Voll Gold das braune Eifelland

Gisela Bender, Deudesfeld

Zur Zeit meiner Einschulung war die Volksschule in Deu-desfeld noch zweiklassig. Die Lehrerin unterrichtete die Mädchen und der Lehrer die Jungs. Es war damals Frau Maria Kroll, die meine ersten Schritte in die Welt des Unterrichts lenkte. Ganz schnell, schon während des ersten Schuljahres, hatte ich begriffen, welche meine Lieblingsfächer werden sollten. Darauf richtete ich meine Aufmerksamkeit und so blieb es während meiner ganzen Schulzeit. Eine schöne Zeit! Während wir ABC-Klässler von der Lehrerin mit Malen betraut wurden, hatten die größeren Kinder als Unterrichtsfach Heimatkunde.

Später hieß es Naturkunde. Bis zum heutigen Tage sind mir die ersten Stunden der Heimatkunde im Kopf geblieben. Ich ließ mein Malen sein, und hörte gespannt bei den Großen mit. Die großen Mädchen mussten, so wie die Lehrerin sie aufrief, vor die Klasse treten und ein Gedicht aufsagen. „Voll Gold das braune Eifelland“. Immer wieder eine andere. Immer wieder unterbrach die Lehrerin den Redefluss der Mädchen. Obwohl ich noch ein Grünschnabel war, begriff ich schnell, was die Lehrerin jeder einzelnen Schülerin beibringen wollte. Die Betonung, die war es, „voll Gold das braune Eifelland“. Zuerst dachte ich, die Eifel wäre voll Gold.

Nein, das konnte es nicht sein, dann wären hier ja wohl alle reich. Recht bald fiel der Groschen. Mit dem Gold war der Ginster gemeint. Vor Jahrzehnten einer der wesentlichsten Sträucher in dieser Gegend. Es waren Frau Krolls Bemühungen, die Beschaffenheit unserer Landschaft im Ausdruck dieses Gedichtes den Schülerinnen nahezubringen. Mir hat es sich unauflöslich eingeprägt. In späteren Jahren habe ich oft darüber nachgedacht und bin zu der Erkenntnis gelangt, dass diese Lehrerin, obwohl sie keine Eiflerin war, mit ihrem Engagement eine tiefe Liebe zur Eifeler Landschaft offenbarte. Dem Ginster begegnete ich von Kind an. Fast jeden Tag musste ich mit zu den Feldarbeiten raus.

Obwohl die Bauersleute den Ginster als ein lästiges Gewächs sahen, betrachtete ich ihn fortan mit anderen Augen. Zugegeben, er machte den Bauern zusätzlich Arbeit. Immer wieder müssen die Weidenzäune und Wege frei geschnitten werden. Der Standort des Ginsters offenbarte damals wie heute eine magere Bodenbeschaffenheit. Unsere Eifelgegend wurde eigentlich spät erst in einer intensiven Landwirtschaft bewirtschaftet. Unsere Böden sind durch die Lavaausschüttung des Meerfelder und des Mosenberger Maares geprägt.

Es gab von altersher immer nur kleinste landwirtschaftliche Betriebe, wenn man sie überhaupt so nennen kann. Alle, ausnahmslos, lebten von zwei Kühen, vielleicht noch ein paar Jungtieren, einem Schwein und Hühnern. Jede Familie war Selbstversorger. Heute nicht mehr nachvollziehbar, wie es möglich war, mit so wenigen Wirtschaftsgütern zurechtzukommen und so viele Menschen zu ernähren. Die Wirtschaftswunderjahre der 5Oer des vergangenen Jahrhunderts brachten auch unserem Dorf einen langsamen Aufschwung. Der Flugplatz in Bitburg wurde gebaut. Der Lavasand des Mo-senberger Maares wurde ein Verkaufsschlager.

Neue Straßen mussten für den Transport des Bodenschatzes gebaut werden. Viele Männer aus dem Dorf erkannten die Chance und arbeiteten fortan auf den Baustellen. Mit dem Geld, das nun regelmäßig hereinkam, für jede Familie war das eine ganz neue Erfahrung, wurden die Häuser herausgeputzt. Immer mehr gaben in den nachfolgenden Jahren die Landwirtschaft auf. Vereinzelt begannen die Frauen, Feriengäste zu bewirten. Die landwirtschaftlichen Flächen, die frei wurden, übernahmen diejenigen, die expandieren wollten. Jahrelang wurden die Landwirte von Berufsverbänden und der Politik mit dem Slogan „wachsen oder weichen“ berieselt.

Diese Weichenstellung führte dazu, dass es vielerorts so ist, dass kein landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetrieb den gewaltigen Strukturwandel überlebt hat. Wesentlich unbeschadeter hat der Ginster den Wandel überlebt. Dass dies so ist, kann man als Naturbeispiel umschreiben. Ganz allein die Bescheidenheit dieses binsenartigen Sträuchergewächses, mit den Wegrändern und mit den unlukrativen Hängen als Standort zufrieden zu sein, hat zu dessen Überleben beigetragen.Die Faszination „Ginster“ bleibt mir also erhalten. Oftmals halte ich im Arbeitsrhythmus an und staune immer wieder über das Wunder Natur.

Während meine Augen voller Freude die Schönheit aufnehmen, bin ich doch oftmals voller Wehmut. Meine Gedanken kehren zurück in die Mädchenklasse unserer Volksschule, zu Frau Kroll. Nicht einmal zwei Jahre war sie meine Lehrerin, als sie plötzlich verstarb. Wie gerne hätte ich die acht Jahre meiner Schulzeit an ihrem Unterricht teilgenommen.

Sicher hätte sie mir noch vieles beibringen können. Doch bin ich ihr dankbar für das, was sie in mir geweckt hat, Respekt vor der Natur und eine tiefe Verbundenheit mit der heimischen Landschaft, in der jedes Jahr der Ginster aufs Neue blüht. Immer wieder stelle ich fest: Man kann die Schönheit des Ginsters tatsächlich nicht genug betonen. Es bleibt dabei, „voll Gold das braune Ei-felland“.