Als Schaffnerin unterwegs in Personen - und Güterzügen

Margarete Moeres, Steffeln-Auel

Im Krieg wurden viele Männer eingezogen, jetzt waren Frauen auf einmal wichtig geworden, als Arbeitskräfte wurden sie an diverse Stellen im Reich befohlen. Diese Einsatzbefehle kamen per Post. Ihnen konnte man sich nicht widersetzen. Ich wurde zu einer Arbeit in einer Munitionsfabrik in Mitteldeutschland geordert. Durch einen glücklichen Zufall erfuhr ich rechtzeitig, dass bei der Reichsbahn dringend Frauen gesucht wurden. Ich meldete mich sofort freiwillig, wurde angenommen und entging so der Munitionsherstellung. Ich wurde 1941 also Schaffnerin bei der Reichsbahn. Wir Frauen fuhren auf Personen- und Güterzügen Tag und Nacht, mussten rangieren, Züge zusammenstellen, Weichen umstellen, damit die Wagen ihren richtigen Weg nahmen. Nachts war das schon schwierig, denn aus Sicherheitsgründen, um feindlichen Flugzeugen nicht aufzufallen, waren unsere Lampen abgedunkelt, wie jede andere Lichtquelle an den Zügen. Auf kleineren Bahnhöfen Wagen anzuhängen war noch eine der leichteren Übungen, aber auf den großen, wie Ehrang und Köln-Eifeltor war es eine Kunst, den richtigen Wagenpark zu finden. Die Schlusslampen, die etwa 40 Pfund wogen, am Zug aufzuziehen, fiel uns Frauen wirklich schwer. Sie in die Höhe zu stemmen, gelang nicht jeder Schaffnerin. Bei Güterzügen waren außer dem Zugführer noch zwei Schaffnerinnen im Einsatz. Eine vorne im Gepäckwagen und die andere als Schlussschaffnerin. Letztere saß im Bremshäuschen, um im Notfall die Bremse zu ziehen. Das war im Winter besonders hart, denn diese Bremshäuschen waren nicht beheizt, zudem schlossen die Türen nur sehr schlecht. Einmal musste ich während der gesamten Fahrt die Tür mit den Händen zuhalten. Nur selten rief der Zugführer uns Frauen zum Aufwärmen für eine Weile in den geheizten Packwagen. Einmal war eine junge Schaffnerin derart steif gefroren, dass sie nach einer Fahrt die Stiege aus dem Bremshäuschen selbst nicht mehr heruntergehen konnte. Diese Kollegin ist leider sehr jung gestorben. Leichter war es, die Personenzüge zu fahren. Auf kleinen Eifelbahnhöfen war es unsere Aufgabe, die Schlusssignale zu setzen, dazu kamen die Fahrkartenkontrolle, das Ausstellen von Fahrscheinen sowie Auskünfte über Fahrwege, Verbindungen und Fahrzeiten zu geben. Wir arbeiteten auch im Gepäckwagen beim Gepäckein- und -ausladen, wir halfen auch den Fahrgästen mit dem Reisegepäck. Das hieß flink laufen, damit es keine Verspätungen gab. Als Schlussschaffnerin gab man das Zeichen „alles fertig“ an den Zugführer, der zeigte dem Lokführer „Abfahrt“. Wir Schaffnerinnen halfen gerne beim Gepäck oder mit Kinderwagen. Wir halfen den Verwundeten, alten und jungen Fahrgästen gleichermaßen, das ging immer mit Freundlichkeit immer flink von der Hand, auch wenn die Gepäckstücke oft recht schwer waren. Einmal jedoch stand ein sehr gewichtiger Herr vor mir und sagte in barschem Befehlston: „Bringen Sie den Koffer in das Abteil dort!“ Ich umfasste den Griff des wuchtigen Koffers, tat so, als wollte ich ihn anheben, zuckte die Schultern und sagte: „Leider krieg ich den nicht fort!“ Es blieb das einzige Mal, dass ich meine Hilfe verweigerte. Weihnachten 1942 waren wir morgens im Dienst für den Zug 6h ab Jünkerath nach Köln und dann von Köln wieder zurück bis Trier. Dort war nachts um 12h Pause. Das Personal, von dem wir den nächsten Zug übernahmen, hatte wohl etwas zuviel Weihnachten gefeiert, denn wir übernahmen einen vollkommen zugefrorenen Wagenpark. So mussten wir die Strecke bis Gerolstein im eiskalten Zug fahren und dort warten, bis wir 6h planmäßig weiterfuhren bis Jünkerath, wo wir endlich Dienstschluss hatten. Übrigens gab es in den Zügen damals noch viele Gaslampen, die vor der Dunkelheit, aber auch vor Tunneldurchfahrten, einzeln angezündet werden mussten. Bald spürten wir den eisigen Atem des Krieges in unseren Nacken. Unsere Übernachtung in Deutzerfeld wurde zerbombt, Nachts vorher hatte ich dort noch geschlafen. In einer anderen Nacht wurde ich aus dem Schlaf geschreckt, es regnete Eisen. Durch den Beschuss und die vielen herumfliegenden Splitter konnte ich nicht mehr aus dem Wagen heraus. Ich raffte schnell alle Decken zusammen, legte sie als Schutz aufeinander und kauerte in einer Wagenecke darunter, bis der tödliche Eisenregen aufhörte. Danach faltete ich die Decken und legte sie wieder ordentlich auf ihren Platz zurück. Ich hatte noch einmal Glück gehabt.

Aber auch mein Vater hatte Glück. Auf der Strecke Losheim-Malmedy geriet sein Zug in einen Tieffliegerangriff. Er ließ die Reisenden an der richtigen Seite heraus, so konnten die Bordwaffenschützen die Menschen nicht sehen und beschießen. Zwar waren Lok und Wagen zerschossen, aber keinem Fahrgast war etwa passiert. Ganz anders geschah es Vaters Kollegen als Zugführer, an der fast gleichen Stelle fanden sechzehn Reisende den Tod.

Immer näher rückte der Krieg, die Städte wurden zerbombt, die Menschen flüchteten, unsere Züge wurden immer voller. Auf einen Sitzplatz hoffte jetzt keiner mehr, die Hauptsache war, sie kamen überhaupt noch mit. Nur mit Mühe gelang es mir, die Türen zu schließen. Nach einer Bombardierung war es besonders schlimm, eine Tür wollte nicht schließen, es pressten sich zu viele Menschen dahinter. Aber wir mussten doch fahren! Da sagte ich zu dem Mann, der der Tür am nächsten stand: „Schlagen Sie mal ihren Mantelkragen hoch!“ Dann öffnete ich die Tür weit und schlug sie mit solcher Kraft zu, dass das Glas zersplitterte. Da hielt sie endlich zu. Gottlob war keiner vom Glas verletzt. Wir konnten endlich fahren!

Mittlerweile arbeiteten auch russische Kriegsgefangene in der „Rotte“ (Gleisinstandhaltung). Ein bewaffneter Begleiter wollte eines Tages aus der ohnehin dünnen Suppe das wenige Fleisch herausangeln. „Russen brauchen kein Fleisch“, war sein Kommentar dabei. Die anderen im Packwagen, alle Männer, lachten verlegen, doch keiner sagte dagegen ein Wort. Das machte mich derart wütend, dass ich den Mund nicht mehr halten konnte und rief:

„Aber solange ich hier im Packwagen bin, nimmt keiner was aus dem Kessel!“ Alles blieb stumm. Das Fleisch blieb in der Suppe. Was mich sehr wunderte, es gab darauf kein böses Nachspiel für mich.

Gegen Ende des Krieges waren nicht nur viele Bahnhöfe und Gleisverbindungen durch Bombenangriffe zerstört, mir war es unverständlich, dass zum Schluss die Wehrmacht selbst, etwa alle hundert Meter, noch intakte oder reparierte Gleisanlangen sprengte. Es hieß damals, um die Amerikaner aufzuhalten.

Die Männer, die nach Kriegsende wieder zurückkamen, übernahmen selbstverständlich wieder ihre alten Stellen. Frauen wurden jetzt nicht mehr gebraucht. Mit den anderen ehemaligen Schaffnerinnen, mit denen ich Männerarbeit leistete, hatte ich lange freundschaftlichen Kontakt. Denn uns hatte die schwerste und gefährlichste Zeit, die unsere Heimat bisher erlebte, durch Tieffliegerangriffe und Bombardierungen, deren erklärtes Ziel auch die Anlagen und Einrichtungen der Bahn waren, fest zusammengeschweißt. Heute sind die meisten schon verstorben. Wer weiß noch von ihrem Einsatz? Mut gilt allgemein als Männertugend. Das Wort Tapferkeit ist in unserem Land verpönt, so erwähne ich davon nichts, wohl aber schreibe ich für diese Schaffnerinnen meine Erinnerungen auf.