Interview mit Brudermeister Willi Körsten

Fußwallfahrt der Pfarrei St. Wendelinus Neroth

Christine Schmidt, Neroth

Seit über 280 Jahren pilgern Gläubige aus der Ei-fel, dem Köln-Bonner Raum sowie aus dem Umland von Euskirchen zum Gnadenbild „Unserer lieben Frau mit der Lilie - Königin des Friedens“ in die über 1000 Jahre alte kleine Eifelgemeinde Barweiler. Von der Wallfahrtseröffnung im September bis weit in den Oktober hinein nehmen zehntausend Menschen an der Marienwallfahrt teil. Die Wallfahrten gehen auf eine wunderbare Begebenheit aus dem Jahre 1726 zurück. Damals schmückten junge Mädchen die Altäre der Kirche in Barweiler mit frischen Blumen. Der Mutter Gottes gaben sie eine Lilie in die rechte Hand, die am Fest Maria Geburt - obwohl sie schon lange verwelkt war - plötzlich zu blühen begann.

Schon bald nach Bekanntwerden dieses Wunders setzten die Wallfahrten zum Gnadenbild ein. Die Prozessionen werden von einem Brudermeister organisiert und geleitet. So auch die Fußwallfahrt der Nerother. Wir haben mit einem Brudermeister gesprochen, der bereits 57-mal an der Prozession teilgenommen hat und seit 47 Jahren die verantwortungsvolle Aufgabe des Brudermeisters ausübt: Willi Körsten, Jahrgang 1936, aus Neroth.

Seit wann pilgern die Nerother nach Barweiler und mit welchem Hintergrund?

Der genaue Zeitraum der Marienwallfahrt, die als Fußwallfahrt immer am Wochenende nach Maria Geburt - 8. September - durchgeführt wird, konnte bisher trotz vieler Bemühungen nicht ermittelt werden. Sicher ist jedoch, dass die Nerother seit über 100 Jahren nach Barweiler pilgern, um Hilfe in den unterschiedlichsten Anliegen zu erbitten.

Wie wird man zum Brudermeister?

Zum Brudermeister wird ma durch Übertragung. Das bedeutet, dass es keiner besonderen Ausbildung bedarf. De langjährige Brudermeister sucht sich seinen Nachfolger im Laufe der Jahre aus. Ein langjähriger, treuer und zuverlässiger Wegbegleiter, der Jahr für Jahr selbst an der Wallfahrt teilnimmt und sich damit identifizieren kann, de sich über die große Verantwortung dieser Aufgabe bewusst ist, ist der geeignete Nachfolger für einen Brudermeister. Mir wurde das Amt 1960 von Paul Barzen über-

tragen. Vor Paul Barzen waren Kläs Christian und Klaus Peter Brudermeister. Ich habe mich damals der Herausforderung gestellt und bis heute die Prozession im Sinne meiner Vorgänger organisiert und durchgeführt. Die Arbeit ist ehrenamtlich und wird in der Freizeit ausgeübt.

Welche Aufgaben nimmt der Brudermeister wahr?

Hauptaufgaben sind die Planung und Organisation der Wallfahrt. Dazu gehört die rechtzeitige Vorbereitung. Nach Eingang der Einladung durch den Barweiler Pastor wird durch Plakate auf die jährliche Wallfahrt hingewiesen, Anmeldungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer entgegengenommen, der Bus bestellt. Wir pilgern samstags von Neroth nach Barweiler und sonntags von Barweiler nach Neroth.

Das Mittagessen muss bestellt werden, d.h. die Gruppe muss in der Gastwirtschaft angemeldet werden, damit es mit dem Essen klappt. Auf dem Hinweg samstags gibt es einen Eintopf in Bodenbach. Auf dem Rückweg sonntags essen wir in Dreis nach Speisekarte, allerdings auf Vorbestellung. Immer wieder kommt es vor, dass Wallfahrtsgruppen unangemeldet in Gaststuben erscheinen und sich sodann darüber wundern, dass es weder Platz noch Essen gibt. Kurz vor der Wallfahrt werden alle Teilnehmer - die zu Fuß oder mit dem Auto Barweiler besuchen - in ihrer Anzahl nach Barweiler gemeldet.

Prozession der Fußwallfahrt der Pfarrei St. Wendelinus von Neroth nach Barweiler, 1990

 

Was liegt noch im Aufgabenbereich des Brudermeisters?

Er sorgt für einen guten Ablauf bei der Prozession, betet die Gebetssätze an und stimmt die Marienlieder an. Der Brudermeister sammelt Geldspenden. Jeder Pilger gibt was und so viel er möchte. Von dem Geld wird z.B. eine Kerze für die Kirche gekauft. Es werden Messen bestellt für Gefallene und Vermisste, für die Verstorbenen der Pfarrei, für alle, deren niemand gedenkt. Die Prozession wird von einem Traktor mit Anhänger begleitet. Hier können die Teilnehmer ihr Gepäck lagern und Fußkranke schon einmal ein Stück des Weges gefahren werden. Der Anhänger wurde von der Gemeinde gespendet. Die Plane wurde aus von mir gesammelten Spendengeldern finanziert.

Woran erkennt man den Brudermeister?

Den Brudermeister erkennt man am Bruderstab. Das obere Ende des Holzstabes schließt mit dem Monogramm Jesu „JHS“ oder mit dem Christusmonogramm „XP“. Der Bruderstab wird sonntags, also für den Rückweg von Barweiler nach Neroth mit Blumen geschmückt. Die Prozession wird angeführt vom Kreuz- und dahinter vom Fahnenträger. Auf der Fahne ist eine Mutter Gottes abgebildet. Sie trägt den Schriftzug „St. Wendelinus der Pfarrkirche Neroth“. Dahinter, im ersten Drittel befindet sich der Brudermeister, der die Prozession leitet, im letzten Drittel eine weitere Person mit Bruderstab.

Im Jahr 2000 konnten Sie auf 50 Jahre Fußwallfahrt nach Barweiler, davon 40 Jahre als Brudermeister, zurückblicken. Findet man die Zeit, solche Anlässe ein wenig zu feiern?

Es war mir eine besondere Freude, diese Jubiläen im Kreis der Pilger und Wegbegleiter zu feiern. Viele sind seit über 40, 30, 20 und 10 Jahren dabei. Die Prozessionsgemeinschaft ist wie eine große Familie. Auf dem Hinweg nach Barweiler habe ich bei der Rast in Brück zu Essen und Trinken eingeladen. Es gab Eintopf und Getränke wie Limo und Sprudel - ausnahmsweise auch einen Schnaps oder ein Bier.

Was hat sich in den fast 60 Jahren, in denen Sie nach Barweiler pilgern, verändert?

Lediglich der Ablauf hat sich verändert. Früher gingen wir samstags hin, übernachteten in Barweiler und gingen am Sonntag wieder zurück. Geschlafen wurde in Privatunterkünften bei Selbstverpflegung. Es wurde einfach ein Zimmer ausgeräumt und der Boden mit einer Strohunterlage gepolstert. Hier wurde mit mehreren Personen übernachtet. Die jährliche Wallfahrt war für viele wie ein Kurzurlaub.

Heute fahren wir mit dem Bus oder mit dem Privatauto nach Hause und am darauffolgenden Tag mit dem Bus wieder nach Barweiler, um nach Neroth zu pilgern. Kurz bevor wir ins Dorf einziehen, läuten die Glocken. Ein paar Einwohner kommen uns entgegen und „holen uns ab“. Früher kam uns das halbe Dorf entgegen und zog bei Glockengeläut gemeinsam mit uns in unsere Dorfkirche ein.

Wie früher ist auch heute die Gruppe altersmäßig gemischt. Bei der aus 20 bis 30 Pilgern bestehenden Prozession gehen auch viele junge Leute die ca. 28 Kilometer lange Strecke mit, hin und zurück. Gibt es schon jemanden, den Sie sich als Nachfolger vorstellen könnten bzw. dem sie das Amt übertragen könnten?

Schon frühzeitig habe ich mir hierüber Gedanken gemacht. Es ist auch schon der ein oder andere wieder abgesprungen. Diese Aufgabe muss man sehr ernst nehmen. Es kann nicht jemand heute sagen, dass er die Aufgabe übernehmen will, und ein Jahr später erklären, dass er es doch nicht machen möchte.

Mein Sohn Matthias, der bereits drei Jahre als zweiter Mann an der Prozession teilnimmt, steht als mein Nachfolger zur Verfügung. Darüber hinaus ein weiterer junger Mann aus Neroth. Die beiden bringen die Voraussetzungen für einen guten Brudermeister mit. Sie sind zuverlässig, ver-antwortungsbewusst und schon viele Jahre mit Interesse bei der Sache. Kirche und Gesellschaft leben vom ehrenamtlichen Engagement.

Freiwillig, unentgeltlich und eigenverantwortlich nimmt Willi Körsten diese wichtige Aufgabe wahr und leistet damit einen unverzichtbaren Beitrag zur Gestaltung des Gemeinwesens in Neroth. Er setzt seine Erfahrungen und seine Kompetenz ein und verwirklicht Mitmenschlichkeit in unmittelbarer Begegnung. Das ist praktizierte Nächstenliebe.

Das Foto zeigt stehend in der Mitte (6.v.r.) Willi Körsten bei der Rast in Brück anlässlich der Feier 50 Jahre Barweiler / 40 Jahre Brudermeister, 2000

 

Wir bedanken uns ganz herzlich für das angenehme und informative Gespräch und wünschen Willi Körsten alles Gute, insbesondere Gesundheit, damit er noch einige Jahre an der Fußwallfahrt nach Barweiler teilnehmen kann. Nach seinem Vorbild wird der Nachfolger, dem er das Amt des Brudermeisters einmal übertragen wird, diese verantwortungsvolle Aufgabe in seinem Sinne fortführen.

Das Gespräch führten Helmut Klassmann und Christine Schmidt.