Hilf, Mutter der Barmherzigkeit

Wallfahrten, Prozessionen und Bittgänge in Wallenborn

Matthis Thömmes, Philippsheim

Bittgänge zum Heiligenhäuschen und zum Bildstock der „Vierzehn Nothelfer“

Seit jeher war das Leben der Eifelbevölkerung eng mit dem religiösen Glauben verbunden. Als Bauern und Waldarbeiter ständig mit der Natur verbunden und von ihr in hohem Maße abhängig, waren sie schon immer strenggläubige Christen und vom Katholizismus geprägt.

Vor allem das liturgische Kirchenjahr mit seinen Festen und Festzeiten bestimmte ihren Jahres- und Lebenslauf. Darin eingebunden waren auch Wallfahrten, Prozessionen und Bittgänge. In Wallenborn gab es vor allem drei religiöse Stätten, zu denen die Bevölkerung eine enge Beziehung hatte und die in ihrem religiösen Leben eine bedeutende Rolle spielten: das „Hei-ligenhäuschen“, der Bildstock der „Vierzehn Nothelfer“ und die „Kreuzeiche“. Am Standort des heutigen Heiligenhäuschens am Südausgang des Ortes gegenüber der „Brubbel“ stand ursprünglich ein gemeißelter Sandstein mit der Inschrift: „Gewidmet von der Familie Kuhl 1885“.

Eine Familie Kuhl wohnte damals im Hause Hauer. In jenen Jahren wütete in Wallenborn eine Scharlach- und Diphterie-Epide-mie, von der auch die Familie Kuhl betroffen war. In ihrer Not pilgerten die noch wenigen gesunden Wallenborner mehrere Male hintereinander nach Klausen. Als die Epidemie nachließ, errichtete die Familie Kuhl aus Dankbarkeit den heute noch vorhandenen Gedenkstein. Eine in den Personalstandsregistern beurkundete, 1845 geborene Elisabeth Kuhl war mit dem 1848 in Gondorf geborenen Gerhard Hauer verheiratet. Dieser errichtete 1902 an Stelle des Gedenksteines das Heiligenhäuschen zu Ehren der Muttergottes. Es hat seit Bestehen sein äußeres Erscheinungsbild als einfacher, schlicht verputzter Bau mit kleinen Ausmaßen und ziegelgedecktem Satteldach nicht verändert.

Ein rundbo-giges sandsteinumrahmtes Eingangsportal mit einfachem Holzgitter führt direkt zu der an der gegenüberliegenden Wand sitzenden Pietá mit dem Leichnam Jesu auf dem Schoß. Etwa 100 Meter oberhalb des Heiligenhäuschens steht rechts am Weg nach Weidenbach der Bildstock der „Vierzehn Nothelfer“. Eine leider nicht mehr ganz leserliche Inschrift auf dem unteren Teil des Stockes besagt, dass ein Johann Thelen von Wallenborn diesen Bildstock hat machen lassen. Über der Inschrift befindet sich eine Nische mit einem Relief im Inneren, auf dem 14 Köpfe mit außergewöhnlich großen Ohren dargestellt sind. Ein kleines Schild mit der Aufschrift: DIE VIERZEHN N“ gibt die Deutung: Wo vierzehn Ohren sich auftun, kann die Hilfe nicht ausbleiben. Über der Nische steht das Entstehungsjahr 1802. Der Stifter nannte den Bildstock „Fußfällchen“. Über den Anlass der Errichtung berichtet Matthias Zen-der: Im Winter 1802 befand sich der Schafhirte Johannes Thelen mit seiner Herde draußen auf den Fluren, als zwei große Wölfe erschienen und ihn in große Gefahr brachten.

Heiligenhäuschen

Schmerzhafte Muttergottes

In seiner Not flehte er zu den „Vierzehn Nothel-fern“ und gelobte, ein „Fußfällchen“ zu errichten, wenn er heil aus der Gefahr errettet würde. Seine Bitte wurde erhört, worauf er den Bildstock errichten ließ. Zu allen Notzeiten, Unglücksund Sterbefällen, aber auch zu Bitt- und Dankanlässen haben sich bis heute ungezählte Prozessionen, aber auch Einzelpilger aus Wallenborn sowohl zum Heiligenhäuschen als auch – meist in Verbindung – zum Bildstock der „Vierzehn Nothelfer“ begeben, um Hilfe und Trost in Not und Leid zu finden, aber auch Bitte und Dank vorzutragen.

Ein ergreifendes Beispiel hat Lehrer Alois Keidel zu Beginn des II. Weltkrieges in die Schulchronik eingetragen. Als 1939 der Krieg ausbrach und im Laufe des Kriegsgeschehens immer mehr Gefallenenmeldungen auch in Wallenborn eintrafen, pilgerte man abends nach Einbruch der Dunkelheit zum Heiligenhäuschen und zum Bildstock der „Vierzehn Not-helfer“, um Hilfe und Trost zu suchen. Keidel schrieb damals wörtlich:

„Schon von weitem hörte man
das Gebet der Frauen und
Mütter: Hilf Maria,
es ist Zeit, hilf Mutter der
Barmherzigkeit!“

Im Mai fanden in den Abendstunden regelmäßig Prozessionen zum Heiligenhäuschen mit anschließender Maiandacht statt, um die Muttergottes zu ehren. Für uns Kinder war es eine Freude, täglich auf den blühenden Wiesen frische Blumen zu pflücken und vor die Statue zu legen oder in Vasen aufzustellen.

Prozession zur Kreuzeiche

Eine besondere Bedeutung hat für die Wallenborner der 1. Mai. An diesem Tag findet seit jeher die Prozession um die Kreuzeiche (Kreizeesch) statt. Es handelt sich dabei um eine etwa 300 Jahre alte Eiche, die etwa eineinhalb Kilometer nordwestlich des Ortes unterhalb Prümscheid in einer Weggabelung steht. Im unteren Stammbereich, der einen Umfang von drei Metern aufweist, befindet sich eine Aushöhlung, in der ein Kreuz aufgestellt ist. Bereits 1939 wurde die Kreuzeiche zum Naturdenkmal erklärt und 1978 von Baumchirurgen vor dem Absterben bewahrt. Nach der Sage soll vor langer Zeit jemand während eines Gewitters unter dieser Eiche Schutz gesucht haben. Plötzlich habe ein Blitz den Baum getroffen, wodurch diese Höhle entstanden sei. Später wurde das Kreuz hineingestellt und eine jährliche Prozession ins Leben gerufen, in der man um Schutz vor Gewittern und Unwettern betet. Nach der Überlieferung soll einmal zwischen den beiden Weltkriegen die Prozession ausgefallen sein. Im gleichen Jahr hätte ein schweres Unwetter großen Schaden angerichtet.

Prozession um „Die Hie“

Östlich von Wallenborn befindet sich eine Anhöhe, die von den Wallenbornern „Die Hie“ genannt wird. Um diese Anhöhe pilgert man ebenfalls jährlich an „Christi Himmel-fahrt“. Diese Prozession geht von der Kirche aus den Weg Richtung Osten durch das Waldgebiet „Aspelshältjen“ rund um die Höhe bis zu einem dort stehenden Kreuz und den Berg hinunter wieder zurück zur Kirche. Dieser Brauch geht auf das Jahr 1705 zurück, als das Dorf durch eine verheerende Feuersbrunst fast ganz zerstört wurde.

Bildstock der 24 Nothelfer

Wallfahrten nach Klausen und Barweiler

Neben diesen örtlichen Umgängen gibt es jährlich zwei große Wallfahrten: eine nach Klausen, die andere nach Barweiler. Der Gang nach Klausen findet seit 1869 während der Pfingsttage statt. Nach der Überlieferung war die Pest der Anlass, die damals in Wallenborn gewütet haben soll und an der seinerzeit fast jeden Tag ein Wallenborner starb. Ob es allerdings die Pest war, ist anzuzweifeln, da es in diesen Jahren in der Eifel keine Pest mehr gab. Wahrscheinlich handelte es sich um eine andere schwere Epidemie. In ihrer Not pilgerten die Wallenborner damals in einer Woche dreimal nach dem 40 km entfernten Klausen. Beim dritten Mal soll ihnen der Klausener Pastor gesagt haben, dass sie von nun ab nicht mehr nach Klausen zu kommen bräuchten, da niemand mehr an der Krankheit sterben würde.

Und so soll es auch gewesen sein. Der Gang nach dem bekannten Wallfahrtsort aber wurde für Wallenborn zur Tradition. Die Prozession nach Klausen beginnt am Pfingstsamstag morgens in aller Frühe, geht am Heiligenhäuschen vorbei den Weidenbacher Weg über Weidenbach, Deudesfeld, Bettenfeld, Großlittgen, Minderlittgen und Bergweiler und kommt gegen Abend in Klausen an. Oft wird sie sogar vom Musikverein auf dem langen und beschwerlichen Weg begleitet, der das Gebet der Pilger mit Marienliedern ergänzt. Zwischendurch wird mehrere Male Rast gemacht. Nach achtstündiger Wanderung kam man abends müde, erschöpft und nicht selten mit schmerzenden Blasen an den Füßen in Klausen an, empfing in der Kirche den Segen und suchte sich dann in Klausen und den benachbarten Orten Polbach und Krames ein Quartier, wo man übernachtete.

Am anderen Morgen besuchte man gemeinsam die hl. Messe und machte sich dann wieder zu Fuß auf den Rückweg. Groß war die Freude vor allem bei den Kindern, wenn die „Klausener“ am Abend des Pfingstsonntags wieder heimkehrten, denn sie hatten für jedes an den Ständen etwas gekauft und mitgebracht. Nach einer Dankandacht in der heimatlichen Kirche wurden die Geschenke dann schon vor der Kirche verteilt und bald ertönte im ganzen Ort das Trillern, Pfeifen und die Kuckucksrufe der mitgebrachten Kinderspielzeuge. Heute kehrt man am gleichen Tag wieder mit dem Bus zurück.

Die Wallfahrt nach Barweiler, einem Ort in der Nähe von Adenau, findet jährlich am 8. September, dem Tag „Mariä Geburt“ statt. Wann die erste Wallfahrt nach hier unternommen wurde ist nicht bekannt. Gebetet wird zur Gottesmutter Maria für „Anliegen in großer Not“. Da Barweiler von Wallenborn 33 km entfernt ist, dauerte auch die Wallfahrt dorthin früher zwei Tage mit Übernachtung, wobei man oft aus Mangel an Betten auf Stroh liegen musste. Auch von Barweiler kehrt man heute wieder am selben Tag mit dem Bus zurück. Wichtige Personen waren bei allen Prozessionen und Umgängen die Brudermeister. Sie gingen in der Mitte, beteten vor, sorgten für Ordnung und dafür, dass die seit altersher festgelegte Reihenfolge der Rosenkränze und Gebete eingehalten wurde und gaben mit dem Kreuz die Gebetseinsätze für Frauen und Männer an.

In Wallenborn waren das viele Jahrzehnte Johann Zilgen, Adam Horten, Matthias Zimmer-Scholzen, Mattes Schottes-Hunz, Nikolaus Zimmer, Christian Zimmer und Mattias Großmann. Es waren im Dorf hochgeachtete Personen und vor allem wir Kinder hatten großen Respekt vor ihnen. In den letzten Jahren nahmen Johann Hermes, Clemens Meerfeld, Oswald Thömmes und Matthias Zimmer dieses Amt ein. Leider ist die Zahl der Teilnehmer sowohl bei den innerörtlichen Prozessionen als auch den großen Wallfahrten nach Klausen und Barweiler drastisch zurückgegangen. Während es vor Jahrzehnten in der Regel meist immer über 100 waren, sind es heute noch teilweise 8, 10 oder 15.

Quellen: Chronik von Wallenborn S. 76, 119, 120, 121, 125