Zur Muttergottes mit der Lilie

Annemarie Folgnandt, Lissendorf

Endlich liegt der kleine Wallfahrtsort Barweiler vor uns im Schein der goldenen Abendsonne. Ein langer beschwerlicher Tag geht zu Ende. Vergessen sind die Strapazen beim Anblick der kleinen Wallfahrtskirche. In froher Erwartung auf die Muttergottes mit den wundersamen Lilien legen wir die letzten Meter zurück.

Dabei werden Erinnerungen wach, die ich vor fünfzig Jahren so schon einmal erlebt hatte. Damals, es war ein früher Septembermorgen, versammelten sich die Pilger aus der Stadt Gerolstein und Umgebung vor der St.-Anna-Kir-che. Sie wollen alle zu der Madonna von Barweiler gehen. Zu Fuß und nicht wie heute üblich mit dem Omnibus. Ich war sehr aufgeregt, hatte ich doch von älteren Leuten schon so viel Wunderbares darüber gehört. Um sieben Uhr ging es los. Ein sonniger Tag würde uns begleiten. Mein Rucksack, von der Mutter gut gefüllt mit Proviant, musste für zwei Tage reichen. Meine Füße steckten in derben hohen Lederschuhen. Ich war bestens gerüstet und schloss mich meiner Klassenkameradin Klara und ihrer Schwester mit deren Freundin an.

Die Spitze bildeten die Fahnen- und Kreuzträger, dahinter die Pilger. Einige hatten die Rolle des Vorbeters übernommen, ein anderer die des Pilgerbruders, der für die notwendige Disziplin zu sorgen hatte. Wer nun glaubte, dass es ruhig und ernsthaft zu ging, der irrt. Oft mussten wir uns das Lachen unterdrücken, denn eine Pilgerin besaß einen „Zauberrucksack“, der wurde nie leer. Sie zauberte immer wieder selbstgebackene Waffeln aus ihm hervor. Es war uns manchmal unmöglich, andächtig die Gebete zu verrichten, aber dafür sorgte der Pilgerbruder. Während der Gebete durften wir nicht herumalbern oder mal schnell hinter den Hecken verschwinden. Seine strengen Blicke und Ermahnungen brachten uns dann wieder auf den rechten Weg.

Um die Mittagszeit bekamen wir in Dockweiler für eine Mark einen Teller Suppe. Gestärkt machten wir uns danach auf die letzte Etappe. Die Erwachsenen machten mich auf unser Ziel aufmerksam, das vor uns im Tal sichtbar wurde.

Schließlich waren wir angekommen. Es war für alle ein anstrengender Tag. Staunend stellte ich fest, dass außer uns noch viele andere Gläubige den Weg hierher gefunden hatten. Meine Erwartung, die Madonna sofort zu sehen, erhielt einen gewaltigen Dämpfer. Es stellte sich heraus, dass wir die Andacht nur vor der Kirche mitverfolgen konnten. So hatte ich es mir nicht vorgestellt. Wir mussten also warten, bis alles vorbei war und konnten erst dann in die Kapelle. Ein überwältigender Duft von Blumen und Kerzen erfüllte den Raum.

Jetzt konnte ich in Ruhe zur Muttergottes beten. Hatte ich es mir nur eingebildet oder hatte sie mich nun wirklich angelächelt? Das war für mich der schönste Augenblick in meinem Leben. Am nächsten Morgen ging es wieder den gleichen Weg heimwärts. Unterwegs wurde Klara gelobt, weil sie so tapfer die zwei Tage bewältigt hatte. Aber mich lobte keiner, waren wir doch gleich alt. Auch ich hatte den Weg ohne zu klagen zurückgelegt.

Aber aller Ärger schwand dahin, als uns das Gerolsteiner Blasorchester entgegen kam, um uns zur Kirche zu geleiten. Der Abschlussgottesdienst fand dort für uns statt. Wir wurden mit Orgelmusik empfangen, und gemeinsam sangen wir das Lied „Großer Gott wir loben dich“. Dies war ein ergreifender Moment, den ich bis heute nicht vergessen habe.

Zu Hause angekommen, wurde mir doch noch das Lob zugesprochen, auf das ich solange gewartet hatte. Da stand mein Entschluss fest: Auch im nächsten Jahr bin ich dabei.