kinder auf ihre Väter warteten. Mit einem ganzen Trupp „unbemannter“ Tanten ging es eines schönen Sonntages zu Fuß durchs Enderttal von Ulmen nach Martental. Wie oft mag die Schmerzensreiche Muttergottes dort bestürmt worden sein in dieser Zeit? Nach kurzem Aufstieg zum Antoniuskreuz hatten wir von Ulmen aus eine fallende Strecke von etwa 2 Stunden für einen guten Wanderer - aber auch der Rückweg musste ja noch geschafft werden. Ich erinnere mich gut, wie sehr mich die Bilder an den Wänden der Wallfahrtskirche beeindruckten, für mich wohl noch des Lesens Unkundigen ähnlich einer mittelalterlichen „Biblia Pauperum“.

Auch in der Weihnachtszeit war später Martental für mich - und wohl für alle Kinder - ein besonderer Anziehungspunkt, denn in einer Seitenkapelle war eine große biblische Landschaft mit dem Stall von Bethlehem aufgebaut. Ein andermal war ich zwar nicht mit nach Martental. Mutter brachte mir aber eine Vielzahl von „Bildchen“ -Gebetszettel und andere Traktätchen - mit. Die ich, nun des Lesens bereits kundig, als meinen ersten schriftlichen Besitz wie meinen Augapfel hütete. Es muss wohl im 3. Schuljahr gewesen sein, als wir eine Wanderung nach Martental mit unserer Lehrerin, Fräulein Könen, machten. Das 3. und 4. Schuljahr, Jungen und Mädchen, waren in einer Klasse zusammengefasst, und wir waren schon rechte Lausebengel - heute wäre das muntere Völkchen gar nicht mehr zu regieren!

Wir sind unserer Lehrerin unterwegs immer wieder davongelaufen und hatten es wohl sehr eilig nach Martental zu kommen. Was wir den ganzen Tag über gemacht haben, weiß ich nicht, nur dass wir abends auf dem Waldfrieden, damals noch Kinderheim bei Auder-ath, mit einem Lkw mit Holzvergaser abgeholt wurden; anscheinend hatten wir doch ein paar gewaltige Schlenker gemacht und unsere Lehrerin sich in Zeit und Richtung geirrt. Ein andermal fuhren wir eben mit diesem Holzvergaser nach Martental. Auf der Pritsche waren Bänke. Das Tempo muss wohl nicht sehr schnell gewesen sein, da so etwas überhaupt möglich war.

An der steilen Straße, der alten Heerstraße von Trier nach Koblenz, mussten wir absteigen, denn erst musste gestocht werden, wohl wegen mangelnden Holzgases; heute ist diese Straße für Omnibusse und Lkw gesperrt. Vor der Schulentlassung hatten wir Einkehrtag in Mar-tental - getrennt nach Jungen und Mädchen. Wir waren mit den Auderathern u.a. zusammen. Zu Mittag gab es Erbsensuppe. Einige haben sich nicht gut benommen. Anstatt sexueller Aufklärung wurde dort eher Tabuisierung betrieben - heute undenkbar. Auch später habe ich von Ulmen aus noch einige Male als junger Mensch nach Marten-tal gefunden, oft war es ein frühlingshafter Karfreitag.

An einem solchen Tag finden sich immer die Menschen der umliegenden Dörfer hier zum Kreuzweg und zur anschließenden Karfreitagsliturgie ein. Aus der anderen Richtung von Cochem her das Endert-tal aufwärts bin ich den Weg einige Male mit Wandergruppen gegangen. Alle waren angetan von der Schönheit des Tales. Bei einer solchen Samstagswanderung erlebten wir den Auszug eines Hochzeitspaares und erhielten die Einladung des Ulmener Eifel-vereinsvorsitzenden zum Vereinsfest, der wir bei der nächsten Wanderung gerne Folge leisteten; von der Erinnerung an dieses schöne Fest auf der Ulmener Burg zehrten wir noch lange.

Von Ulmen und Cochem her liegt Martental etwas abseits der halben Strecke der ersten Tagesroute des Karolingerweg-es, eines Haupt-wanderweges des Eifelver-eins, der von Co-chem über Ulmen, Daun, Neroth und Mürlen-bach nach Prüm führt. Auch von Kaisersesch her ist die Wallfahrtskirche gut anzugehen. Vom Bahnhof her kann man dem mit M ausgeschilderten Wanderweg (Monreal - Kaisersesch -Martental) folgen. Er führt an der Römerstraße vorbei zur A 48 und dem Schieferhauerdorf Leienkaul. Hier geht es auch gleich hinab über Schieferabraumhalden ins Sester-bachtal zum Kirchlein.

Mit viel Glück sind auf dem Weg Schieferbruchstücke zu finden, die innen die goldenen Würfelchen des Schwefelkieses aufweisen. Von Laubach und Müllenbach führt ein noch interessanterer Weg durch das Kaulenbachtal über die Halden des ehemaligen Schieferabbaues ins Enderttal und nach Martental im nächsten Seitental. Auch von der anderen Seite aus gibt es einige Möglichkeiten ins Enderttal und nach Martental zu gelangen - trotz militärischer Anlagen. Soldaten und Reisende mögen seit der Römerzeit das Tal gekreuzt haben, wenn sie von der Mosel kommend über Alflen auf einer Verbindungsstrecke am Höchstberg vorbei zur Maasstraße zogen. Von Büchel aus führen mehrere Wege ins Enderttal hinunter.

U. a. sind Bücheler und Goebelsmühle ihr Ziel. Wie viele Getreidesäcke mögen von den Höhenorten links und rechts der Endert mühsam zu den Mühlen im Tal gebracht und wie viele Mehlsäcke genauso mühsam aber auch frohgemut hinaufgeschleppt worden sein? Ist das nicht auch ein Bild für die Sorgen, die die Menschen der Höhenorte mit sich nach Martental trugen und für den Trost, den sie vielleicht von dort mitnahmen? Von Büchel aus bin ich an einem stillen Herbstsamstag mit einer Wandergruppe ein kleines Bachtal zur Endert hinunter und aufwärts nach Martental gewandert.

Viele Male, auch wenn ich in der Eifel mich andernorts aufhielt und nur einen Abstecher machte, bin ich in Mar-tental gewesen - und werde dem wohl noch einige Male hoffentlich hinzufügen können!