Erzählungen meiner Großmutter

Jasmin Caspers (13 Jahre), Wiesbaum

Wir sind jetzt in einem Alter, in dem man nach und nach erfährt, was es mit dem letzten Weltkrieg und den Jahren danach auf sich hatte. Es stimmt, was Sarah schon gesagt hat, wir können uns gar nicht vorstellen, wie das Leben ohne Jeans, T-Shirts, Handy, MP3-Player und den ganzen anderen Schnickschnack wäre. Und wenn ich manchmal am Essen „rummäkele“, heißt es gleich: „Wir wären damals froh gewesen, wenn wir so etwas gehabt hätten.“

Ja, was ist denn damals? Was war denn da? Wie war es damals? Meine Großmutter will eigentlich nicht so gerne von damals sprechen. Als kleines Kind musste sie mit der Mutter fliehen. Sie hat, glaube ich, Schlimmes gesehen und erlebt, aber sie möchte sich eigentlich nicht so gerne daran erinnern. Dafür aber haben wir Bekannte und Nachbarn, die zum Teil lustige, aber auch traurige und schlimme Dinge wissen.

Ein Ereignis ist mir besonders haften geblieben. Es handelt sich dabei um eine Familie, die über Umwege nach Deutschland gekommen ist. Diese Familie, nennen wir sie mal Kaufmann, kam nach langen Entbehrungen nach Österreich, was damals noch zum Dritten Reich, also zu Deutschland gehörte. Die Grenzkontrollen dauerten ewig und waren qualvoll. Man musste es sich gefallen lassen, genau kontrolliert zu werden.

Sie hatten einen langen Fußmarsch mit Gepäck hinter sich. Sie konnten sich kaum noch auf den Beinen halten, aber wehe, man setzte sich. Sofort kamen Soldaten und stellten einen hoch, und wenn man nicht konnte, schlugen sie einen zusammen. So geschah es auch mit einer Familie, die ein wenig vor der Familie Kaufmann gestanden hatte.

Sie wurden mit Gewehrkolben geschlagen und fortgeschleift. Das kleine Kind der Familie Kaufmann begann zu weinen und wollte schreien. Es hatte Angst, man könnte seine Eltern fortschleifen. Die Mutter hat es nur mit Mühe beruhigen können. Ein Soldat hatte sich schon genähert, aber da war das Kind, ein Mädchen, plötzlich verstummt. Es hat tage- und wochenlang gedauert, ehe es wieder zu sprechen anfing. Der Schock saß tief, und auch später konnte die erwachsene Frau das Kindheitserlebnis nicht vergessen.

Manche müssen bittere Wege gehen.