Ein Krimi für Berlin

Jacques Berndorf und Ralf Kramp

Lieber Onkel Franz,

diesen Brief schreibe ich Dir, weil ich nicht so richtig weiter weiß. Vielleicht kannst Du mir helfen. Da war nämlich diese Sache mit der Melkmaschine, der Gitte und der Olga.

Die Olga, das ist unsere älteste Milchkuh. So eine schwarzweiße mit einem kleinen Fleck neben dem Maul, wie Marianne Koch. Und die Git-te, das muss ich ja nicht erst sagen, das ist meine Frau. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich will Dich da innichts reinziehen, wo Du Dir doch nie was hast zu Schulden kommen lassen, aber ich brauchte halt so dringend Deinen Rat.

Schließlich warst Du immer wie ein Vater zu mir. Schade, dass Du jetzt in Berlin bist. Hier in der Eifel ist die ganze Zeit ein richtiges Scheißwetter, und da bin ich jetzt natürlich viel daheim. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Gitte das so recht ist, aber, was soll ich denn machen? Jedenfalls haben wir uns ganz schön oft in der Wolle gehabt in letzter Zeit.

Ich schlafe jetzt in der Kammer über der Toreinfahrt. Gemütlich ist das nicht. Geht aber nun mal nicht anders. Und dann kam wie gesagt, diese Sache mit der Melkmaschine. Also eigentlich geht es darum, dass wir kein Isolierband mehr im Haus hatten, und die Geschäfte hatten auch schon zu. Die Gitte und ich, wir hatten einen Riesenkrach, weil ich ihr das falsche Shampoo aus dem Ort mitgebracht hatte. Gegen Spliss sollte ich kaufen, aber es war nur noch gegen Schuppen da. Und Schuppen hat sie doch eigentlich auch.

Als sie so mit mir rumgebrüllt hat, kam der Hans vorbei, um Milch abzuholen. Und die Gitte brüllte immer noch im Stall herum, wo sie gemolken hat. Dem Hans hab ich dann in der Küche einen Aufgesetzten ausgeschüttet, und der guckt mich an und sagt: „Der würde ich den Hals rumdre-hen.“ Und dann bin ich mit seiner Milchkanne in den Stall, weil er sich nicht da reintraute, und als ich in den Stall komme, da knistert es plötzlich an der Melkmaschine, und es riecht verschmort, und die Olga guckt mit einem Mal so komisch und kippt um. Und die Gitte, die hat auch ganz weit die Augen aufgerissen, und dann ist sie auch vom Schemel gefallen. Da war sie endlich still. Und natürlich mausetot.

Ich habe dem Hans dann schnell die Kanne voll gemacht, und dann ist er gefahren. Ich habe ihm nichts gesagt, sonst hätte er am Ende noch gedacht, ich hätte die Gitte auf dem Gewissen. Und jetzt stehe ich da mit der toten Kuh, und mit der toten Gitte natürlich auch. Die habe ich erst mal in die Tiefkühltruhe gelegt. Seit Tagen esse ich aufgetauten Kuchen und die acht Plastikdosen mit Gemüsesuppe, die von meinem Vierzigsten im vorigen Jahr übrig waren. Kannst Du mir vielleicht helfen?

Viele Grüße aus der Eifel, Dein Joachim

Mein lieber Neffe!

Ich habe mich so furchtbar über Deine lieben Zeilen gefreut, dass ich beinahe geweint hätte, aber hier in Berlin hat man ja meistens zu nix Zeit. Diese Stadt ist einfach wahnsinnig, und man braucht auch nicht für jedes Aspirin zwanzig Kilometer zu fahren, oder einen ganzen Tag auf den nächsten Bus zu warten. Ja, ich weiß: Wenn man die älteste Milchkuh verliert, ist man ganz unten. Sich davon zu erholen, ist sehr, sehr schwer.

Und als meine geliebte Frau Bärbel damals zu ihrem HERRN heimging, weil sie gedacht hat, die Leiter in der Scheune steht an ihrem gewohnten Platz, da habe ich auch sehr, sehr gelitten. Später stand die Leiter dann ja auch wieder da. Jedenfalls bin ich froh, dass sich alles so gut hat abwickeln lassen mit dem Erbe und dem Verkauf des Hofs und so. Und wie wunderbar, dass ich tatsächlich die Stelle beim Landwirtschaftsminister gekriegt habe. Ich bin an jedem Tag, an dem ich die Post von Abteilung zu Abteilung anliefere, richtig zufrieden und rundum glücklich.

Das mit der Gefriertruhe, Du weißt schon, ist ja durchaus ganz in Ordnung, jedenfalls fürs Erste. Schlecht ist nur, dass die Dinger kaputtgehen, wenn zuviel Flüssigkeit reinkommt: Dann fangen sie an zu stottern, und es haut die Sicherungen raus.

Tja, da kann ich wenig helfen, denn die Truhe steht ja nicht in Berlin, oder? Aber du warst schon immer ein heller Kopf. Mach was draus. Es grüßt Dich Dein Dich liebender Onkel Franz

Lieber Onkel Franz,

Kühltruhe ... stottern ... Sicherungen raus ... hätte ich auch von selbst drauf kommen können.
Bin ich aber leider nicht. Im Moment bin ich ja auch dauernd auf dem Feld. Und spät abends sehe ich dann die Bescherung, als ich nach Hausen komme. Jetzt ist endgültig alles aufgetaut. Auch die Backofenfritten und der Wirsing ... und die Gitte
auch wieder.

Zuerst habeich dann allen mal erzählt, sie wäre verreist. Nach Berlin, zu Dir. Und dan habeich mich bei Nacht und Nebel
daran gemacht, den alten Misthaufen umzuschichten.
Schöner Mist.
Jetzt sieht alles aus wie immer. Gitte und ihr Koffer sind erst mal von der Bildfläche verschwunden. Du hilfst mir doch oder?
Immerhin ist sie ja unterwegs zu Dir.


Dein Joachim
P.S.: Was war das denn mit der Leiter Deiner Bärbel? Ichhabe mal an der Theke rundgefragt. Das wusste ja gar keiner. Nicht einmal der Hübi, der in Daun bei der Polizei ist. Der fand das zwar interessant, aber ich konnt ihm ja auch nix Genaues erzählen.

Mein lieber Neffe!

Also, ich glaube, Du hast sie nicht mehr alle. Du kannst doch nicht über Deine Tante Bärbel an der Theke labern,
wo Du doch nicht die geringste Ahnung hast, was damals passiert ist. Und eigentlich ist ja nichts passiert. Da lege ich
aber Wert drauf. Und Du redest drüber, wenn der Hübi von den Bullen dabei ist, das kannst Du doch nicht machen!

Und gerade jetzt habe ich das wichtigste Amt in dem Betrieb hier. Unser Staatssekretär will nämlich jeden Tag fünf Flachmänner von mir, weil seine Ehefrau in der Oberpfalz seit sechs Monaten mit dem Besitzer eines Ponnyhofs pennt.

Also das mit der Tante Bärbel war so, dass bei uns die Hühner immer in der Scheune waren und die Eier oben ins Heu gelegt haben. Und die Tante Bärbel ist ja jeden Morgen Punkt Sieben auf den Heuboden geklettert, um die Eier einzusammeln. Und dann ist sie im Heu runtergerutscht, bis sie auf die Leiter traf. Und da war keine Leiter an dem Morgen. Und die Beerdigung
war ja auch einsame Klasse.
Es grüßt Dich ganz herzlich
Dein Onkel Franz

P.S.: Das mit dem Misthaufen finde ich gut. Jetzt komm bloß nicht auf die Idee, den Betrieb aufzugeben und Manni Hermes von nebenan zu bitten, den ganzen Mist wegzufahren. Und ein paar Tage kann Gitte ja auch unterwegs sein zu mir.

Lieber Onkel Franz,

das mit dem Misthaufen war mir dann doch zu heikel. Also habe ich sie wieder rausgeholt.
Schön war das nicht. Jetzt ist sie ganz woanders, und ich versuche, zu vergessen, wo. Klappt schon ein bisschen, ich vergesse ja sowieso immer alles sehr schnell.

Vorgestern war Hübi bei mir. In Uniform. Mit einem Kollegen. Und dann kamen noch zwei von der Kripo. Zuerst war ich natürlich unglaublich erschrocken, weil ich dachte, die kommen wegen Gitte.

Aber die wollten wohl nur ein bisschen klönen. Und nach Dir und Tante Bärbel haben sie gefragt. Aber da Dir das unangenehm zu sein scheint, wenn ich darüber rede, habe sie beruhigt und erklärt, dass Du hinterher ... also, als die Tante Bärbel schon tot war ... dass Du da ganz ordentlich die Leiter wieder hingestellt hast. Da haben sie richtig zufrieden geguckt und sich zugenickt. Ich glaube, die waren auch froh, dass alles so harmlos war.

Dann hat Hübi aber doch noch nach Gitte gefragt, und ich habe ihm erklärt, dass sie mich erst vor zwanzig Minuten aus Deiner Wohnung in Berlin angerufen und mich gebeten hat, ihr noch das blauweiß karierte Kostüm zu schicken. Das war doch gut, oder? Jetzt wissen sie, dass Gitte wirklich bei Dir angekommen ist. Damit keiner Verdacht schöpft, habe ich das Kostüm eingepackt, bei Lisbeth auf der Post aufgegeben und tatsächlich an Dich abgeschickt. Ist es schon angekommen?

Das mit Deinem toten Staatssekretär tut mir übrigens leid. Ich habe in der Zeitung gelesen, dass er besoffen gegen den Baum gefahren ist. Hübi hat mir auch in die Hand versprochen, keinem weiterzuerzählen, dass der viele Schnaps von Dir kam.

Vielen Dank, dass Du mir so lieb mit Rat und Tat zur Seite stehst, Dein Joachim

Mein lieber Neffe!

Also, die Berliner haben echt eine Schramme im Hirn. Sagen die doch, ohne sich zu schämen, das mit Deiner Tante Bärbel wäre mindestens Totschlag, wenn nicht sogar glatter Mord. Und dann sagten sie auch noch, ich soll mir genau überlegen, was ich sage. Und ich habe gebrüllt, sie sollen gefälligst nicht einen ganz und gar sauberen Bürger aus der Eifel so elend beschmutzen! Jeder in der Eifel weiß, dass ich mein ganzes Leben lang ohne Fehl und Tadel gelebt habe, wie damals unser hochwürdigster Herr

Pfarrer betont hat, als wir Deine Tante Bärbel zu Grabe trugen. Und jetzt steht hier in der Zeitung, ein Bürobote des Landwirtschaftsministeriums, der den Staatssekretär mit Alkohol in den Verkehrstod getrieben habe, werde des Mordes an seiner Frau daheim in der Eifel verdächtigt und sei überdies in Erklärungsnotstand geraten, weil die Frau seines Neffen bei einem Berlinbesuch völlig von der Bildfläche verschwunden sei. Ein zurückgelassenes blauweißes Kostüm habe den Unhold verraten.

Ich bitte Dich, wir wissen doch alle, was wir von den Medien zu erwarten haben: Dreck, Dreck und nochmals Dreck. Ich werde die Zeitung verklagen. Mensch, bin ich sauer!

Dein Dich liebender Onkel Franz

P.S.: Ich habe vergessen, Dir meine neue Adresse zu geben. Ich bin erreichbar unter AltMoabit Nummer 136. So heißt hier das Untersuchungsgefängnis.

Lieber Onkel Franz,

bitte entschuldige, dass ich mich so lange nicht bei Dir gemeldet habe. Bei uns in der Eifel ist alles in Ordnung. Im Paket findest Du ein leckeres Stück Schinken aus der Heimat. Dass Du sechzehn Jahre gekriegt hast, finde ich nicht in Ordnung. Wenn Du wieder rauskommst, kannst Du mich ja mal besuchen kommen. Das ist ja das Mindeste bei all dem, was Du für mich getan hast, Dein Neffe Joachim