„Zu der Apostel Zahl gesellt durch heilge Wahl“

Geschichte der Trierer Matthiasbruderschaften

Alois Mayer, Daun

„Im Monat Mai erlebt unsere alte Abtei hunderte von Wallfahrern. Das ist der Monat, in dem wohl die meisten Pilgergruppen aus vielen Teilen Westdeutschlands zum Grab des Apostels Matthias pilgern und seine Fürsprache anru-fen“, meint der Geistliche im Hof der altehrwürdigen Trierer Abtei St. Matthias und begibt sich hin zu einem festlichen Pilgerhochamt. Große Wallfahrtsbewegungen entstanden im Mittelalter, hin zum Schrein der Heiligen Drei Könige in Köln, zur Muttergottes nach Kevelaer oder zu den Reliquien in Aachen und Kornelimünster. Gleichberechtigt daneben und mit zunehmender Beliebtheit die „Pilgerfahrten“ zum Grabe des hl. Apostels Matthias in Trier.

Sie entstanden bald nach Wiederauffindung der Gebeine des heiligen Apostels im Jahre 1127, die der Legende nach durch die Kaiserin Helena (um 320) nach Trier gebracht worden waren. Als günstig erwies sich außerdem, dass Trier am großen Wallfahrtsweg nach Santiago de Compostella liegt. Aus allen Richtungen strömten die Pilger nach Trier, aus Süddeutschland und dem Elsass, Luxemburg und Belgien, vom Niederrhein und Mittelrhein, Eifel und Mosel.Das Pilgerbuch für die Jahre von 1150 bis 1230 zählt 17.000 Namen, eine enorm große Zahl angesichts der einstigen schlechten Verkehrswege und mangelhaften Transportmittel.

Aus ursprünglichen „Gebets-verbrüderungen“ entwickelten sich immer mehr „Mat-thiasbruderschaften“, unterstützt und gefördert von den Benediktinern des Trierer Klosters. Auch innerhalb des Vulkaneifelkreises fand der Apostel Matthias hohe Verehrung. Kapellen und Pfarreien hatten ihn zum Kirchenpatron erkoren (u.a. Mehren, Nei-chen, Köttelbach, Üdersdorf); Bruderschaften bildeten sich (Mehren, Nohn) und Pilgerfahrten führten zu seinem Grab nach Trier (Mehren, Lis-sendorf, Kelberg u.a.) Ein Einbruch in diese Wallfahrten brachten die Reformation und die sich anschließenden Glaubenskriege. In der Barockzeit vollzog sich ein Strukturwandel. Die großen Fernwallfahrten (Santiago, Rom, Jerusalem) waren nicht mehr so beliebt. Wallfahrtsorte im engeren Heimatraum erlebten eine Blüte. Neue Gnadenorte, an den meisten wurden wundertätige Bilder verehrt, zogen nunmehr Pilgergruppen an (Keve-laer, St. Jost, Klausen, Barweiler, Koblenz u.a.).

Auch St. Matthias in Trier spürte Rückgänge in der Wallfahrtsbewegung. Besonders zur Zeit der Aufklärung, die Wallfahrten und Reliquienverehrung als Aberglauben abtat. Der Staat war damals aus mehreren Gründen gegen das Wallfahren. Für ihn bedeutete es Arbeitsausfall und Müßiggang, die Pilger schleppten das Geld ins Ausland, und Menschenansammlungen waren sowieso verdächtig. Gruppen, die über Land zogen, waren schwer zu kontrollieren. Bei ihnen wusste man nie, was sie im Schilde führten. Auch ein Teil des Klerus lehnte Wallfahrten ab.

Sie würden gegen das Pfarrprinzip verstoßen und die Gemeinde aufsplitten. Man ging so weit, alle Gottesdienste, die nicht in der Pfarrkirche stattfanden, als „Nebenandachten und unerwünscht“ zu bezeichnen (Wallfahrtsverbot Erzstift Köln von 1765). Dazu berief man sich auf Auswüchse und Missstände. Die Pilger hätten nicht das rechte Maß beim Essen und Trinken. Die Übernachtungen in Massenquartieren, oft in Kirchen, da keine anderen Räume vorhanden waren, machten eine Trennung der Geschlechter unmöglich. Es habe Unzuträglichkeiten und Skandale gegeben.

Besonders der Kölner Erzbischof Maximilian Franz (1784-1801) war ein erbitterter Gegner von mehrtägigen Wallfahrten, die er mit der Begründung verbot, „Wallfahrten hätten nicht den mindesten Nutzen für das Seelen-heil“. Als der Pfarrer von Adenau für die dortige Seba-stianus- und Matthiasbruderschaft den Erzbischof um Erlaubnis bat, nach Trier pilgern zu dürfen, wurde er nicht nur abgewiesen, sondern der Erzbischof zog auch das Vermögen der Bruderschaft ein. Trotz dieser Härte der Obrigkeit gingen die Wallfahrten weiter. Die Pilger ließen ihre Priester zuhause und zogen alleine los. Gegenüber diesen „privaten“ Wallfahrten war der Erzbischof machtlos.

Ähnliche Verordnungen wie das Kurfürstentum Köln veröffentlichte auch das Kurfürstentum Trier. Aus der Angst heraus, dass „unter dem Schein der Pilgrimschaft fremdes, liederliches Gesin-del“ einwandert, bettelt oder sich im Land aufhält, verordnete der Kurfürst am 4.7.1752, dass künftig keinem Fremden oder Ausländer ein kurtrieri-scher Pass ausgestellt werden soll. Einen solchen erhielten nur Pilger, die nachweisen könnten, dass sie Bürger, Untertanen oder Beisassen des Erzstiftes Trier seien. Alle anderen Pilger, die Reisepässe für eine Pilgerfahrt nach Rom, St. Jakob (de Compos-tella) und Trier (Dom oder St. Matthias) hätten, dürften nur auf den dahin führenden Hauptstraßen reisen. Würden sie auf Nebenwegen angetroffen, sollen sie „mit Stockschlägen abgewiesen werden“ (Scotti, 539).

Am 29.11.1784 bestimmte der letzte Trierer Erzbischof Clemens Wenzeslaus von Ehren-breitstein aus, dass gar keine Prozessionen mehr länger als eine Stunde dauern dürfen, und verbot bei „willkürlicher Strafe“, den Teilnehmern an den von den Pfarrgeistlichen geführt werdenden Prozessionen während derselben in oder außer dem Haus Speise und Trank zu reichen“ (Scotti, 803). 1794 besetzten die Franzosen Trier, die Eifel und die Rheinlande. 1798 verboten sie ausnahmslos alle Wallfahrten. Aber die Gläubigen ließen sich - trotz harter Sanktionen - nicht abhalten. Sie leisteten passiven Widerstand und zogen ohne priesterliche Begleitung, ohne Prozessionskreuze und Fahnen in möglichst unauffälligen Gruppen hin zu ihren Gnadenorten.

1802 löste die französische Verwaltung die Matthias-Abtei auf und vertrieb die Mönche. Zum Glück gelang es dem Trierer Bischof Karl Manney jedoch, aus den Gemeinden St. Medardus und St. Germanus die neue Pfarrei St. Matthias zu bilden. So konnte die alte Basilikakirche vor dem Verkauf und dem Abriss bewahrt werden. Die alte Klosterherberge aus dem 17. Jahrhundert wurde - übrigens bis heute - das neue Pfarrhaus von St. Matthias, wo der Pfarrer nun auch zugleich Pilgerseelsorger war und noch ist.

Die Franzosen spürten, dass sie mit ihrer Religionsfeindlichkeit gegen den hartnäckigen Glauben der Bevölkerung wenig ausrichten konnten. So ergab eine Rundfrage von 1811 unter den Präfekten der verschiedenen Departements, dass St. Matthias in Trier eine Kirche war, die mit Vorliebe „unauffällig“ besucht wurde.

Gedenkstein Matthias-Bruderschaft Afelskreuz

Daher lenkten die Behörden ein, und der Präfekt Ladou-cette gestattete mit Erlass vom 25. Juli 1811 das Wallfahrten innerhalb der Bistumsgrenzen. Am 6. Januar 1814 zogen die Preußen in Trier ein. Wenige Jahre dauerte es noch, dann kamen wieder zahlreiche Pilger vom Niederrhein, aus dem Jülicher Raum, aus der Umgebung von Bonn, Neuwied, Koblenz sowie aus der Eifel nach Trier zum Grab des Apostels, auch wenn in der Abtei keine Mönche mehr waren.

Heute unbegreiflich, dass der „neue“ Kölner Erzbischof Ferdinand August von Spiegel (1825-1835) sich immer noch vehement gegen Wallfahrten wehrte, die länger als einen Tag dauerten. Für ihn war das Übernachten von ganzen Gruppen an fremden Orten mit sittlichen Gefahren verbunden. Diese misstrauische Einstellung wurde von der preußischen Regierung begrüßt und unterstützt, die völlig vom protestantischen Geist geprägt war und daher für diese Art Frömmigkeit kein Verständnis hatte. In Schreiben und Verordnungen versuchte sie, die „übernächtigten“ Wallfahrten abzuschaffen, doch dies gelang immer seltener, da die Pfarrer Verständnis für die frommen Absichten der Wallfahrer aufbrachten und ihnen Unterstützung gewährten. 1922 kehrten die Mönche wieder nach St. Matthias zurück und schlossen sich 1923 der Beuroner Kongregation an. Dies ist vor allem das Verdienst des Bischofs Felix Korum (1881-1921).

Er bemühte sich sehr um die Heimkehr der Benediktiner. Am 18. April 1922 errichtete Papst Pius IX. von neuem die Abtei St. Eucharius/St. Matthias und am 22. Oktober des gleichen Jahres hielten Mönche aus den Abteien Seckau und Maria Laach ihren Einzug in die Kirche, die mittlerweile den Titel „Päpstliche Basilika“ erhalten hatte. 1927 konnten sie die 800-Jahr-Fei-er der Auffindung der Gebeine des hl. Apostels Matthias unter großer Beteiligung der Bruderschaften und der Trierer Bevölkerung begehen. 1928 kehrte auch die KopfReliquie des hl. Matthias aus dem Trierer Dom in die Abtei und Pfarrkirche zurück. 1930 wurden die Statuten der Erzbruderschaft überarbeitet und in ihrer neuen Fassung am 10. April 1931 von Papst Pius IX. durch ein apostolisches Breve bestätigt und der Abt von St. Matthias zu ihrem Leiter bestimmt.Demnach ist die „St. Matthias Bruderschaft „eine Gemeinschaft von Laien und Priestern, die sich den hl. Matthias zum Vorbild und Schutzpatron gewählt haben.“

Sie wollen ihr Leben nach dem Beispiel der Apostel gestalten und für das Reich Gottes wirken. „Dies geschieht unter anderem im Bekenntnis zu Christus, dem Herrn der Apostel, in Werken der Barmherzigkeit und Liebe an allen Menschen und im Friedenstiften zur Verherrlichung Gottes und zum Heil der Menschen.“ Nur wenige Jahre später kam eine erneute Prüfung über die Mönche und Bruderschaften. Der Zweite Weltkrieg brach aus, und am 6. Mai 1941 wurde die Abtei bis zum Ende des sogenannten Dritten Reiches aufgehoben. Nach dem Kriege kam mit dem Wiederaufbau in Deutschland auch die Wallfahrt wieder in Gang und heute sind es viele hundert Pilger, die in den Tagen zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten sowie im Herbst betend und singend durch die Eifel ziehen, um in Trier am Grab dieses heiligen Apostels dessen Fürsprache zu erbitten.

Bei diesen jährlichen Wallfahrten zum Heiligtum des Apostels Matthias in Trier erleben sich Teilnehmer als „Menschen unterwegs zu Gott, als pilgerndes Gottesvolk des Neuen Bundes, als Gemeinschaft derer, die auf den Namen des Herrn Jesus Christus getauft sind.“ Jede Wallfahrt steht unter einer besonderen Jahreslosung. Unterwegs und in Trier soll diese Losung betrachtet, diskutiert und im privaten und gemeinsamen Gebet der Pilger immer tiefer erfasst werden. Wallfahrer und Pilger sind oft tagelang unterwegs, bei Wind und Wetter, unter oft großen körperlichen Anstrengungen und Strapazen.

Und die Antwort auf die Sinnfrage nach dem „Warum dies alles?“ lautet gemäß den Statuten der Matthias-Bruderschaft: „Die Pilger erfahren dabei mit Leib und Seele die Mühe des Weges auf Gott, aber auch die Freude, die das beharrliche Weitergehen und schließlich das Erreichen des Zieles in der Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern im Glauben schenken. Im sinnvollen Wechsel von Anstrengung und Entspannung, von Betrachtung und gemeinsamem Gebet, von Gesang und Schweigen, von Ernst und Freude liegen die besondere Fruchtbarkeit und der eigene Reiz solcher „Wander-exerzitien“.