Gesundbeten?
Was sagt der Pfarrer dazu?

Hermann Meyer, Hillesheim


Vor einigen Wochen erst fragte mich ein bekannter Mann aus einem Nachbarort: „Sag mal ganz ehrlich: Ihr bekommt doch bei der Priesterweihe eine besondere Vollmacht: Stimmt das? Ich erwiderte ihm: „Vollmacht ja: die Sakramente zu spenden, die Hl. Messe zu feiern und zu predigen, aber nicht das, was Sie meinen: eine bestimmte geheime Kraft wie z. B. Feuer bannen, Gesundbeten oder in die Zukunft schauen.“ Ein andermal sprach mich jemand an: „Was halten Sie vom 6. und 7. Buch Moses?“ Ich suchte daraufhin nach diesem Buch und wurde fündig bei einem Bauer in einem anderen Nachbardorf. Er zeigte mir das Buch, wollte es mir aber nur unter der Bedingung mitgeben, wenn ich über einem besonderen Blatt die Heilige Messe lesen
würde. Denn dann, so glaubte er, habe das Geschriebene besondere Wirkkraft. Das tat ich natürlich nicht. Er gab es mir dennoch.
Der Titel des Buches lautet wörtlich: „Sechstes und Siebtes Buch Mosis oder der magisch-sympathische Hausschatz. Das ist Mosis magische Geisterkunst, das Geheimnis aller Geheimnisse. Glückstabellen, Schicksalsdeutungen, wortgetreu nach einer alten Handschrift mit staunenerregenden Abbil-dungen“ Dieses Buch ist eines der unsinnigsten, gefährlichsten und verführreichsten Bücher. Mit dem Propheten Moses haben sie natürlich nichts zu tun! Wer die Bibel kennt, weiß, dass Moses nur fünf Bücher zugeschrieben werden. Neben dem „6.+7. Buch Moses“ gibt es auch noch das 8.+9. Buch, das 10.
und 11. Buch und das 12.+13. Buch Moses. Gewinnsüchtige Verleger haben sich an den Erfolg des Buches angehängt wegen des bekannten Namens und haben sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf den Markt gebracht. Der Prophet Moses musste mit seinem Namen herhalten, weil er mit seinem Sieg über die Magier des Pharao (vgl.2.Mos.7) als der größte der Magier galt. Äußerlich ist das Buch aufgemacht wie eine Bibel oder ein Gebetbuch, innerlich aber fins terster Aberglaube. Es wurde nur gegen Nachnahme und „versiegelt“ geliefert, vielfach mit Beilagen von Anzeigen erotischer und hygienischer Mittel. Auf den Inhalt näher einzugehen wäre reine Platzverschwendung. Im Vorwort steht der Satz:

„Wer keinen Verstand hat, der lese nicht weiter in diesem Buche, für Unverständige ist es nicht geschrieben und solchen wird es auch nicht helfen.“ Lassen wir die beiden Worte „nicht“ weg, so haben wir das richtige Urteil: Wer keinen Verstand hat, der lese weiter in diesem Buche. Für Unverständige ist es geschrieben, und denen wird es auch nicht helfen! : Diese beiden Fälle zeigen doch, wie tief im Geheimen der Aberglaube heute noch verwurzelt ist, obwohl die meisten doch nicht recht daran glauben.
„Und was halten Sie, Herr Pfarrer, vom Gesundbeten oder Besprechen, das auch heute noch „praktiziert wird?“ So die Frage einer frommen Frau, die sich eine Brandwunde mit Erfolg „ver-beten“ ließ.
Das Besprechen kannten schon die ältesten Völker als eine Beschwörungsform. Man versucht durch gesprochene oder geschriebene Worte die feindlichen Mächte, die man sich vielfach als Person dachte, von Krankheiten, Schmerzen, Seuchen, Misswuchs, Feuer oder Wasser zu bannen. Als Formel verwendet man heute alte überlieferte oft unverständliche Texte mit dem Zusatz: Im Namen der Aller-heiligsten Dreifaltigkeit. Hier einige Beispiele: „Zetter, du garstiger Schab, du sollst verdorren wie der Stecken am Zaun, im Namen der Allerheiligsten Dreifaltig-keit“ Oder wenn sich jemand einen Fuß vertreten hat: „Petrus reiste nach Rom, unterwegs stieß sein Pferd an einen Stein und verruckte sich ein Bein.So wahr dies geschehen, sollst du Rucken vergehen. Im Namen der Al-lerheiligsten Dreifaltigkeit.“ Dieses spricht man dreimal und macht jedes Mal das Kreuzzeichen über den Fuß und betet das Credo und fünf Vater unser.Oder Blutstillen bei einem Kalb: Man haucht die Wunde dreimal an und spricht dabei dreimal folgendes Gebet: „Glückselige Wunde, glückselige Stunde, glückselig ist der Tag, das Jesus Christus geboren war. Im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit.“ Oder beim Dickwerden des Rindviehs:
Man umfasst mit beiden Händen die Panz des Tieres und spricht:
„Was ich mit meiner Rechten und Linken umfasse, das soll nicht zerbaschten im Namen der Heiligsten Dreifaltigkeit.“ Es gibt eine Menge dieser und ähnlicher Formeln, so gegen Fieber, Gischt, Verrenkung, Blutungen, Feuer und Diebe. Es sind meist sinnlose Formeln, aber gerade das Sinnlose spielt ja im Aberglauben eine wesentliche Rolle. Im Nachlass eines Bauern fand ich ein Büchlein mit dem Titel: „Sympathiesegnungen, die ich in diesem Buche aufschreibe, sind für spätere Generationen unseres Hofes zum Gebrauch bestimmt. In einem katholischen Buch“, so schreibt er weiter, „steht darüber geschrieben, für Segnungen dieser Art seien Gebete und Zeremonien erlaubt, man müsse nur dabei auf Gott vertrauen, dass er einem hilft.“ Die Formeln, die er selbst mit Erfolg angewandt hatte, waren rot unterstrichen.
Einwand einer frommen Frau, die die Bibel kennt: „In der Heiligen Schrift stehen doch auch viele Berichte von Heilungen und Wundertaten, die Jesus wirkte. Oder denken Sie an die vielen Wallfahrtsorte, wo auch Unerklärliches geschah und geschieht, wie z.B. Lourdes. Die Bibel spricht hier von „Machterweisen“, von „Heilszeichen“, durch die Jesus seine enge Verbundenheit mit seinem Vater im Himmel bekundet. Diese Heilszeichen gehören zu seiner Sendung. Es gibt in dieser Welt kein göttliches Wirken ohne Zweitursache, d.h. Gott greift in mein Leben nicht unmittelbar ein, immer aber durch Zeichen. So verstehe man z.B. die Zeichen bei den Sakramenten und Sakramentalien wie Weihen und Segnungen. Beim „Ge-sundbeten“ fehlt diese innere Beziehung zum Schöpfergott, auch wenn es im „Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit“ gesprochen wird. Zudem sind die Formeln oft im Befehlston gehalten: „Du sollst...:“Man kann Gott nicht befehlen! Man kann Gott nicht übergehen und den Glauben von einem Zeichen abhängig machen. Auch mehr faches Wiederholen der Formel oder Gebete nützt nichts. Allein der persönliche Glaube, die innere vertrauensvolle Bindung an Gott ist die Voraussetzung für die Wirkung eines Zeichens.
Tatsache ist: Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir nicht erkennen und erklären können! Man darf auch sagen, das „Gesundbe-ter“ meist im „guten Glauben“ handeln und die eine oder andere „Heilung“ bewirken. Dennoch bleibt die Kernfrage: Tritt die augenscheinliche „Heilung“ ein aufgrund eines vorgeschriebenen Gebetes oder Formel, oder beruht die „Heilung“ auf anderen menschlichen, hypnotischen oder suggestiven Einwirkungen?
Letzteres scheint mir der Fall zu sein, wobei das Gebet, die religiöse Note des Tuns nur als Mittel zum Zweck angewandt wird. Meines Erachtens müsste der „Erfolg“ auch dann eintreten, wenn die Gebete durch andere Sprüche ersetzt würden. Der Haken dabei ist nur, dass dann die „Patienten“ nicht so vertrauensvoll daran glauben, was ja für die suggestive Heilung Voraussetzung ist. Insofern ist das Verbeten als unechtes Gebet zu verwerfen. Im Kölner Diözesan-Statut von 1662 heißt es unter anderem: „Abergläubisch seien auch die Deutung der Träume und gewisse Begebenheiten,
wenn z.B. ein Hase oder eine Katze über den Weg läuft, der Kauz ruft, Besprechungen und Verbeten, Gebete von bestimmter Länge und Ordnung, von Amuletten und die Tageswahl. Wer bei abergläubischen Handlungen öffentlich angetroffen wird, dem solle das kirchliche Begräbnis versagt sein.“ Alsdann werden die Pfarrer angehalten, dreimal im Jahr gegen diesen Aberglauben zu predigen. Es ist eine schlechte Wohltat, dem hungernden Bettler das verschimmelte Brot wegzunehmen, weil es schädlich sei, ohne ihm dafür besseres zu geben. Ebenso können wir diesen vielfachen und vielgestaltigen Formen modernen Aberglaubens nicht durch radikale Ausrottung begegnen, wirksam hilft nur die rechte Mitteilung der christlichen Wahrheit und die Erweckung eines neuen sittlichen Lebens. Denn Aberglauben ist eine Zerfallserscheinung, ein Mangel an echtem tiefen Glauben. Denn wer glaubt, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, der wird nicht ängstlich auf Eulengeschrei und Hundegebell lauschen. Und wer den rechten Glauben an den lebendigen, liebenden Gott hat, der überwindet den Glauben an die vernunftlosen Schicksalsmächte und die Furcht vor den unheimlichen Gebilden seiner Ein bildung. Es gilt immer noch der Satz: „Der Glaube, dem ich die Tür versage, steigt als Aberglaube durch das Fenster. Wenn die Götter ich verjage, kommen die Gespenster.“