Aus dem Tagebuch einer Tulpenzwiebel

Marianne Schönberg, Jünkerath

Guten Tag!

Mein Name ist Tulpe. In Persien nennt man mich dulbänd und als Tulipa bin ich ebenfalls bekannt, gehöre zur Gattung der Liliengewächse und habe eine weitverzweigte Verwandtschaft. Meine türkische Schwester Lalfe schmückte bereits das Wappen der Osmanen, andere Geschwister werden in der persischen Literatur um 1123 erwähnt. Nun reicht’s mit der Vorstellung, ich wollte ja von mir erzählen.

So lange ich mich zurückerinnere, war meine äußere Hülle bräunlich gefärbt. Je weiter man in mein Inneres vordringt, desto heller werden die Schalen und der wichtige Kern, aus dem meine Blüte wächst, ist fest, weiß und winzig klein. Man hat mir versprochen, dass die gute Erde, in die man mich im Herbst setzte, all meine Energien freisetze. Warten wir’s ab. Noch ist’s Winter, nicht arg kalt, der Frost sitzt nur oberhalb der Erddecke und immerzu bekomme ich Besuch von den Mäusen.

Sie haben Hunger, mögen am liebsten die kleinen Zwiebeln derSchneeglöckchen - mich meiden sie, ich hab nun mal nicht das gewisse Etwas für ihren Gaumen. Ab und an wird's ein wenig wärmer im Gartenbeet, mein innerer Kern registriert es mit Freude. Das erste Grün macht sich auf den Weg nach oben, durchdringt die Erdkruste und meldet: „Schön sieht’s hier aus!“ Ringsum sind kleine Sprosse, sie haben sich vorgestellt, heißen Narzisse, Gartenhyazinthe, Primel - eine lustige Gesellschaft, und alle meinen, demnächst wächst aus ihnen eine wunderschöne Blume.

Mich freut’s, und ich spende nach Möglichkeit Kraft für den Trieb. Doch was kommt nun?

Kälte, Schnee! Alles Grün versinkt in pappigem Weiß, wird niedergedrückt. Von den Gartenbesitzern bleibt’s ungeschützt - wer kann schon bei akutem Wintereinbruch auf winzige grüne Sprossen achten? Ist das nun das Ende aller Mühe um eine schöne Blüte?

Mir ist unwohl, die äußeren Hüllen schützen zwar vor Frost, aber die Sorge um mein Sein treibt mich um. Schließlich soll ich etwas hervorbringen, das erwartet man von mir, hofft auf die SCHÖNE in Sachen Tulpe. - Es ist März, ich warte auf eine Prise Sonne und Wärme, das würde gut tun.

Schläfrig bin ich - was soll Zwiebel unternehmen, wenn die Triebfähigkeit abgeblockt ist? Warten - sich gedulden, Tag für Tag. Dann … es wird wärmer, die Sonne scheint, das Grün erholt sich.

Ist alles gut? Kaninchen kommen ins Gartenbeet, ihnen schmecken die frischen Triebe, sie beißen das Obere schamlos ab. Nun steht da so ein Strunk, unansehnlich, ich muss mich mühen, ihn aufzupäppeln und ich tu das. Meine Tulpenblüte soll eine ganz schöne sein, dafür hab ich viele Wochen gearbeitet, mich um ihr Wohlergehen bemüht - sie wird mich belohnen, das spür ich.

Was ich mir nun noch wünsche?
Dass die Menschen ihre Schönheit sehen und die wenigen Tage des Daseins annehmen.

Dann endet das Tagebuch einer bräunlichen Knolle.
„Dan-ke“, sagt (m)eine Tulpenzwiebel.